Teil 35

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*Liljas Sicht*

Als erstes nahm ich Rafa wahr. Er war wieder da. Hab ich so lange geschlafen?

"Es war nur ein Traum. Es ist alles gut. Wir sind hier" hörte ich Jukkas vertraute Stimme und augenblicklich wurde mir etwas wärmer ums Herz.

"Erinnert..." stammelte ich nur und versuchte meine Gedanken aus dem Traum zu sammeln.

"An was hast du dich erinnert" fragte Jukka leise, während Rafa sich neben mich setzte. Doch die Gedanken und Erinnerungen an dem Traum sprudelten so wahnsinnig schnell in meinen Kopf, das ich kein klaren Gedanken mehr fassen konnte. Sie überrannten mich praktisch und ich fiel innerlich zusammen. Ich konnte und wollte nicht mehr. Es war zuviel. Es war mir zuviel und so spürte ich nur noch, wie die salzigen Tränen in kleinen Flüssen über meine Wange liefen. Alles brach aus mir heraus und das mit einer Heftigkeit, das ich dachte, mein Kopf platzt. Rafa zog mich auf seinen Schoß, legte seine Arme mich, während er mir über den Rücken streichelte und sang leise. Ich vergrub mein Gesicht in seinem Hals und ließ alles raus. Hoffte, mit jeder Träne, die mein Körper verließ, würde eine Erinnerung verschwinden. Würde alles schreckliche aus meinem Kopf weg spülen, doch dem war nicht so. Diese schrecklichen Bilder blieben. Brannten sich richtig ein und nahmen mir fast die Luft zum atmen. Immer mehr Tränen flossen und ich hang mehr in seinen Armen, als ich saß. Doch er sang unermüdlich weiter. Unterbrach sein streicheln keine einzigste Sekunde. Ich versuchte die Gedanken zu verbannen. In die hinterste Ecke und versuchte mich auf diese leise, warme Stimme zu konzentrieren. Legte alle meine Aufmerksamkeit darauf und nach und nach spürte ich, wie ich mich allmählich beruhigte. Wie die Tränen versiegten. Langsam hob ich meinen Kopf, bis ich fand, was ich suchte. Was ich brauchte. Seine Augen. Diese unglaublich blauen Augen, die mich kurzzeitig alles vergessen ließen. Deren Wärme ich bis in meinen Bauch spüren konnte. Deren strahlen mein Herz zum rasen brachten. Ich war so auf seine Augen fixiert, das ich seine Hand nicht kommen sah. Doch mit einmal lag sie auf meiner Wange. Still ruhte sie da. Schien auf irgendwas zu warten. Und...es störte mich nicht. Ließ kein kribbeln heraufbeschwören. Das einzigste, was es bewirkte, war, das mein Herz aus dem Takt kam. Wild und schnell pochte es in meiner Brust. Während sich diese angenehme, wohltuende Wärme in meinem ganzen Körper ausbreitete. Seine Augen veränderten sich kurzzeitig zwischendurch und ich meinte ein Hauch von Traurigkeit zu erkennen. Doch verschwand dieser genau so schnell, wie er gekommen war. Sein Daum streichelte meine Wange so sanft, das ich schon Angst hatte, ich würde mir das einbilden. Wollte ich wirklich, das er dies tat? Das er mich so streichelte? Nicht nur zum trösten und beruhigen, sondern anders. Eben so, wie jetzt. Das es meine Gefühle durcheinander brachte. Ja, in diesem Moment wollte ich das. Rückte es doch das schlechte alles in den Hintergrund rücken. Ließ es doch alles andere vergessen. In dieser Sekunde gab es nur ihn und mich. Und meine Augen, die plötzlich so schwer wurden. Doch ich wollte nicht schlafen. Wollte nicht wieder träumen, doch schaffte ich es nicht, gegen diese unglaubliche Müdigkeit anzukämpfen.

"Müde" hauchte ich leise.

"Dann schließ deine Augen. Wir sind hier und sofort zur Stelle, sollte etwas sein. Träum dich an einen warmen Sandstrand und lausche dem Meeresrauschen" flüsterte er leise und noch während er sprach, lehnte ich mich erschöpft an ihn und war schon wieder eingeschlafen.

*Jukkas Sicht*

Ich weiß nicht, wie lange ich schon in Gedanken versunken in der Küche saß. Irgendwann störte mich die Ruhe und ich beschloss, nach den anderen beiden zu schauen. So stand ich auf und ging mit etwas zu trinken, ins Wohnzimmer. Dort saßen die beiden immer noch so, wie ich sie zurück gelassen hatte. Nur, das Lilja sich beruhigt hatte und wieder schlief. Ich legte etwas Holz im Kamin nach und setzte mich in den Sessel.

"Hat sie etwas gesagt? Woran hat sie sich erinnert?" fragte ich Rafa.

"Sie hat nicht's gesagt. Nur das sie müde ist. Doch sie hat lange und heftig geweint. Es muss wirklich schrecklich gewesen sein" erwiderte er.

"Da wünscht man sich, das sie sich nicht erinnern würde. Das alles tief und verborgen im dunkeln bleibt" flüsterte ich und Rafa nickte nur.

"Hast du noch mal was gehört oder gesehen? Oder ist das Netz wieder da?" fragte er weiter.

"Weder das eine noch das andere. Doch ich hab ein verdammt ungutes Gefühl seitdem und kann es nicht zuordnen. So, als ob noch etwas passiert. Verstehst, wie ich das meine?" versuchte ich es leise zu erklären, um Lilja nicht zu wecken.

"Ich verstehe sehr gut, was du meinst. Tapsi ist auch ziemlich unruhig. Was machen wir, wenn die Typen wirklich da draussen sind? Wer weiß, wie viele es sind. Sie dürfen Lilja nicht's tun. Sie dürfen sie nicht in die Finger bekommen" erwiderte Rafa und ich konnte deutlich seine Verzweiflung in der Stimme hören.

"Wie könnten versuchen, zum Auto zu kommen und wegzufahren. Doch wenn sie wirklich da draussen sind, wären wir dann das perfekte Ziel..." sprach ich mehr zu mir selber, als zu ihm. Ich sah, wie Rafa Lilja fester an sich drückte und ich wünschte, ich könnte irgendetwas tun. Die Polizei anrufen. Die Jungs verständigen. Die Typen irgendwie vertreiben. Irgendwas, damit diese Angst verschwindet. Damit Lilja in Sicherheit ist. Noch während ich in Gedanken versunken war, schepperte es in der Küche laut.... Wir zuckten erschrocken zusammen.

"Das Küchenfenster..." flüsterte Rafa. Tapsi setzte sich auf und knurrte leise in die Richtung, aus der das scheppern kam.

"Was..." murmelte Lilja leise und ich überlegte verzweifelt, was ich ihr sagen sollte. Doch Rafa war schneller.

"Da ist nur eine Vase umgekippt" erklärte er schnell, doch ihr Blick verriet mir, das sie es nicht wirklich glaubte. Ich rutschte rüber zu Rafa.

"Geh mit Lilja ins Studio und versteckt euch da. Nehmt Tapsi mit, sie wird euch beschützen... Kommt nur raus, wenn ich es euch sage" flüsterte ich ihm eindringlich zu.

"Nein Jukka, ich lass dich nicht alleine mit denen" versuchte Rafa mich davon abzubringen.

"Doch! Genau das wirst du tun. Du musst für Lilja da sein. Du musst sie beschützen und auffangen, wenn sie dich braucht. Sie braucht dich, vergiss das nicht" erwiderte ich und hoffte, er verstand, worum es mir ging. Er schaute mich traurig und verzweifelt an, doch dann nickte er schwach.

"Jukka..." flüsterte Lilja leise und sah mich mit leeren, traurigen Augen an.

"Hab keine Angst, Lilja. Ich komm euch bald wieder hoch holen, ok? Ich muss schauen gehen, was da los ist. Vertrau mir, es wird alles wieder gut. Das musst du dir immer wieder sagen. Alles wird wieder gut. Tust du das für mich?" fragte ich sie leise und streichelte ihre Wange. Sie legte den Kopf schief und nickte.

"So ist es gut. Wir sehen uns gleich wieder. Und nun leise runter mit euch!" noch während ich sprach, gab ich ihr ein Kuss auf die Stirn und sah ihnen hinter her, wie sie leise ins Studio schlichen. Ich wartete ein paar Minuten ab, in der Hoffnung, sie hatten ein Versteck gefunden und ging langsam in die Küche. Dort schnappte ich mir ein Messer aus dem Messerblock und hoffte, ich müsste es nicht benutzen. Ich lief langsam Richtung Fenster und sah einen großen Stein auf dem Fussboden liegen. Sie hatten wirklich das Fenster eingeschmissen. Ich schaute mich um, um etwas zu suchen, womit ich das Fenster schließen konnte und spürte nur noch einen heftigen Schlag auf den Kopf, dann wurde mir schwarz vor Augen.

Lost Memories (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt