Der Wind blies stark über die Hügel, als ich meinen Weg über das weite Grün suchte. Keinen bestimmten Pfad, eher eine Zuflucht zu der man immer wieder kehrt. Ein Ort an dem ich immer Ruhe finden würde...an dem ich mich ihm nah fühlte. Wie kann eine einzelne Erinnerung einem Ort so eine starke Bedeutung geben und gleichzeitig so schmerzhaft zu betreten sein, da man weiß, dass es nie wieder so sein wird wie damals?! Mein schwarzer Rock streifte durch das hohe Gras, während ich Xiao Ping Gou, meinen Esel, voran laufen lies. Er war alt und träge geworden und schon lange nicht mehr im Stande mich zu tragen. Doch er war mein engster Freund in den Jahren geworden, sodass ich es nicht übers Herz brachte ihn zurückzulassen.
Wir wanderten schon seit Stunden durch die wilde und unberührte Natur, bis wir eine kleine Siedlung erreichten mit einer altbekannten Herberge, in der ich mit der Zeit Stammgast geworden war. Beim Betreten des Hauses schlug mir der warme Geruch von Rippchensuppe entgegen und erinnerte meinen Magen daran, wie lang meine letzte Mahlzeit entfernt lag. Mit ihr traten aber auch Erinnerungen, an meine Kindheit, ein und stimmten mich traurig, bei dem Gedanken an diese Zeit. Schnell schob ich diese Gedanken weg. „Entschuldigung der Herr, kann ich Ihnen behilflich sein?" Die raue Stimme des Wirtes lies mich erschrocken herumfahren. „Äh ja...ich würde gerne eine Nacht hierbleiben und eine Mahlzeit zu mir nehmen." Sofort wuselte der kleine, leicht untersetzte Mann los und schaute auf seiner Gästeliste nach einem freien Zimmer. Er war ein freundlicher alter Herr, der seit Jahren diese Herberge führte. Weil er Kinderlos war, sorgte er sich seit jeher darum, wer seine Herberge irgendwann mal weiterführen würde, wenn er nicht mehr war.
"Tatsächlich haben wir noch ein paar freie Zimmer. Darf ich gleich ihre Bestellung aufnehmen?" Schnell bejahte ich und bestellte einen Krug Wein zusammen mit dem heutigen Hauptgang. Der Wirt führte mich an einen Tisch in einer Ecke des Hauses von der aus die Gespräche aller Anwesenden zu hören waren. Er wusste, dass ich diesen Platz mochte, weil ich so an meine Informationen kam ohne aufzufallen. Es war teils unterhaltsam, teils wissenswert, was gerade so draußen in der Welt der Kultivierenden ablief. Ich war gerne in diesem Wirtshaus und gönnte mir ein bisschen Ruhe. Nein, nicht ich war gerne hier....Liang Chang, die Person als die ich mich ausgab, ein fröhlicher und unbesorgter, kultivierender Junggeselle, der unbeschwert durchs Leben ging, war gerne hier. Vor drei Jahren hatte ich mich entschieden mit einem neuen Namen durch die weiten meines Heimatlandes zu ziehen und hatte davor extra mit Hilfe einer neuen Freundin meinen eigenen Tod vorgetäuscht, um Ruhe zu haben. Für die Welt galt Wei WuXian als tot...mal wieder.
"Onkel Chang!" Eine aufgeregte und vertraute Stimme holte mich aus meinen Gedanken und lies mich erschrocken herumfahren. Doch bevor ich richtig wahrnehmen konnte wer mich gerade gerufen hatte, lagen schon zwei kleine Patschhände auf meinen Augen und verdeckten meine Sicht. "A-Ming?" Das helle Lachen des kleinen Mädchens erschallte, als ich ihre Identität erraten hatte. "Wie hast du mich erkannt Onkel Chang?" Ich wollte ihr gerade antworten, da fiel mir auf, dass sie ganz allein hier war. "A-Ming, wo sind deine Eltern?" Auf meine Nachfrage fing ihre Unterlippe sofort an zu zittern. „Weg..."
Erschrocken sah ich die sechs jährige an. „Wie weg?"Wie konnten sie einfach weg sein? So wie ich ihre Eltern kannte, waren sie immer um die kleine besorgt und kümmerten sich darum, dass sie immer unter Beobachtung war und nicht alleine herumlief. „Mama hat mich nachts geweckt und gesagt ich muss mich verstecken, also habe ich mich versteckt und irgendwas ist dann passiert und als ich wieder rausgekommen bin waren überall...es waren überall Tote und Mama war weg und Papa lag da.", erklärte mir die Kleine unter Tränen. Vorsichtig nahm ich sie in Arm und strich ihr sanft übern Rücken. Was zur Hölle war hier geschehen, als ich weg war? „Weißt du warum ihr angegriffen wurdet?" Heftig schüttelte Li-Ming ihren Kopf. Leichte Panik stieg in mir auf, als mir klar wurde, dass ich jetzt wahrscheinlich auf die kleine aufpassen müsste, da wahrscheinlich beide ihrer Eltern Tod waren, wenn ich ihren Erzählungen glauben schenken konnte.
Diese Situation erinnerte mich an längst vergangene Tagen, als ich auf A-Yuan aufgepasst hatte, der später von Lan Zhan aufgenommen wurde. Lan Zhan...ich durfte jetzt nicht an ihn denken. A-Ming brauchte mich. Mist, ich wollte doch nur mal wieder hier vorbeigucken. Ich hatte mich schon längst von diesem ganzen Drama, dass die Kultivierenden geradezu magnetisch anzuziehen schienen, entfernt und wollte nicht schon wieder teil davon sein.
„Hast du Hunger?", lenkte ich vom Thema ab, m sie abzulenken. Schnell wischte sie sich ihre Tränen weg und nickte eifrig, weshalb ich noch etwas für sie bestellte. Lächelnd betrachtete ich das kleine Mädchen, welches hungrig die Suppe in sich hinein löffelte.
„Li-Ming, du wirst erstmal bei mir bleiben. Ok?" Ein leichtes Nicken ging von der kleinen aus. Meine Gedanken schweiften ab. Ich wüsste nicht, wer mit dem JilinWu-Clan im unreinen lag, aber vielleicht wäre es besser, wenn auch sie erstmal meinen falschen Namen tragen würde, um sie besser zuschützen, falls jemand hinter ihrer Familie her war. „Und wen dich jemand nach deinem Namen fragt bist du jetzt Liang Li-Ming, meine Tochter, da wir nicht wissen, warum jemand deine Eltern und ihren Clan ausgelöscht hat. Ok?" Aus zutraulichen, großen braunen Augen blinzelte sie mich an und nickte.Für sie musste das alles viel zu viel sein. Tröstend nahm ich sie in den Arm.Am nächsten Morgen machte ich mich früh mit der Kleinen auf den Weg zum Anwesen des JilinWu-Clans, Li-Mings Geburtsclan. Nur einzelne Karren fuhren auf den ansonsten leeren Straßen. Schon nach kurzer Zeit erreichten wie die Tore der Stadt und verließen diese über einen breiten Hauptweg. Ungesehen schlugen wir einen einen schmalen Pfad ein, der sich durch den großen Hochwald schlängelte und direkt zum JilinWu-Clan führen würde. Irgendwann entschied ich mich dazu A-Ming auf den Rücken zunehmen, da wir schon ziemlich lange unterwegs waren und ihre kleinen Beine sicherlich schon müde vom laufen waren. Ihre ebenso kleinen Patschhändchen verschränkten sich haltsuchend vor meinem Hals, während sie mir unermüdlich von den vergangenen Monaten erzählte, in welchen ich sie nur zeitweise besucht hatte.
Vor genau 3 Jahren hatten sich Lan Zhans und meine Wege getrennt. Tagelang war ich umher gewandert, bis ich auf den JilinWu-Clan traf, der so freundlich war mich aufzunehmen. Ein ganzes Jahr lebte ich bei ihnen unter dem Namen Liang Chang und hatte dann meinen Weg weiter fortgesetzt. Die Familie hatte ich jedoch immer wieder besucht und eine enge Freundschaft über die Jahre aufgebaut.
Vollkommen in meinen Gedanken versunken bemerkte ich nicht, dass wir schon angekommen waren. Erst als die Kleine auf meinem Rücken entsetzt aufschrie sah ich mich um. Im ersten Moment fiel mir nichts auf, bis ich auf die Person am Tor aufmerksam wurde. Eine schwerverwundete Frau lehnte an diesem und schien sich nur mühsam auf den Füßen halten zu können. Sie schien einen letzten Kampf mit sich und dem Tod auszufechten. Mir blieb der Atem weg, als ich die Frau als Madame Li Xia, A-Mings Mutter, erkannte. Schnell lies ich die Kleine runter und eilte zusammen mit ihr zu Li Xia.
„Madame Li, was ist passiert?" Aus halbgeschlossenen Augen blinzelte mich die junge Frau an. „Wo ist A-Ming?"
„Sie ist bei mir, aber..." „Versprich mir, dass du auf sie aufpasst." Hilflos sah ich auf die sonst so fröhliche und aufgeweckte Frau.
„Versprich es mir!" Ihre Stimme war fester bei bei diesem Satz.
„Ich verspreche es dir, aber Madame Li was ist passiert?" „Wir wurden überwältigt...du musst Wu Li-Ming beschützen. Du erinnerst dich doch noch an das Kästchen unter der Steinplatte in der Eingangshalle?", brachte sie schweratmend hervor. Schnell nickte ich. „Hol das heraus und behalte es...es ist jetzt deine Aufgabe das Yang-Dragon-Seal zu beschützen...es ist das Gegenstück zum Yin-Tiger-Seal..."
Diese Erklärung schien all ihre letzten Kräfte komplett aufgebraucht zu haben, da sie danach in sich zusammensackte. Verzweifelt stützte ich Li Xia, in der Hoffnung, dass sie nur ihr bewusstsein verloren hatte. Mit zitternden Fingern suchte ich nach ihrem Puls. Doch er war nicht mehr da.
Ein leises Schluchzen erinnerte mich an Li-Mings Anwesenheit, weshalb ich mich so gut wie möglich versuchte um die Kleine zu kümmern, indem ich sie von ihrer Mutter wegbrachte und das Anwesen betrat. Schnell war das Kästchen geholt, sodass ich mit A-Ming auf dem Arm den Todesort ihrer Mutter verließen.Ich hatte keine Ahnung wo ich als nächstes mit ihr zusammen hingehen könnte, zumal es anscheinend jemand auf den JilinWu-Clan angelegt hatte und die Kleine somit in Gefahr war.
Ich spürte, wie der schmächtige Körper der Kleinen kräftig anfing zu zittern, als die ersten Schluchzer ihren Mund verließen. Sanft drückte ich das Mädchen näher an mich heran, sodass sie ihren Kopf in meiner Halsbeuge verbergen konnte.
Ein starker Beschützerinstinkt stieg in mir auf und ich schwor mir selbst Wu Li-Ming mit meinem Leben zu beschützen.
Mein Ziel waren die Grabhügel, da ich dort vorerst die Kleine in Sicherheit hatte und mich mit dem Siegel mehr auseinander setzen konnte. Fragen über Fragen wirbelten durch meinen Kopf. Seit wann gab es ein Gegenstück für das Yin-Tiger-Seal, das wohlgemerkt ich erschaffen hatte, und was hatte es damit auf sich?
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The Yang-Dragon-Seal
Fanfiction[beendet] Drei Jahre ist es her, dass Wei Ying und Lan Zhan getrennte Wege gingen. Die Jahre vergingen und Wei Ying täuscht sogar seinen Tod vor, um seinem Ruf als Yiling Patriarch zu entgehen. Die Zeit brachte Wei Wuxian einen neuen Clan in welchem...