Teil 20

85 8 0
                                    

*Rafaels Sicht*

"Es klingelt", erzählte mir mein Unterbewusstsein. Doch ich ignorierte es. Ich wollte noch weiter schlafen. War viel zu müde und die Augen waren fiel zu schwer, um diese jetzt schon zu öffnen. Die Nacht war viel zu kurz, um jetzt schon aufzustehen und so versuchte ich weiter zu schlafen.

"Es hat geklingelt, beweg deinen Arsch hoch", nervte mich mein Unterbewusstsein weiter.

"Ich will nicht" grummelte ich zurück und drehte mich schwungvoll, doch da war keine Couch mehr und so landete ich unsanft auf dem harten Fußboden.

"Autsch" entfuhr es mir.

"Ha, nun bist du doch wach" freute sich mein Unterbewusstsein und ich hätte schwören können, das es grinst. Ich zog mich an der Couch hoch, angelte nach meinem Handy und schaute, was die Uhr sagte, als mir das Briefsymbol auffiel. Meine Hände zitterten leicht und mein Herz hatte es mit einmal ziemlich eilig. Schnell und irgendwie aufgeregt, öffnete ich die Sms und hoffte, sie war von Lilja.

Es war zumindest eine fremde Nummer und lediglich "Warum" stand drin. Aber moment mal. War das nicht Jukka seine alte Nummer? War das ein Trick? Oder gar eine Verarsche? Aber warum sollte sie, oder er, das tun? Vielleicht hat sie ja die Nummer nur übernommen? Ich überlegte, was ich darauf antworten sollte. Ich hatte den Eindruck, das direkt mit der Tür ins Schloss fallen, nicht so gut ankommen würde. Also langsam angehen lassen.

"Hallo Lilja. Warum nicht? Ein Freund kann man doch immer gebrauchen. Zum Reden. Zum Spaß haben. Zum kuscheln. Einfach, um nicht alleine zu sein ;) Lg Rafa" schrieb ich und schickte sie ab. Ob sie wieder so lange für eine Antwort braucht? Ich hoffte nicht. Ich beschloss, erstmal duschen zu gehen und mich dann auch mal in der Uni blicken zu lassen und so machte ich mich fertig.


*Liljas Sicht*

Es dauerte eine weile, doch so nach und nach fand ich das wichtigste. Ich backte Brötchen auf und machte frischen Kaffee. Anschließend deckte ich den Tisch und überlegte, ob ich Jukka wecken oder schlafen lassen sollte. Aber ich hatte echt Hunger und wollte irgendwie nicht alleine Essen. Ich nahm die Brötchen aus dem Ofen und machte mich auf den Weg nach oben. Wie zu erwarten, lief Tapsi schwanzwedelnd hinter her. Oben im Flur überlegte ich kurz. Was hatte Jukka gesagt? Am Ende des Flures? Links? Rechts? Ich wusste es nicht mehr. So ging ich den Flur lang und blieb an den letzten beiden Türen stehen.

Ich öffnete die erste Tür. Ich stand in einem dunklen Raum und es dauerte einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Ich tastete nach dem Lichtschalter, doch fand ich diesen nicht. Vorsichtig und langsam ging ich durchs Zimmer aufs Fenster zu. Ab und zu trat ich auf etwas weiches oder glattes, leicht knisterndes rauf. Als ich am Fenster ankam, zog ich die schwarzen Vorhänge auf und schaute mich im Zimmer um. Überall lagen Klamotten rum. Und Blätter. Bei näherem betrachten, stellte ich fest, das es Notenblätter waren. Teils nur paar Noten drauf, teilweise beide Seiten beschrieben. Immer wieder Noten durchgestrichen und neu geschrieben. Zusätzlich stand eine Gitarre direkt neben dem Bett, auch ein Keyboard stand hier.

Ansonsten war es recht schlicht gehalten. Weiße Wände, Schrank, Bett, kleine Sitzecke und verdammt unordentlich. Ich musste schmunzeln. Langsam ging ich zum Bett und überlegte, wie ich ihn wach bekommen sollte. Vor dem Bett angekommen, betrachtete ich ihn erstmal nur. Seine Haare standen kreuz und quer. Sein Mund war leicht geöffnet und ein Arm hing aus dem Bett heraus. Ich tippte mit dem Finger leicht an seine Schulter. Keine Reaktion. Ich rüttelte etwas fester. Wieder nichts. Ich bedeutete Tapsi, mir zu helfen. Doch sie stand weiterhin im Türrahmen und bewegte sich kein Stück. Dürfte sie hier nicht rein? Was mache ich den jetzt?

Ich rüttelte ihn noch mal und er grummelte etwas unverständliches vor sich hin. Und nochmal schüttelte ich ihn, doch er drehte sich nur brummend um. Ich grinste und setzte mich auf die Bettkante. Gibt's doch nicht. Irgendwie muss er doch wach zu bekommen sein. Ich wollte es nochmal versuchen. Ich musste es nochmal versuchen. Ich wollte nicht so schnell aufgeben. Und ich dürfte es nicht. Ich sammelte alle meine Kräfte und konzentrierte mich. Dachte nur an dieses eine Wort und öffnete meinen Mund. Mein Herz raste vor Aufregung und ich zitterte leicht vor Anstrengend.

"H-U" mehr kam nicht, doch es reichte aus, das Jukka sich wieder zu mir drehte und recht verschlafen seine Augen öffnete.

"Was möchtest du mir sagen?" fragte er leise. Ich versuchte es nochmal. Doch es kam wieder nichts und ich war den Tränen nahe."Hey, das ist nicht schlimm. Immerhin wissen wir jetzt, das du doch reden kannst" erwiderte Jukka darauf, nahm meine Hand und drückte diese. Ich schaute nur auf Jukkas Hand und wollte nicht glauben, das da nicht mehr kam. Ich atmete nochmal tief durch.

"H-U-N-G-E-R" brachte ich unter größte Mühe heraus und war völlig erschöpft. Wie konnte es so anstrengend sein, ein Wort zu sagen. Jukka strahlte übers ganze Gesicht, setzte sich hin und drückte mich an sich. Ich erwiderte die Umarmung nicht, doch löste ich mich auch nicht aus dieser. Fühlte sich ungewohnt, fremd und doch gut an.

"Irgendwie macht mich das gerade sehr stolz auf dich. Der rest kommt mit der Zeit wie von alleine. Und nun springe ich unter die Dusche und zaubere uns ein leckeres Frühstück" grinste er mir zu und war schon verschwunden. Ich ging lächelnd in die Küche und hatte mit einmal das Gefühl, das ich heute alles schaffen konnte. Ich war stark, mutig und ich hatte gesprochen. Ok, nur ein Wort. Aber es war ein Anfang.

*Jukkas Sicht*

Unter der Dusche ließ ich die letzten paar Minuten nochmal Revue passieren. Sie hatte wirklich gesprochen. Sehr langsam und stotternd, doch es war ein komplettes Wort. Irgendwie musste ich stolz grinsen. Ja, ich war stolz. Auf Lilja. Sah man ihr doch an, wie anstrengend und schmerzlich dies für sie war. Vielleicht konnte sie bald wieder ganz normal sprechen. Ich machte mich fertig, zog mich an und ging runter in die Küche. Dort erwartete mich eine strahlende Lilja, an einem fertig gedeckten Frühstückstisch. Es roch lecker nach frischem Kaffee und noch warmen Brötchen.

"Wow. Daran könnte ich mich gewöhnen" grinste ich und setzte mich an den Tisch. Sie lächelte mich an, schenkte uns Kaffee ein und wir ließen es uns schmecken. Ich beobachte sie unauffällig und irgendwie war sie heute anders. Doch ich kam nicht darauf, was es war. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Nach dem Essen räumten wir zusammen die Küche auf.

"Worauf hast du heute Lust? Wollen wir ein bisschen draussen spazieren gehen? Ein paar Spiele vor dem Kamin spielen? Oder einfach nur auf der Couch lümmeln und ein Film schauen?" fragte ich sie und trocknete unsere Kaffeetassen ab. Sie hatte kein Block dabei und schien zu überlegen, was sie nun machen sollte. Starrte dabei aus dem Fenster. Irgendwann hob sie ihren Arm und zeigte aus dem Fenster raus.

"Möchtest du raus gehen?" fragte ich und sie nickte langsam.

"Dann werden wir das tun. Es ist herrlich draussen, auch wenn es eiskalt ist" grinste ich ihr zu. Nachdem wir in der Küche fertig waren, gingen wir hoch und zogen uns warmhaltende Klamotten an. Nachdem ich fertig war, wartete ich, rauchend, direkt an der Eingangstür auf Lilja. Und immer noch überlegte ich, was heute an ihr anders war.


Lost Memories (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt