Teil 1

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Liljas Sicht

Der eisige Wind pfeift durch die Baumkronen. Es klang wirklich wie ein pfeifen oder eher wie ein heulen. Wie ein recht gruseliges heulen. Die dichten, dunkel grauen Wolken zogen an mir vorbei. Kein Vogel war mehr zu sehen. Sie hatten alle rechtzeitig Schutz gesucht. Die dicken Schneeflocken wirbelten wild durcheinander. Er fiel immer dichter. Immer größere Flocken bahnten sich ihren Weg von den grauen Wolken zur Erde herab. Suchten sich ihren Weg, um auf der hohen Schneedecke liegen zu bleiben. Verschmolzen dort zu einer weißen Landschaft. Vermittelte den Eindruck, friedlich zu sein. Doch diese friedlichkeit täuschte. Ich liebe Schnee. Er hat etwas reines an sich. Rein und unschuldig. Doch konnte er auch heimtückisch sein.Auf meiner Haut brannte der Schnee. Es brannte und schmerzte. Zeigte mir, das ich noch lebe. Das ich noch fähig bin, etwas zu spüren. Das ich weiter muss. Das ich hier weg muss. Doch mir fehlte die Kraft. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Und so blieb ich einfach liegen. Liegen, im kalten Schnee, sah ihm zu, wie er herunter fiel und meinen Körper sanft einhüllte.

Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Die Orientierung hab ich schon vor langer Zeit verloren. Irrte Stunden durch diesen Wald. Oder waren es schon Tage? Alles sah gleich aus. Lief ich im Kreis? Lief ich in die richtige Richtung? Ich wusste es nicht. Wusste nur, ich muss weiter. Darf nicht liegen bleiben. Der Wind hatte sich abgeschwächt. Die Wolken verzogen sich langsam und es wurde hell. Der Schnee fiel weiter hin in dichten, großen Flocken vom Himmel. Ich atmete schwer. Es tat weh. Alles an mir tat weh. Jeder Knochen schmerzte. Jede Bewegung eine Qual. Ich biss die Zähne zusammen, kroch auf alle viere zum nächsten Baum und zog mich, mit schmerzverzerrtem Gesicht, hoch. Alles drehte sich und mir wurde kurzzeitig schwindelig. Hielt mich weiter fest, schaute mich um. Von wo war ich gekommen? Wo musste ich lang? Ich wusste es nicht. Versuchte mich zu erinnern. Doch gelang es mir nicht. Meine Füsse schmerzten höllisch. Die Kälte fühlte ich nicht mehr. Nur noch die Schmerzen. Die brennenden Schmerzen. Überall. Im ganzen Körper. Ich stütze mich von Baum zu Baum ab. Kam nur sehr langsam vorran. Doch ich dürfte nicht mehr stehen bleiben. Nicht mehr setzen. Zu gefährlich. Musste weiter. Weg. Weg von ihnen.


Ich kämpfte mich weiter. Schritt für Schritt. Die Schmerzen wurden unerträglich. Mir wurde immer wieder schwindlig. Nicht stehen bleiben, ermahnte ich mich immer wieder selbst. Immer weiter gehen. Bei jedem Schritt sank ich erneut in den Schnee ein. Machte das vorwärts kommen immer schwieriger. Müde. Ich bin so schrecklich müde. War die Richtung, die ich lief, richtig? Ging ich wieder zurück? Lief ich im Kreis? Ich hatte Angst. Angst, das ich es nicht schaffe. Angst, das sie mich finden. Ich musste schon wieder stundenlang unterwegs sein. Es wurde langsam wieder dunkel. Verdammt, wie groß ist dieser Wald? Hier muss es doch irgendwo, irgendetwas geben? Hilfe. Ich brauche Hilfe. Es war so bitterkalt. Alles brannte. Fühlte sich teilweise taub an. Ich wollte nicht mehr. Ich konnte nicht mehr. Pause. Ich wollte nur eine kleine Pause machen. Nur kurz setzen. Nur kurz ausruhen. Dann hörte ich was rascheln. Panisch schaute ich mich um. Doch konnte ich nichts sehen. Wo kam es her? Da. Wieder ein Geräusch. Hörte sich an, wie ein Ast, der knackte. Es war ziemlich nah. Doch ich konnte nichts entdecken. Dann hörte ich ein bellen und ein Schäferhund stand vor mir. "TAPSI" hörte ich jemanden rufen. Ich machte einen Schritt zurück und stolperte. Ich schlug unsanft mit dem Kopf auf etwas hartes, dann wurde alles schwarz.

Lost Memories (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt