Kapitel 16

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Elizabeth

"Zieh einfach das Gleiche an, was du zur Arbeit anziehen würdest", hörte ich Coles Stimme durch meine Tür. Ich wusste, dass er gerade die Augen verdrehte und sich fragte warum Frauen sich immer so viele Gedanken bei der Kleiderwahl machten. Ich stopfte meine Bluse in meine Hose und zog einen passenden Blazer an. Während ich mein Zimmer verließ, band ich meine Haare zu einem Zopf. Als ich in die Küche kam, las Cole sich meine Notizen für die erste Stunde heute an der Uni durch. Er blickte auf als er mich hörte.

"Du hast ihnen vor der ersten Stunde schon Hausaufgaben gegeben. Wie uncool" Er grinste. Ich verdrehte lächelnd die Augen.

"Ich werde nicht dafür bezahlt cool zu sein. Was hast du vorbereitet?" Ich nahm ihm meine Sachen ab und zusammen machten wir uns auf den Weg in die Tiefgarage zu seinem Auto.

"Ähm nichts, ich improvisiere einfach" Schockiert musterte ich ihn.

"Ehrlich? Gott, ich hätte jetzt schon einen Nervenzusammenbruch wenn ich das tun würde" 

"Ich weiß. Du hast deine Referate immer eine Woche im voraus vorbereitet und ich hab immer am Tag des Referats das Thema gegoogelt um überhaupt zu wissen um was es geht" Wenn ich nur an diese Zeit zurückdachte, bekam ich vor Nervosität einen flauen Magen. Auf dem Weg zur Uni sah ich noch einmal durch meine Notizen. Als wir ausstiegen und über den Campus gingen, sahen viele Studenten sich um und begannen zu tuscheln. Cole war immerhin bekannt.

"Irgendwie ist Uni doch immer noch das gleiche wie die High School, nur das jeder älter ist", kommentierte Cole das Verhalten der Studenten. Lässig steckte er seine Hände in seine Hosentaschen. Ich presste meine Unterlagen fester gegen meine Brust und merkte, dass meine Hände schwitzten.

"Lass das", flüsterte er und nahm mir meine Sachen ab. Er klemmte sie unter seinen Arm und ging einfach weiter.

"Wenn sie sehen, dass du nervös bist, werden sie dich nie respektieren. Du bist immerhin nur ein, zwei Jahre älter als die meisten hier", erklärte er mir leise. Ich schluckte. Er hatte Recht, ich musste mich mehr am Riemen reißen. Cole brachte mich in meinen Vorlesungssaal, die man uns letzte Woche zugewiesen hatte als wir uns beim Kollegium vorgestellt hatten. Ich bereitete meine Sachen vor während Cole verschwand. Als ich dies getan hatte, sah ich mich etwas um. Mein Schreibtisch stand vor einer großen, grünen Tafel. Vor meinem Schreibtisch erhoben sich die Sitzplätze der Studenten wie eine Tribüne, wie auch schon an meiner Uni. Ich strich eine Strähne, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte, hinters Ohr und setzte mich auf meinen Schreibtisch, anstelle dahinter und sah zu wie der Saal sich immer mehr mit Studenten füllte. Als meine Armbanduhr mir zeigte, dass es Zeit war, die Lesung zu starten, stand ich auf und stellte mich vor diese Menge an Studenten.

"Ich wünsche euch einen guten Morgen und herzlich willkommen. Wie ihr vielleicht wisst, ist das hier die erste Vorlesung, die ich halte, also seht es mir etwas nach wenn es vielleicht nicht so abläuft wie ihr es gewohnt seid. Ich stelle mich kurz vor. Mein Name ist Elizabeth Wheeler, ich bin 23 Jahre alt und arbeite als Journalistin bei The New York Times. Ich habe euch schon alle in der letzten Woche per E-Mail kontaktiert und euch eine kleine Hausaufgabe aufgegeben. Damit werde ich mich wahrscheinlich jetzt schon nicht beliebt gemacht haben" Hier und da konnte ich einige Lacher hören, doch ansonsten war es ziemlich still im Saal.

"Also die Aufgabe war, dass ihr so viel wie möglich über mich herausfinden sollt. Den Sinn dieser Aufgabe erkläre ich euch später. Wer möchte mir erzählen, was er herausgefunden hat?" Ich setzte mich wieder auf den Schreibtisch und blickte durch die Menge. Viele der Anwesenden meldeten sich, was mich wirklich überraschte. In meinem Jahrgang waren die Mitschüler nicht einmal halb so motiviert. Ich deutete auf ein Mädchen mit roten Haaren. Sie stand auf und wurde dabei leicht rot. Ich lächelte sie aufmunternd an. Es war nie einfach vor einer großen Menge zu sprechen.

"Sie sind am 23. Februar in San Diego geboren und immer dort zur Schule gegangen. Mit 17 sind Sie nach San Francisco umgezogen und haben dort Ihren Abschluss gemacht. Danach haben Sie in Long Island Journalismus studiert, mit Hilfe eines Stipendiums wegen eines Artikels über 'Slut-Shaming'. Sie sind dann weiterhin in New York geblieben, wo sie dann angefangen haben für die New York Times zu schreiben. Letztes Jahr haben Sie den Pulitzer-Preis gewonnen in der Kategorie Hintergrundberichterstattung für Ihren Artikel über Frauenrechte in den Vereinigten Staaten. Ihre Artikel über 'Rape Culture' hat dabei geholfen den Campbell-Fall ins Rollen zu bringen und Sie haben Sich vor einem halben Jahr verlobt. Glückwunsch übrigens" Ich zwang mich wieder zu lächeln und das Mädchen setzte sich wieder hin.

"Noch jemand etwas anderes?" Einige schüttelten den Kopf, ein anderer meldete sich dann doch noch.

"Sie haben eine Stiftung gegründet um Kinder mit psychischen Erkrankungen zu helfen und Sie sind Botschafterin einer Krebsforschungsorganisation" Ich nickte und stand auf um ein Wort an die Tafel zu schreiben.

Quelle

"Das absolut Wichtigste im Journalismus sind Quellen, zuverlässige Quellen. Von wo habt ihr eure Informationen über mich?" Die meisten Antworten waren Internet, Google und Wikipedia.

"Versteht mich nicht falsch, eure Informationen über mich sind korrekt, die meisten jedenfalls, doch trotzdem würde ich niemanden von euch meine Biografie schreiben lassen" Wieder lachten einige und aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass eine Tür aufging und sich wieder schloss. Ich setzte mich wieder auf den Schreibtisch.

"Ich erzähle euch jetzt etwas über mich. Ich wurde am 23. Februar in San Diego geboren. Meine Mum war eine einfache Sekretärin, mein Dad hat im Personalbüro eines kleinen Betriebes gearbeitet. Das Verhältnis zu meiner Mum war immer angespannt und schwierig. Mein Vater hat immer versucht das zu überspielen. Ich war ein sehr schüchternes Kind und hatte nicht sehr viele Freunde. In meinen Teenagerjahren wurde ich immer dicker und mein Selbstbewusstsein sank beträchtlich. Ich wurde in der Schule stark gemobbt und ausgestoßen. Durch die damals schon beginnende Finanzkrise musste mein Vater viele Kündigungen ausstellen, was für ihn sehr stressig und betrübend war. Er hat sich oft krank gefühlt doch hat alles auf die Arbeit geschoben. Als ich 15 war, wurde bei meinem Vater schließlich Darmkrebs festgestellt. Schon sehr weit fortgeschritten, nicht mehr heilbar" Ich machte eine Pause und leckte über meine Lippen.

"Als ich 16 war, hatte mein Dad so starke Schmerzen, dass er sich das Leben nahm. Meine Welt ist zusammengebrochen. Ich hatte schon vorher depressive Schübe gehabt aber da bin ich in ein tiefes Loch gefallen. Ich habe mich selbst verletzt und wurde abhängig von Schmerzmitteln. Es wurde so schlimm, dass ich in die Psychiatrie eingewiesen wurde, wo ich ein Jahr lang blieb. Meine Mutter lernte einen neuen Mann kennen und zog nach San Francisco um. Ich folgte ihr, trotz unseres schlechten Verhältnisses und ging dann dort zur Schule. Dort gingen die Hänseleien dann weiter jedoch in eine andere Richtung. Ich hatte abgenommen und habe wegen der Schülerzeitung über das Fußballteam berichtet. Dass ich viel Zeit mit ihnen verbracht hatte, machte mich zu einer Schlampe. Später fiel ich wieder in ein Loch und wurde wieder in die Psychiatrie eingewiesen für zwei Wochen. Meine Mum hat mir eröffnet, dass sie nach meiner Geburt an der Wochenbettdepression litt und sich nie Hilfe geholt hatte. Sie wird mich nie lieben können, wie eine Mutter ihr Kind lieben sollte. Später habe ich schließlich diesen Artikel über 'Slut-Shaming' geschrieben. Dieser hatte mir dann ein Stipendium an der LIU beschert. Ich schrieb weiter Artikel für ihre Schülerzeitung und die New York Times wurde auf mich aufmerksam. Ich hatte erst kleine Artikel für sie geschrieben ehe ich mit größeren Sachen betraut wurde. Mit dem Artikel über Frauenrechte habe ich mir schließlich einen Namen machen können und habe den Pulitzerpreis gewonnen. Mit dem Preisgeld habe ich eine Stiftung für psychisch kranke Kinder gegründet. Mein fester Freund hat mir einen Heiratsantrag gemacht, nachdem ich ihm eröffnet hatte, dass ich schwanger war. Wenig später habe ich das Kind dann verloren und er wurde mir gegenüber zum ersten Mal handgreiflich. Die Vorfälle wiederholten sich bis er mich schließlich so stark verprügelt hatte, dass ich ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Ich hatte mehrere Knochenbrüche und musste eine Weile intubiert werden. Ich bin immer noch nicht ganz über den Vorfall hinweg aber es geht mir besser und jetzt unterrichte ich hier", erzählte ich ihnen. Ich stand wieder auf.

"Wo hättet ihr das gefunden? Nirgends weil ich es nicht an die große Glocke hänge. Deswegen sind Quellen so wichtig. Wenn ihr an zuverlässige Quellen kommen wollt, was müsst ihr tun?" Eine Studentin meldete sich.

"Interviews?" Ich nickte.

"Genau, wenn ihr meine Artikel lest, werdet ihr schnell herausfinden, dass ich immer versuche die betroffene Person zu interviewen oder jemand, der ihr nahe steht. So, ich sehe meine zwei Stunden sind um, also seid ihr entlassen. Diesmal keine Hausaufgaben"

Someone like youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt