Kapitel 1

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Stirnrunzelnd stand ich an der großen Panoramascheibe in meinem Büro, die Hände in den Taschen meiner Anzugshose vergraben und schaute auf das regnerische New York vor mir hinab. Immer wieder fragte ich mich, was mich in diese versiffte Großstadt verschlagen hat. Die Hoffnung sie wiederzusehen, murmelte eine Stimme in meinem Kopf. Das hatte ja sowieso nicht funktioniert. Seufzend warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Zeit nach Hause zu gehen, auch wenn niemand dort war, den es interessierte. Ich fuhr meinen Computer runter und schlüpfte in meinen Mantel. Kurz nachdem ich das Büro verlassen hatte, kam mir Noah, mein Assistent, mit einem Tablet auf dem Arm entgegen. Noah kannte ich seit meiner Zeit in Berkeley und wir waren deswegen auch eigentlich gut miteinander befreundet.

"Cole -"

"Mach Feierabend, Noah. Ich will heute Abend nicht gestört werden", unterbrach ich ihn und machte mich auf den Weg zu den Aufzügen. Ich hörte, wie er mir folgte.

"Aber was ist mit diesen Dokumenten? Die musst du noch unterschreiben" Ich sah auf die Anzeige des Lifts. Noch 10 Stockwerke dann war er endlich da.

"Ich unterschreibe sie morgen. Leg sie auf meinen Schreibtisch" Verdutzt sah er mich an.

"Aber morgen ist Thanksgiving" Der Aufzugtüren sprangen auf und ich stieg ein.

"Also hab ich den ganzen Tag Zeit um sie zu unterschreiben, weil ich alleine hier bin. Schöne Feiertage. Grüß deine Frau von mir" Kaum schlossen sich die Aufzugtüren, lockerte ich meine Schultern und atmete tief durch. Ich drückte die Taste zur Tiefgarage und schon raste der Aufzug 56 Stockwerge in die Tiefe. Ich lehnte mich gegen die verspiegelte Wand und hoffte, das keiner sich zu mir gesellte. Vor zwei Jahren hatte ich mein Studium beendet und nach einer kleinen Einarbeitungsphase habe ich die Firma meines Vaters komplett übernommen. Ich checkte auf dem Weg zu meinem Auto meine Mails, doch etwas wichtiges war nicht dabei. Keiner war darauf erpicht sich während der Feiertage noch mehr Arbeit aufzuhalsen. Ich startete den Motor und beförderte mich auch gleich in den New Yorker Feierabendverkehr. Genervt trommelte ich mit den Fingerspitzen aufs Lenkrad als ich darauf wartete, dass die Ampel endlich auf Grün schaltete. Über meine Freisprechanlage drang ein Anruf zu mir durch. Ich hatte doch gesagt, dass ich nicht gestört werden wollte, dachte ich genervt doch nahm den Anruf trotzdem an.

"Hallo Cole, mein Schatz"

"Hey Mum", antwortete ich nun doch etwas besser gelaunt.

"Ach Cole, es tut mir so Leid, aber Mike und ich schaffen es für morgen nicht. Seine Mutter ist krank geworden, deswegen bleiben wir fürs erste hier in New Jersey. Tut mir Leid" Ich spannte mein Kiefer an und meine Hände verkrampften sich ums Lenkrad.

"Kein Problem Mum. Gesundheit geht vor. Grüß Mike und wünsch seiner Mutter eine gute Besserung von mir", presste ich gespielt freundlich hervor.

"Ich wusste, dass du es verstehen würdest. Hab dich lieb, Cole"

"Hab dich auch lieb, Mum" Dann legte ich auf und schlug mit der Hand aufs Lenkrad.

"Verfluchtes Arschloch. New Jersey liegt keine 2 Stunden von hier entfernt. Deine Mutter ist bestimmt nicht mal krank. Ich hab meine Mutter schon fast zwei Jahre nicht mehr gesehen und das nur wegen dir", murmelte ich wütend vor mich hin. Mums Freund konnte mich nicht leiden und ich war mir sicher, dass er all diese Geschichten immer nur erfand damit Mum und ich uns nicht sehen. Seufzend bog ich in eine kleine Seitenstraße ein und parkte das Auto am Straßenrand. Langsam betrat ich das kleine Lokal, das ich regelmäßig besuchte und setzte mich an die Theke. Der Barkeeper, schon ein etwas in die Jahre gekommener Mann mit muskelbepackten Armen und Vollbart, hatte mich bereits erblickt und bereitete schon gleich mein Getränk vor. Whiskey zwei Finger breit mit einem Würfel Eis.

"Das Übliche?", fragt er und ich nickte. Kurze Zeit später hatte ich ein saftiges Steak mit Kartoffeln vor mir stehen und hatte meinen zweiten Whiskey bereits ausgetrunken.

"Trinkst du, weil du wütend bist oder trinkst du um mir zu zeigen, dass du wütend bist?", fragte Hank, der Barkeeper, als er mein Glas wieder auffüllte.

"Ein bisschen von beidem, denke ich", antwortete ich und nahm nochmals einen Schluck.

"Geht es wieder um diese Elizabeth? Wenn ich du wäre, hätte ich sie längst gesucht und ins Bett gezerrt" Ich hob eine Augenbraue.

"Das nennt man Vergewaltigung, Hank" Er zuckte mit den Schultern.

"Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Also was ist los?" Seufzend legte ich das Besteck auf den, nun leeren, Teller ab.

"Ich wurde versetzt. Von meiner eigenen Mum wegen ihrem Freund. Jetzt muss ich Thanksgiving alleine verbringen", erklärte ich. Hank hörte auf das Glas zu polieren und sah mich an.

"Verdammt, das tut mir Leid. Sagtest du nicht mal, dass dein Vater in San Francisco lebt? Flieg doch rüber, du bist doch reich"

"Ich hab ihnen abgesagt, um Thanksgiving mit meiner Mutter zu verbringen", erklärte ich und fuhr mit einem Finger über den Rand meines Whiskeyglases, sodass ein schriller Ton entstand.

"Ruf diese Elizabeth an. Vielleicht leistet sie dir Gesellschaft" Er wackelte mit den Augenbrauen. Ich verdrehte die Augen. Als ich einmal total betrunken war, habe ich ihm alles über meine Ex-Freundin Elizabeth erzählt. Dass sie im Grunde die Tochter der Frau ist, die mit meinem Dad verheiratet ist, dass ich sie über alles geliebt habe und es noch immer tue und dass ich ihr auf irgendeiner Collegeparty fremdgegangen bin und mich an absolut nichts von dieser Nacht erinnern kann.

"Wir haben seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr", erklärte ich ihm zum bestimmt hundertsten Male. 

"Und sie hat bestimmt besseres zu tun als sich mit einem Arschloch wie mir abzugeben" Trübselig nahm ich noch einen Schluck.

"Und trotzdem hast du einen zweiten Standort deiner Firma in genau der Stadt aufgebaut, in der sie arbeitet? Deswegen liest du jeden Artikel, den sie schreibt? Versuch doch dein Glück, mehr als Nein kann sie nicht sagen" Doch, sie könnte mir einen ganzen Vortrag darüber halten, dass ich ihr Vertrauen missbraucht und ihr Herz gebrochen habe. Neben mir ließ sich eine junge Frau, die ungefähr mein Alter zu haben schien, nieder und blickte, vermutlich, verführerisch zu mir rüber.

"Ist der begehrteste Junggeselle New Yorks gerade dabei seine Sorgen zu ertränken? Ich könnte dir helfen sie zu vergessen", hauchte sie in mein Ohr. Ich musterte sie. Die Haare sind zu hell, die Augen zu dunkel, die Figur zu zierlich und schlank, viel zu aufgeschlossener Charakter. Ganz anders als Elizabeth.

"Du könntest es auf jeden Fall versuchen", grinste ich und auf ihren knallrot geschminkten Lippen bildete sich ein süffisantes Grinsen. Sie schnappte sich meine Hand und zog mich aus der Kneipe raus. Aus dem Augenwinkel konnte ich noch sehen, wie Hank die Augen verdrehte. 

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