Teil 44

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*Jukkas Sicht*

Mittlerweile war es spät am Abend und Rafa lag immer noch in meinen Armen, jedoch ist er in der Zwischenzeit wach geworden. Riku hatte den anderen das Foto von Lilja aufs Handy geschickt und diese suchten fleissig weiter. Riku saß die ganze Zeit am Fußende und betrachtete uns immer wieder besorgt.

"Gibt es irgendwas, was du uns sagen möchtest?" fragte ich ihn, ohne lange um den heißen Brei herum zu reden.

"Ich...ähm... Könnt ihr alles mit euren Händen machen? Normal die Finger bewegen, greifen und so was alles?" fragte er, mehr als zögerlich. Ich schaute erst ihn, dann Rafa und dann meine Hände an. Ich löste mich aus Rafas Umarmung, setzte mich auf und versuchte meine Finger alle einzeln zu bewegen. Ich hatte einige Probleme bei der Koordinierung, doch im großen und ganzen klappte es.

"Versuch mal zu greifen" sprach Riku mir aufmunternd zu und hielt mir ein leeres Glas hin. Ich griff mit der linken Hand nach dem Glas und umschloss dieses. Riku ließ langsam los und ich hielt das Glas fest.

"Jetzt die andere Hand" sprach er und klang ziemlich hoffnungsvoll, während er mir wieder das Glas hinhält. Rafa schaut uns fragend zu und da fällt mir ein, das er es ja noch gar nicht weiß, was der Arzt zu unseren Händen gesagt hat. Ich strecke meinen rechten Arm aus, umschließe dieses wieder und Riku lässt das Glas vorsichtig los. Es fühlt sich an, als ob ich nichts in meiner Hand hätte und somit fällt es herunter. Zwischen meinen Waden, direkt aufs Bett.

"Scheisse..." bringe ich nur leise heraus.

"Hey, das wird wieder. Du hast den Arzt gehört. Es dauert nur etwas" versucht Riku mir Mut zu zusprechen. Doch mehr als ein schwaches Nicken bringe ich nicht zustande. Zu groß ist die Angst, das er Unrecht hat. Das ich meine Arbeit, meine Leidenschaft nicht mehr ausleben kann. Was, wenn meine rechte Hand für immer eingeschränkt bleibt?

"Nun du, Rafa. Versuch mal deine Finger zu bewegen" wandte sich Riku ihm zu und auch ich sah gespannt auf Rafas Hände.

Ängstlich schaute er uns an. Ich versuchte ihm so schonend wie möglich zu erzählen, was der Arzt meinte und mit jedem Wort wurde er blasser. Ich legte meine Hand auf seine Schulter, um ihm beizustehen und nickte ihm zu. Langsam hob er seine rechte Hand und bewegte jeden Finger einzeln. Alles klappte ohne Probleme. Auch der Test mit dem greifen verlief problemlos und ich spürte förmlich, wie er sich etwas entspannte.

"Nun die linke" forderte Riku ihn auf und man sah Rafa deutlich seine Angst an. Wieder bewegte er seine Finger alle einzeln. Auch den Greiftest bestand er ohne Probleme und man konnte deutlich sein erleichtertes ausatmen hören.

"Na siehst du, alles bestens" meinte ich zu ihm.

"Ja, aber bei dir nicht" meinte er traurig.

"Das wird wieder. Mach dir darüber keine Gedanken" erwiderte ich und hoffte, ich konnte die Angst in meiner Stimme unterdrücken. Nickend legte er sich wieder hin, während ich aus seinem Bett stieg, bis sich plötzlich eine Hand um mein Unterarm legte. Langsam drehte ich mich zu ihm um.

"Kannst du bitte hier bleiben...?" fragte er mich leise. Lag es nur an seinem Alptraum? Hatte er Angst, die Augen zu schließen? Hatte er dann auch die schrecklichen Bilder vor Augen, was passiert war?

"Natürlich" erwiderte ich leise, legte mich neben ihm und meine Arme um ihn. Sofort rutschte er dichter an mich und legte seinen Kopf auf meine Schulter.

"Ich bin eben in der Cafeteria" meinte Riku und war schon verschwunden.

"Magst du mir von deinem Traum erzählen? Oft hilft das" fragte ich Rafa leise und zögerlich fing er an zu erzählen, während ihm wieder die Tränen liefen. Ich strich ihm die ganze Zeit beruhigend übern Rücken und hörte ihm schweigend zu.

"Ob der Traum was zu bedeuten hatte? Das sie plötzlich weg war? Das ich sie nicht vergessen soll. Wie könnte ich das je? Ich liebe sie doch... Jukka, ich will sie nicht verlieren. Ich hab so schreckliche Angst um sie. Wer weiß, was die Typen mit ihr machen" flüsterte er verzweifelt und ich hielt ihn fest an mich gedrückt.

"Der hatte ganz sicher nichts schlimmes zu bedeuten. Dein Körper versucht nur zu verarbeiten, was er in den letzten Tagen erlebt hat und das war nicht gerade wenig, oder harmlos. Ihr geht es bestimmt gut. Wir werden sie finden und dann wird alles wieder gut. Nun mach die Augen zu und versuch dich etwas auszuruhen, damit du schnell wieder zu kräften kommst. Hab keine Angst, ich bin hier" flüsterte ich leise und versuchte es mir gleichzeitig auch einzureden.

"Danke..." murmelte er und war schon erschöpft eingeschlafen. Mit dem Daumen trocknete ich seine restlichen Tränen und strich ihm weiterhin über den Rücken. Nachdenklich betrachtete ich ihn. Selbst wenn er schläft, stand ihm die Angst und Verzweiflung ins Gesicht geschrieben und automatisch drückte ich ihn noch näher an mich. Ich fühlte mich dafür verantwortlich, was er gerade durchmacht und hatte das Bedürfnis, ihn zu beschützen. Auch wenn ich innerlich wusste, das es nicht meine Schuld war. Ich musste einfach für ihn da sein. Konnte ihn damit nicht alleine lassen. Gott, er sieht gerade genau so zart und zerbrechlich wie Lilja aus. Ohne es zu merken, strich mein Daumen sanft über seine Wange. Ich werde auf dich aufpassen und dich beschützen. Ich werde dir helfen und unterstützen. Darauf gebe ich dir mein Versprechen. Dort, wo mein Daum seine sanfte Haut berührte, hinterließ ein sanftes, angenehmes kribbeln in meinem Finger. Schnell nahm ich meine Hand weg und strich wieder behutsam über seinen Rücken. Ich merkte, wie er sich langsam entspannte und schloss die Augen.

"Hey Jukka, bist du wach?" hörte ich Samu und riss erschrocken die Augen auf.

"Sorry, wollte dich nicht wecken. Wir sind wieder da und wollten nur Bericht erstatten" sprach er leise. Bericht erstatten. Klingt, als wären sie nicht erfolgreich gewesen und traute mich fast gar nicht, nachzufragen. Könnte es doch meine Hoffnungen zunichte machen, sie schnell und gesund wieder zu finden. Ich wollte mich aufsetzen, doch kam ich nicht sehr weit. Ich schaute an mir runter und sah, wie Rafas Kopf auf meiner Brust liegt. Sein Arm fest um mich geschlungen, so als hätte er Angst, das ich gehen könnte, wenn er schläft. Schmunzelnd blieb ich liegen und legte meine Hand auf seinen Rücken. Er seufzte kurz auf und schlang sein Arm noch fester um mich.

"Habt ihr etwas gefunden?" fragte ich Samu hoffnungsvoll.

"Leider nein. Wir haben jedes Gebäude, ja jede noch so kleine Hütte auf den Kopf gestellt, doch leider alles erfolglos. Jetzt ist es zu dunkel, doch morgen früh werden wir sofort weiter suchen. Auch mit dem Förster treffen wir uns morgen. Er kennt den Wald so gut, wie kein anderer. Vielleicht haben wir nur was übersehen" erwiderte Samu und man konnte deutlich hören, wie gerne er mir etwas anderes erzählt hätte. Leise, fast unbemerkt, schlichen sich die kleinen, salzigen Tränen aus meinen Augen und Samu zog mich in seine Arme.

"Wir müssen sie finden. Verspricht mir, das wir nicht eher mit der Suche aufhören, bis wir sie gefunden haben. Versprecht es mir" rief ich verzweifelt in den Raum und schaute jeden an, wobei die Tränen meine Sicht verschleierten.

"Wir geben nicht auf und wir werden sie finden. Verlass dich darauf" erwiderte Mikko, doch man konnte an seiner Stimme hören, das er nicht so zuversichtlich war, wie es seine Worte glauben lassen sollten.

"Natürlich werden wir die Suche nicht aufgeben. Wir lassen niemanden hängen, das weist du doch" kam es von Riku und er klang dabei so überzeugend, das auch meine Hoffnung langsam wieder etwas stieg. Allmählich beruhigte ich mich wieder.

"Komm, du musst was Essen" meinte Sami und reichte mir ein Teller mit belegten Broten. Eigentlich hatte ich gar keinen Hunger, doch ich wusste, sie würden nicht locker lassen, also zwang ich mich, wenigstens eine Stulle zu essen, währenddessen erzählten sie mir, wie genau ihre Suche ablief.

"Wir lassen morgen Plakate mit ihrem Foto drucken und verteilen sie in der ganzen Stadt. Auch ein Tv und Radioaufruf lassen wir machen. Vielleicht hat sie ja irgendjemand gesehen und kann uns Anhaltspunkte geben. Oder jemand erkennt sie wieder" sprach nun Raul.

"Und in sämtlichen Zeitungen erscheint täglich eine Anzeige mit ihrem Bild" ergänzte Sami.

"Danke Jungs. Es tut mir leid, das ich euch nicht früher eingeweiht hab. Aber sie hatte solche Angst und ich wollte ihr nicht zu viel zumuten. Hätte ich doch nur früher geahnt, was passieren würde..." murmelte ich schuldbewusst und senkte niedergeschlagen den Kopf.

"Dafür kannst du doch nichts. Das konnte niemand voraussehen. Mach dir keine Vorwürfe, es ist nicht deine Schuld" sprach Samu. Ich nickte nur noch und fiel kurz darauf erschöpft in einen unruhigen Schlaf.

Lost Memories (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt