Teil 43

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*Rafas Sicht*

Eine sanfte Briese wehte mir durch's Haar und hinterließ eine angenehme Gänsehaut. Ich fühlte mich einfach nur frei und entspannt. Von Sorgen und Kummer war weit und breit nicht's zu spüren. Lächelnd schaute ich mich um. Überall war weißer Sandstrand. Soweit das Auge reichte. Das Meeresrauschen klang wie Musik in meinen Ohren, während die Möwen übers Wasser ihre Kreise zogen. Ich schloss die Augen und atmete tief die frische Luft ein. Leicht konnte ich das Meeressalz riechen. Doch da war noch ein anderer Duft. Nicht zu beschreiben und mir doch so wahnsinnig bekannt, das ich ihn unter tausenden Gerüchen wieder erkennen würde. Wie in Zeitlupe öffnete ich meine Augen und traute diesen kein Stück. Mehrmals blinzelte ich und doch stand sie immer noch vor mir. Lilja. So wunderschön, wie eh und je. Mit einem zarten, liebenvollem lächeln sah sie mich an und mein Herz drohte vor Freude zu platzen. Konnte dies Wirklichkeit sein? Sie kam ein Schritt auf mich zu und schloss damit die letzte Lücke zwischen uns. Sanft berührten ihre Fingerspitzen meine Wange, welches sofort ein angenehmes kribbeln hinterließen.

"Küss mich" hauchte sie kaum hörbar, während ihren Augen mich anstrahlten. Vorsichtig, ja fast zögerlich kam sie mit ihrem Gesicht dem meinem immer näher. Sanft legte ich meine Hand auf ihre Wange und ließ meinen Daumen drüber streicheln, als mich tausend Blitze durchzuckten. Ein Feuerwerk der Gefühle und Emotionen brach über mich herein, als sich unsere Münder trafen. Zärtlich spielten unsere Lippen miteinander, als ich die Augen schloss, um dieses unbeschreiblich schöne Gefühl zu genießen.

"Halt mich" flüsterte sie in den Kuss hinein und automatisch schlang ich meine Arme um ihren zarten, zerbrechlichen Körper, um sie sanft an mich zu drücken. Doch irgendwas stimmte nicht. Mit einmal fühlte es sich falsch an. Unschön. Ich zwang mich, meine Augen zu öffnen und verzweifelte innerlich bei dem, was ich nun zu sehen bekam. Liljas ganzer Körper wurde immer blasser, ja fast durchsichtig würde ich sagen.

"Lilja..." flüsterte ich verzweifelt und versuchte sie mit meinen Armen festzuhalten.

"Vergiss mich nicht..." erwiderte sie leise. Dabei schaute sie mich mit ihren unglaublich traurigen Augen an und versuchte zu lächeln. Doch bevor ich reagieren konnte, war sie komplett verschwunden. Nicht's deutete darauf hin, das sie eben wirklich hier war. Ich sackte auf die Knie und schrie, so laut ich konnte "LILJAAAAA". Ich öffnete erschrocken meine Augen und saß nassgeschwitzt, aufrecht in einem mir fremden Bett.

Ich fasste mir an mein nasses Shirt. Genau dort, wo es entsetzlich schmerzhaft in meiner Brust pochte und zuckte.

"Hey Rafa. Es ist alles ok. Ganz ruhig. Soll ich die Schwester holen?" fragte mich jemand. Ich hob den Kopf ein Stück an und sah direkt in Rikus Augen.

"Riku? Was...? Wo...?" versuchte ich zu reden, doch fehlte mir die Luft genauso wie die Kraft dafür. Erschöpft ließ ich mich langsam ins Bett zurück sinken und stöhnte vor schmerzen auf. Leise erklärte Riku mir, was passiert war. In der Zwischenzeit kam eine Krankenschwester, die mir etwas gegen die Schmerzen gab. Auch das Jukka mit ihm Zimmer lag, hatte ich nun mitbekommen. Gott sei dank haben sie uns rechtzeitig gefunden. Doch dann war das eben nur ein Traum. Es ist niemals passiert. Vermutlich würde ich ihre Lippen niemals auf meinen spüren. Sie nie schmecken. Sie nie so halten, wie ich es gerne tun würde. Lilja. Oh Lilja. Ich hoffe so sehr, dir geht es gut, dort wo du jetzt bist. Halte durch, wir werden dich finden. Ich geb nicht auf, bis ich dich wieder in meine Arme schließen kann. Ich werde dich finden. Verlass dich darauf und wenn es das letzte ist, was ich tue. Das verspreche ich dir.

"Morgen kommt die Polizei her. Sie brauchen eure Aussagen und auch sie suchen nach Lilja. Habt ihr ein Foto von ihr? Irgendetwas, das die Suche vereinfacht?" fragte Riku. Foto? Handy. Wo war mein Handy? Ich schaute aufm Nachttisch und verzog das Gesicht vor Schmerzen.

"Auf meinem Handy" erwiderte ich daher nur und Riku durchsuchte meine Klamotten danach.

"Wann hast du ein Foto gemacht" fragte mich Jukka neugierig.

"Als Lilja und du geschlafen haben, als du das Fieber hattest..." murmelte ich leise und schaute ihn entschuldigend an, doch er lächelte nur.

"Das war sehr gut" meinte er lediglich und zwinkerte mir zu.

*Liljas Sicht*

Ich hatte so wahnsinnige Kopfschmerzen. Alles dröhnte und hämmerte in meinem Kopf. Was war passiert? War ich immer noch im Kaminschacht? Mir ist so kalt. So schrecklich kalt. Jukka... Rafa... Wo seit ihr? Geht's euch gut? Ich brauche euch doch sehr. Ich zwang mich, meine Augen zu öffnen, versuchte mich zu orientieren. Doch es war alles dunkel. Und somit brauchte ich eine Weile, um mich zurecht zu finden. Nein, ich war definitiv nicht mehr im Kaminschacht. Ich drehte den Kopf leicht, um mich umzuschauen. Es war ein leerer, dunkler Raum. Kein Lichtstrahl war zu sehen. Kein Fenster war an den Wänden. Auch keine Möbel waren da. Lediglich eine dünne Decke lag unter mir auf dem kalten Betonboden. Ich versuchte mich langsam aufzusetzen und lehnte mich an die eiskalte Betonwand. Ich hatte noch immer Rafas Pullover an und wickelte diesen enger um mich. Trotzdem blieb es kalt. Einfach nur so wahnsinnig kalt. Und irgendwie kam mir das hier so bekannt vor. Doch ich konnte mich einfach nicht dran erinnern. War ich hier schon mal? Bin ich von hier abgehauen? War noch jemand ausser mir hier? Was war hinter der Tür? Ich wollte hier nicht sein. Ich wollte weg. Ich wollte zu Jukka. Ich wollte zu Rafa. Ich hatte einfach Angst und fühlte mich so allein. Wo waren sie? Wo war ich? Geht es ihnen gut? Waren sie verletzt? Waren sie hier auch irgendwo? Würde ich sie je wieder sehen? Ich merkte, wie die salzige Flüssigkeit an meinen Wangen herunter lief und wischte mit dem Ärmel vom Pullover drüber. Ich muss stark sein. Ich muss durchhalten. Ich muss kämpfen. Ich hab es ihnen doch versprochen. Und dieses Versprechen wollte ich halten. Ich musste es ganz einfach schaffen. Egal, was da noch kommt. Und sie hatten mir versprochen, mich nicht allein zu lassen. Hatten sie es freiwillig getan? Wussten sie, wo ich bin? Wenn nicht, würden sie mich suchen kommen? Mich finden und einfach fest im Arm halten? Ich rollte mich wieder auf dem Boden zusammen und weinte mich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

*Jukkas Sicht*

Am nächsten Morgen kam die Polizei sehr früh. Sie nahmen unsere Aussagen auf und schickten das Foto an ihre Kollegen. Dann setzte sich einer von ihnen auf dem Stuhl neben meinem Bett.

"Wir sind die Vermisstenanzeigen der letzten Jahre durchgegangen. Doch keine davon passt auf diese Lilja oder Saara. Haben sie keine Vermutung? Irgendetwas, das sie bei sich hatte? Papiere? Ausweis? Irgendetwas?" fragte er mich eindringlich.

"Sie hatte wirklich gar nicht's bei sich. Sie machte eher den Eindruck, als wäre sie Obdachlos, rein vom äusserlichen her, obwohl sie für diese Temperaturen viel zu wenig an hatte. Sie kann sich an nichts erinnern. Irgendjemand muss sie doch vermissen. Eltern? Großeltern? Freunde? Irgendjemand" erwiderte ich verzweifelt und war froh, das Riku sich gerade um Rafa kümmerte, der wieder sehr schlecht Luft bekam.

"Ich werde noch mal nach forschen. Falls ihnen noch irgendwas einfällt, melden sie sich bitte. Die Suchaktion läuft auf Hochtouren, doch ich will ehrlich zu ihnen sein. In den ersten 48 Stunden ist die Chance, jemand entführten wieder zu finden, am größten. Danach sinken die Chancen täglich. Wir geben unser bestes. Ich wünsche ihnen gute Besserung" und mit diesen Worten war er verschwunden.

"Die 48 Stunden sind aber schon um..." flüsterte Rafa und sah mich verzweifelt an. Wieder fing der Computer an, schneller zu piepen und seine Atemfrequenz stieg an. Ich kletterte aus dem Bett und legte mich vorsichtig neben ihm. Dort legte ich meine Arme um ihn und drückte ihn fest an mich.

"Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Wir werden sie finden. Egal, was das für ein Aufwand ist. Wir werden sie finden, hörst du? Wir müssen nur ganz fest daran glauben! Hoffnung und Glaube wird uns zu ihr führen. Wir werden sie suchen und finden. Und dann lassen wir sie nicht mehr gehen" flüsterte ich ihm eindringlich zu. Er nickte nur schwach, klammerte sich an mich fest und schlief irgendwann weinend ein.

Lost Memories (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt