Die Pokémonpension

27 5 5
                                    

Hanna saß am Frühstückstisch und schaute nachdenklich auf ihren PokéNav. Ihre Gefühle waren eine Mischung aus Belustigung und Selbstzweifeln. „Weißt du...", begann sie und schaute zu ihrer Freundin. „Ich habe mir den PokéNav heute Nacht zum ersten Mal richtig angeschaut. Die Kartenapp ist wirklich praktisch und hätte uns so manche Fragerei erspart." Einen Augenblick später stand Palma hinter und ihr Hanna zeigte der Blondine, was die App so alles konnte. Da sie gerade sowieso die Karte geöffnet hatte, machten sie sich auch gleich an die Planung ihrer weiteren Reise. Südlich von Azuria City lag die Pokémonpension. Noch etwas weiter im Süden Saffronia City. Den nächsten Orden wollten sie sich jedoch in Orania City verdienen, da dies der empfohlene nächste Orden war. Die kleine Stadt lag wenige Tagesmärsche südlich von Saffronia. „Schau mal, man kann entweder durch Saffronia City durch oder einen Tunnel unter der Stadt nehmen.", erklärte die Rothaarige und zeigte auf die Karte. „Ich würde lieber die Stadt sehen."

Nach einer langen und mühseligen Verabschiedung von der Hotelbesitzerin suchten die beiden Freundinnen noch den Beerenladen auf, da Hanna sich noch einmal richtig verabschieden und bedanken wollte. Der Besitzer reichte der jungen Trainerin einen versiegelten Brief. „Wenn ihr von Saffronia aus nicht den direkten Weg nehmt, sondern unterhalb der Stadt nach Osten abbiegt, kommt ihr an einem kleinen Dorf vorbei. Dort lebt ein alter Freund von mir und stellt auf traditionelle Weise Pokébälle her. Falls ihr dort vorbeischaut, gib ihm diesen Brief. Ich habe ihm geschrieben, dass ich mich darüber freuen würde, wenn er euch welche gibt. Generell kann ich euch nur empfehlen, in dem Dorf vorbeizuschauen."

Auf dem Weg zum Stadtausgang trafen sie auf einen Jungen, der Hanna irgendwie bekannt vorkam. Während sie noch überlegte, sprach der Junge die beiden schon an. „Wart ihr beiden gestern nicht auch in der Arena? Wohin geht ihr als nächstes?", löcherte er die Mädchen. Hanna war froh, dass ihre Freundin antwortete.
„Oh, Saffronia City liegt auf eurem Weg? Darf ich euch begleiten?" Er hob traurig lächelnd den Arm. „In Saffronia bekomme ich eine Prothese." Jetzt erst fiel Hanna auf, dass der Arm des Jungen etwa zehn Zentimeter unter dem Ellenbogen endete. Ob der Junge ihre fragenden Blicke gesehen hatte, oder ob er sich einfach gerne reden hörte, wusste sie nicht. Jedenfalls beantwortete er die nicht gestellte Frage. „Ich bin zwischen Vertania und Marmoria ein wenig vom Weg abgekommen und war ängstlich und frustriert. Als mir dann ein – mir zu dem Zeitpunkt – unbekanntes Pokémon über den Weg lief und mich genervt hat, habe ich es getreten. Das hat dem Pokémon nicht so gefallen. Ich war jung, dumm und impulsiv. Und habe einen hohen Preis dafür zahlen müssen."

Auf dem Weg aus der Stadt fühlte Hanna sich wie das fünfte Rad am Wagen. Der Junge ging zwischen den Mädchen und plauderte die ganze Zeit mit Palma. Wie Hanna mitbekam, hieß er Luan und war etwa zwei Jahre älter als die beiden Mädchen. Aufgrund seines Unfalls hatte er seine Reise eine Weile unterbrechen müssen.
Um die beiden etwas besser ignorieren zu können, studierte Hanna ihren Pokédex. Auf dieser Route gab es keine interessanten Pokémon. Südlich von Saffronia sah es schon anders aut. Laut Pokédex gab es dort verschiedene Psycho- und Kampfpokémon. Sie beschleunigte ihre Schritte etwas und war erleichtert darüber, dass die beiden anderen ihr Tempo unbewusst anpassten.

Die drei schlugen ihr Lager in der Dämmerung auf. Als Hanna sah, dass Luan seinen Schlafplatz direkt neben Palmas Schlaftuch einrichtete, zog Hanna dieses weg und legte ihr eigenes an die Stelle. „Hey, was machst du da!", fragte Palma empört. „Ich will auch mal in der Mitte sein.", antwortete Hanna mit einem Blick, der die Blondine zum Schweigen brachte. Nachdem die beiden anderen eingeschlafen waren, rutschte Hanna etwas näher an ihre Freundin.

Nach einer für Hanna nicht ganz so erholsamen Nacht frühstückten die drei gemeinsam. Die rothaarige Trainerin hatte anfangs noch versucht, im Mittelpunkt der Gespräche zu stehen, dies jedoch bald aufgegeben und sich zurückgezogen. Im Anschluss an das Frühstück brachen sie direkt auf, um möglichst schnell die Pokémonpension zu erreichen.
Die Trainerinnen hatten sich gar keine Gedanken darüber gemacht, wie so eine Pension aussah und waren überwältigt. Der Außenbereich der Pension war riesig und war komplett in einen mehrere Meter hohen und viele Meter breiten und langen Käfig eingeschlossen. In dem Käfig waren riesige Fenster eingelassen und innerhalb des Geheges befanden sich verschiedene Habitate, unzählige Pflanzen und Pokémon. Bald erreichten sie ein großes Gebäude, das ein Durchgang in den Käfig zu sein schien. Neben der Eingangstür hing ein Schild mit der Aufschrift „Empfang". Hier waren sie also richtig. Noch immer beeindruckt von der schieren Größe der Anlage betraten sie neugierig das Gebäude und landeten in einer Art Empfangsraum. Dort stand eine junge Frau hinter einem Tresen und sortierte Akten. „Herzlich willkommen." Akten wurden beiseitegeschoben und sie lächelte die drei an. „Was kann ich für euch tun?" Palma erzählte, dass sie einen Gutschein erhalten hatten und die beiden mussten ihre Trainerpässe vorzeigen. „Was genau ist das hier eigentlich?", fragte Luan neugierig und sprach damit die Frage aus, die auch Hanna sich gestellt hatte. Die Frau gab zunächst einmal die Trainerpässe zurück. „Weiß eine von euch etwas über Pokémonpensionen?" Die Mädchen schüttelten ihre Köpfe. „Dann erzählte ich euch erst einmal ein wenig was über Pensionen. Es wird eh noch einen Moment dauern, bis eine Kollegin kommt und euch eure Eier aushändigt. In einer Pension können Trainer Pokémon abgeben. Die Pokémon können dann mit anderen spielen. Zudem pflanzen wir hier sehr energiereiche Pflanzen an, die dafür sorgen, dass die Pokémon langsam im Level aufsteigen. Des Weiteren werden hier auch gezielt Pokémon für die Pokémonliga gezüchtet. Falls sich die Pokémon von Trainern vermehren, haben diese die Möglichkeit, die Eier mitzunehmen. Der gesamte Außenbereich geht bis in eine Tiefe von etwa zehn Metern. Über dem Boden haben die Pokémon auch noch einmal gute zehn Meter Platz. Die Gesamtfläche der Gehege beträgt etwa dreihunderttausend Quadratmeter. Es gibt vier große Gehege und ein paar dutzend kleine Gehege, falls Trainer ihre Pokémon unter sich lassen wollen.", führte die Empfangsdame aus. Linkerhand befand sich eine unscheinbare Tür, durch die eine andere Mitarbeiterin hereinkam. In jeder Hand trug sie einen Brutkasten, der ein großes Ei enthielt und an dem ein Pokéball befestigt war. „Pokémon legen Eier. Na ja, sie liegen sie nicht direkt. Sie... materialisieren Eier. Jedenfalls gehören diese nun euch." Die Frau zeigte auf einen Code an den Brutkästen. „Bitte haltet euren Pokédex kurz hier dran und bestätigt die Meldung." Die Mädchen taten wie geheißen, die Mitarbeiterin tippte ihrerseits noch etwas in ein tragbares Gerät und schon wurden ihnen jeweils ein Ei als Teil ihres Teams angezeigt. Mit einem Knopfdruck leuchteten die Brutkästen und schrumpften zu kleinen transparenten Bällen, die ein Ei enthielten. „Sobald sie schlüpfen, werden die Pokémon direkt in ihren jeweiligen Ball aufgenommen. Es kann eine ganze Weile dauern, bis es so weit ist. Habt also Geduld." Luan fragte neugierig, was die Mädchen für Pokémon erhalten hatten. Die Empfangsdame kicherte. „Das ist eine Überraschung. Eines kann ich aber verraten – es handelt sich um seltene Pokémon. Übrigens – sobald ihr sechs Orden gesammelt habt, könnt ihr hier Eier erwerben, die andere Trainer nicht mitnehmen wollten."

Gerade als sie das Gebäude wieder verließen, landete ein Tauboss vor ihnen, auf dem zwei Männer saßen. Der Jüngere der beiden stieg ab. „Warten Sie bitte hier, ich komme gleich wieder.", befahl er und verschwand in der Pension. Die drei schauten den Mann auf dem Tauboss fragend an. Dieser stieg zu ihnen hinunter. „Ihr seid recht frisch, oder? Mit genügend Orden kann man Flugtaxis rufen und sich zu bereits bereisten Orten bringen lassen." Die vier plauderten noch ein wenig, bis der Fahrgast wieder aus dem Gebäude kam und die drei Trainer setzten ihren Weg fort.

An einem kleinen See legten sie eine Pause ein, da Hanna über Bauchkrämpfe und ein leichtes Spannen in der Brust klagte. Palma wollte sie dazu überreden, in Saffronia einen Arzt aufzusuchen, doch die Rothaarige lehnte dies ab. Sie spielte noch ein wenig länger die Kranke, als die Schmerzen anhielten, da sie die Aufmerksamkeit ihrer Freundin genoss.

Am frühen Mittag erreichten sie die Stadt. Saffronia City war riesig. Die Straßen waren unheimlich breit und Hochhäuser dominierten das Stadtbild. Die Mädchen begleiteten Luan bis zum Pokémoncenter und ließen dort ihre Pokémon heilen, da sie auf dem Weg ein wenig trainiert hatten. Nach dem Abschied verließen die beiden Trainerinnen das Pokémoncenter. Draußen wurden sie von einer Frau mittleren Alters angesprochen, die erschöpft wirkte. „Hört nicht auf sie, sie ist verrückt!", warf jemand ein. Doch Hanna wollte ihr irgendwie zuhören. „Team Rocket ist zurück! Sie missbrauchen Pokémon wieder für scheußliche Experimente. Ihr Plan ist es, Pokémon zu erschaffen, die ein höheres Maximallevel haben als andere." Palma fragte neugierig, woher die Frau diese Informationen hatte. „Das habe ich in meinen Träumen gesehen! Wie schon beim letzten Mal!" Sie unterhielten sich noch und die Frau erzählte ihnen von den Träumen, die sie während früherer Experimente Team Rockets gehabt hatte. Team Rocket war es in ihren Träumen gelungen, ein unheimlich starkes Pokémon zu erschaffen – Mewtu. Als Dank dafür, dass die beiden ihr zugehört hatten, nahm sie die beiden auf ihrem Pampross – einem Pokémon, das wie ein Pferd aussah – mit zum südlichen Stadtausgang. „Passt auf euch auf."

Wenige hundert Meter südlich von Saffronia spürte Hanna plötzlich eine Hand an ihrer Schulter. Palmas verärgerter Blick traf sie, als sie sich umdrehte. „Was war die letzten beiden Tage los? Du warst richtig arschig als Luan dabei war." Die Angesprochene wollte etwas erwidern, doch Palma würgte sie ab. „Nein. Ein ‚Nichts!' möchte ich nicht hören!" Das rothaarige Mädchen brach in Tränen aus. „Ich... du... du bist meine beste... du bist die einzige richtige Freundin, die ich je hatte. Ich habe mich bei euch ausgeschlossen gefühlt. Wieder war ich die Uninteressante! Und..." Abrupt beendete sie den Satz. Das wollte sie noch nicht preisgeben. „Und... vielleicht war ich ein wenig eifersüchtig, weil ich weniger Palmazeit hatte.", rettete sie sich. Langsam verschwand der Ärger aus Palmas Augen und Hanna erhielt eine Umarmung von ihr. Nachdem Hanna sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, entschuldigte sich Palma bei ihr und versprach, in Zukunft etwas mehr Rücksicht zu nehmen. Hanna versprach im Gegenzug, Palma früher zu sagen, wenn sie etwas störte.

Wie vom Inhaber des Beerenladens vorgeschlagen, hatten die beiden Mädchen einen Weg nach Osten eingeschlagen. Nahe einem kleinen Fluss schlugen sie ihr Nachtlager auf.
Palma wachte auf, da das Schillok ihrer Freundin sie an der Schulter schüttelte. Müde setzte sie sich auf. „Was ist los?" Schillok zeigte auf Hannas leeres Schlaftuch und führte das blonde Mädchen ein paar dutzend Meter den Fluss hinauf. Dort entdeckte sie ihre Freundin, die nass, nackt und weinend am Flussufer saß. Besorgt setzte Palma sich daneben und legte ihren Arm um sie. Hanna zuckte ob der Berührung kurz zusammen. „Was ist passiert?" Hanna zeigte nur auf ihre Kleidung, die neben ihnen lag. Instinktiv griff das blonde Mädchen nach der Unterhose und hielt sie ins Mondlicht. „Hanna? Weißt du, was das ist?" Die Angesprochene schüttelte ängstlich den Kopf. „Ich habe Angst. Was ist los mit mir? Wieso... wieso blute ich da?" Palma seufzte. „Hat dir das niemand erklärt? Dann muss ich das wohl tun. Das ist deine Menarche, deine erste sogenannte Monatsblutung. Zumindest ein Teil davon. Sobald der weibliche Körper in der Lage ist, ein Kind zu gebären, erneuert er regelmäßig etwas im Innern. Und daher kommt das Blut; oder besser gesagt der Fleck in der Hose. Das ist natürlich, du musst keine Angst davor haben.", erklärte sie und fühlte sich in dem Moment ein wenig wie eine große Schwester. „Du weißt aber, wie Kinder... gemacht werden?", fragte sie plötzlich. Nicht, dass sie gerade Hannas Weltbild komplett zerstört hatte. Hanna kicherte verlegen und die beiden lachten gemeinsam. Zurück am Schlafplatz erlaubte Palma ihrer Freundin ausnahmsweise, zusammen mit ihr unter einem Schlaftuch zu schlafen. 

Der lange Weg zum RuhmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt