Kapitel 38

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Wenige Tage später erreichten wir Gusu. Der Herbst hatte begonnen und färbte das Laub in den verschiedensten Orangetönen, während Lan Zhan und ich durch die Wälder geritten waren. Ich hätte gerne mehr Zeit mit ihm verbracht, doch es war nicht mehr lange bis zum nächsten Vollmond und ich wollte vor der Versammlung noch einmal nach Li-Ming gucken.

Auf unserer Rückreise war auffällig, dass sobald wir Yunnan verlassen hatten und tiefer nach Meishan, über Yunmeng nach Gusu gereist waren, auch immer mehr Marionetten auftauchten. Es gab Nächte in denen wir durchreiten mussten oder kämpften. Das hatte ziemlich an meinen Kräften gezerrt, da ich immer noch versuchte mich von den Siegeln zu trennen und so wenig wie möglich die schon gelöste Verbindung wiederherzustellen.

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Allein Lan Zhan reichte, dass die Wachen uns einfach durchließen. Es erinnerte mich an meinen ersten Besuch im Wolkennest, wo sie mich ohne Einladung nicht hatten rein lassen wollen. Lächelnd sah ich zu meinem Gefährten. Er hatte sich in den Jahren vom äußeren nicht wirklich verändert. Sein schwarzes Haar fiel immer noch in voller Länge über seine Schultern, die braunen klugen Augen ruhten auf dem Weg und zeigten nur selten starke Empfindungen und seine weich aussehenden Lippen - die in der Tat genauso weich waren, wie sie aussahen.

Nachdem wir von den Pferden abgestiegen waren, kamen schon die ersten Schüler. Lan Jingyi allen voran. Irgendetwas schienen die Schüler sagen zu wollen, doch keiner traute sich und so schoben sie letztendlich Sizhui vor. Abwartend musterte ich ihn, bis Lan Zhan ihn endlich zum sprechen aufforderte.

„Also vor ein paar Tagen kam jemand her und meinte, dass er der echte Vater von Wu Li-Ming ist. Das Mädchen hat dem auch zugestimmt und am nächsten Tag waren beide verschwunden. Wir haben nach Ihnen gesucht, doch nirgendwo eine Spur von Ihnen gefunden." Schuldbewusst sahen die Schüler weg, während ich versuchte die Information zu verarbeiten. Anscheinend hatte ich wirklich Wu Baihu in Lanling gesehen. Aber warum hatte er sich mir nicht gezeigt? Und warum wartete er nicht hier auf mich?
Das ganze passte nicht zu dem Wu Baihu, den ich kannte.

Verwirrt sah ich zu Lan Zhan, der mich nachdenklich musterte. „Kennst du ihn?" „Ich denke schon, nur das meine letzte Information war, dass er Tod ist. Aber ich habe letztens jemanden in Lanling gesehen, der Wu Baihu zum verwechseln ähnlich sah. Ich denke trotzdem, dass ich nach ihr suchen sollte, um sicherzugehen, dass es wirklich ihr Vater war..." Verstehend nickte er.

„Wangji, Wei Wuxian, wo wart ihr? Die Schüler, die euch nach Lanling begleitet haben, konnten uns nicht sagen, wo ihr hingegangen seid." Die ruhige Stimme von Lan Xichen ließ mich herumfahren. In seinem Gesicht spiegelte sich die Ruhe selbst wieder und war somit komplett gegenteilig zu dem Charakter von seiner Zwillingsschwester. Trotzdem konnte man in ihm Lan Yahui wieder erkennen.

Eine geradezu greifbare Stille machte sich breit, als Lan Zhan seinen Bruder eingehend beobachtete. Ich konnte mir schon denken, dass ihm die Nachricht über ihre Schwester auf der Zunge brannte. Doch hier vor allen Leuten würde er es wahrscheinlich nicht ansprechen.
„Wangji, ist alles in Ordnung?" Ein knappes Nicken kam von Lan Zhan, bevor er ihm bedeutete, dass er mit ihm reden wollte.

Ich hielt mich zurück und blieb bei den Schülern. Wahrscheinlich wäre ich nur überflüssig, wenn Lan Xichen erfuhr, dass seine verloren geglaubte Schwester noch lebte.
Sobald die Brüder weg waren wurde ich von Jingyi schon mit Fragen terrorisiert.

„Wo wart ihr und was ist passiert, dass Han Guang Jun so nicht gesprächig ist? Nicht das er sonst viel erzählt hätte, aber das war ja schon ein bisschen unheimlich-..." Noch bevor er weiterreden konnte wurde er von Sizhui unterbrochen. „Woher habt Ihr die Pferde? Sie kommen nicht aus den Ställen des LanlingJin- oder GususLan-Clan. Ich denke auch nicht, dass ich jemals so eine Rasse bei einem anderen Clan gesehen hätte. Sagt nicht, dass es Wildpferde sind."

Lächelnd betrachtete ich unsere Weggefährten. Auch mir war bei der ersten Begegnung mit den Stuten aufgefallen, dass sie stattlicher und eleganter wirkten, als die herkömmlichen Reitpferde der Clans. Keine Ahnung, was Lan Yahui ihnen gegeben hatte, aber es machte diese Pferde zu etwas besonderem, von ihrer Schnelligkeit mal ganz abgesehen.

„Sie waren ein Geschenk." Antwortete ich. „Von wem? Einem Freund?" Da war wieder der neugierige Lan Jingyi, doch ich schmunzelte nur bei dem Gedanken an die Xueshan-Akademie. Egal, was sich die Schüler unter diesem ‚Geschenk' vorstellten, es war definitiv nicht das verborgene Tal in Yunnan, wo die Schwester der Jade-Zwillinge ihre Schüler ausbildete.

The Yang-Dragon-SealWo Geschichten leben. Entdecke jetzt