Teil 6

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*Liljas Sicht*

Verarzten? Er soll mich anfassen? Berühren? Mein Körper berühren? Ein kribbeln zog an meiner Wirbelsäule hoch, in mir zog sich alles zusammen, verkrampfte sich und ich fing automatisch zu zittern an. Ich wollte das nicht. Wollte nicht, das mich jemand anfässt. Wollte keine Hände auf meiner Haut spüren. Wollte seine Hände nicht spüren. Nicht mal meine eigenen. Nicht anfassen. Bitte nicht. Mit einmal klopfte es leise und die Tür ging es kleines Stück auf und Tapsi kam Schwanzwedelnd auf mich zu. Ich kuschelte mich an sie und sofort ging es mir etwas besser. Ich versuchte mich zu beruhigen und stand langsam auf. Mir wurde sofort schwindlig, als ich stand.

Tapsi lief dicht neben mir und so gingen wir ins Bad. Ich ließ den Bademantel fallen und schaute in die Spiegel. Ich löste den Verband am Rücken und machte etliche Pflaster an meinem Körper ab. Ich erschrak über den Anblick, der sich mir dort bot. War das ich? War das blasse, dünne Mädchen dort im Spiegel wirklich ich? Es gab fast keine Stelle, die nicht blau, gelb, grün, lila oder eine andere Farbe hatte. Ich sah schrecklich aus und ekelte mich vor mir selber. Woher kommt das? Wer hat mir das angetan? Und warum? Was habe ich getan? Womit gab ich das verdient? Mir wurde schlecht und übergab mich in die Toilette. Ich blieb einen Moment da hocken und wischte mir anschließend den Mund aus.

Dann stieg ich vorsichtig und unter Schmerzen in die Wanne und schloss die Augen. Das heiße Wasser umschloss meinen Körper und eine angenehme Wärme bereitete sich in mir aus. Ich schaffte es sogar für ein paar Minuten zu entspannen. Ich träumte mich weit weg. Auf eine einsame Insel irgendwo im Mittelmeer, wo ausser mir niemand war. Doch. Tapsi. Tapsi nahm ich mit. Sie blieb steht's an meiner Seite und war mir ein treuer Freund und Begleiter geworden. Sie hörte mir stets zu, auch wenn ich gar nichts sagte. Kuschelte sich an mich, wenn ich einsam war und brachte mich durch komische Aktionen zum Lachen, wenn ich traurig war. Wir bauten uns einen kleinen Unterschlupf um eine Palme rum. Richtig mit Dach und kleinem Fenster. Diese sollte uns Schutz vor dem Wetter bieten. Eine kleine Feuerstelle, die uns abends Wärme spendet und zum Fisch grillen.

Ich wurde durch leises wimmern in die Realität zurück geholt. Tapsi schaute mich schief an und leckte mir meine Hand ab. Das Wasser war mittlerweile kalt. Hab gar nicht gemerkt, das ich solange in der Wanne war. Ich wusch mich und meine Haare unter Schmerzen, trocknete mich ab und zog die viel zu großen, jedoch sehr kuscheligen Sachen von Jukka an. Ich konnte keine Bürste entdecken und so ließ ich meine Haare ungekämmt. Ich stellte mich ans Fenster und versuchte draussen in der Dunkelheit was zu entdecken. Ich erkannte jedoch lediglich die Umrisse einer kleinen Hütte und Bäume. Meine Beine fingen wieder an zu zittern und so setze ich mich ins Bett, wo Tapsi sich an mich kuschelte.

Während ich im sitzen aus dem Fenster schaute, ließ ich meine Gedanken wieder wandern. Ich versuchte mich, an etwas zu erinnern. An irgendetwas. An eine Kleinigkeit. Wer bin ich? Wer war ich? Wo komme ich her? Was habe ich gemacht? Vermisst mich jemand? Werde ich gesucht? Wo sind meine Eltern? Habe ich Geschwister? Freunde? Oder war ich alleine? Jedenfalls fühlte ich mich so. Was ist mir passiert, das mein Körper solche Verletzungen aufweisen? Wurde ich überfallen? Ich versuchte mich zu konzentrieren. Doch es blieb alles schwarz und neblig in meinem Kopf. Was ist, wenn ich mich nie wieder erinnern kann? Wenn mir nicht mal mein eigener Name einfällt? Oder wann ich geboren wurde? Wenn es für immer schwarz bleibt? Das Mädchen ohne Vergangenheit. Das Mädchen, das praktisch nie gelebt hat. Das Mädchen, das bei Null anfangen muss. Das Mädchen, das niemand kennt. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Was sollte aus mir werden? Würde ich alleine sein? Wollte ich überhaupt jemanden bei mir haben? Ich zog meine Beine an, legte meine Arm rum und wippte leicht hin und her. Driftete ab, in eine Zwischenwelt. Eine eigene Welt für mich geschaffen. Doch auch hier war alles schwarz. Niemand da, der mir half. Niemand da, der mir meine Fragen beantworten konnte. Ich bemerkte nicht, das Tapsi meine Hand ableckte. Bemerkte nicht, das es klopfte. Bemerkte nicht, das jemand den Raum betrat...


Lost Memories (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt