Teil 34

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*Rafaels Sicht*

Ich hoffte so sehr, das es wirklich nur ein durchgeknallter Fan ist. Diese Mistgeburten, die Lilja das angetan hatten, dürften nie wieder auch nur in ihre Nähe kommen. Niemals. Und ich würde alles daran setzen, das es nicht passierte. Ich ließ gerade das letzte Rollo runter, als Jukka dazu kam.

"Ich hab kein Netz. Festnetz ist auch tot. Ich hab Samu trotzdem geschrieben. Bezweifel aber, das die Nachricht je ankommt" meinte er verzweifelt und starrte die ganze Zeit auf sein Handy. Ich schaute bei mir nach und natürlich hatte auch ich kein Netz. Das konnte doch alles kein Zufall sein. Fieberhaft überlegten wir, was wir nun tun sollten, als Tapsi leise anfing zu wimmern. Sofort rannten wir ins Wohnzimmer, wo sie vor der Couch saß und Liljas Hand abschlabberte. Sie schien schlecht zu träumen. Wälzte sich hin und her und murmelte irgendwas, was ich nicht verstand. Ich hockte mich neben die Couch und streichelte ihr vorsichtig durch's Haar.

"Hey Lilja. Wach auf. Es ist nur ein Traum" versuchte ich sie zu wecken. Panisch riß sie die Augen weit auf und setzte sich auf.

"Es war nur ein Traum. Es ist alles gut. Wir sind hier" flüsterte nun Jukka.

"Erinnert..." stammelte sie.

"An was hast du dich erinnert" fragte er leise weiter, während ich mich neben sie setzte, sanft und beruhigend mit dem Daumen über ihren Handrücken streichelnd. Doch sie fing so heftig zu weinen an, das sie nicht mehr reden konnte. Ich sah kurz Jukka an und nachdem dieser nickte, zog ich Lilja vorsichtig auf meinen Schoß und legte meine Arme um sie. Sie verbarg ihr Gesicht in meinem Hals, während ich ihr beruhigend über den Rücken streichelte und leise wieder das Lied sang.

*Jukkas Sicht*

Ich war grad wirklich froh, das Rafa hier war. Wüsste gerade nicht, was ich ohne ihn tun sollte. Auch wenn ich vorhin was anderes gesagt hab. Doch so konnten wir uns aufteilen. Während er bei Lilja blieb und versuchte, sie zu beruhigen, schaute ich noch mal sämtliche Fenster und Türen durch. Woran hat sie sich nur erinnert? An etwas, das ihr passiert ist? Es musste was schlimmes sein, ihrer Reaktion nach zu Urteilen. Ich hoffte, das Rafa es schafft, sie zu beruhigen. Ich rannte alle Zimmer durch. Teilweise zweimal. Nur um wirklich sicher zu gehen, das alle Türen und Fenster zu waren. Zwischen durch schaute ich immer wieder aufs Handy. Doch nicht's. Das Netz blieb tot. Zufall? Ich glaubte es nicht. Ich lauschte kurz. Ich hörte Lilja nicht mehr weinen, so ging ich in die Küche, setzte mich auf die Arbeitsfläche und machte mir eine Zigarette an. Gierig inhalierte ich den beruhigendem Qualm. Doch diesmal blieb die erhoffte Wirkung aus. Innerlich fluchte ich, doch versuchte ich ruhig zu bleiben. Was passiert hier nur? Nur ein Fan? Einer dieser Sorte, die Richtung stalken gehen? Die einem immer und überall hin folgen? Liebesschwüre ablegen, obwohl sie einem nicht kennen? Komische Sachen vor die Tür legen? Einbrechen? Einem langsam an den Rand des Wahnsinns treiben lassen? Oder waren das wirklich die Mistkerle, die das Lilja abgetan haben? Konnte sie fliehen und sie wollen sich rächen? Hat sie etwas gesehen oder gehört, das ihr nun zum Verhängnis werden sollte? Es lief mir bei diesen Gedanken eiskalt den Rücken runter. Ich würde sie mit allem beschützen, was ich hab. Ich würde sie mit meinem Leben beschützen. Niemals wieder darf ihr jemand weh tun. Nicht mal ein Gedanke daran, würde ich tolerieren.

*Rafaels Sicht*

Sanft und zärtlich streichelte ich Lilja über den Rücken. Mit dem anderen Arm drückte ich ihren, vom weinen zitternden Körper an mich und hielt sie fest. Fest und sicher in meinem Arm. Leise sang ich immer und immer wieder dieses eine Lied. Bis das zittern langsam nachließ. Bis sie sich langsam beruhigte. Bis mein T-Shirt von ihren Tränen getränkt war. Bis sie vorsichtig ihren Kopf hob und mich ansah. Ihre wunderschönen blauen Augen waren rot und geschwollen. Ich konnte nicht anders. Ich handelte nur noch nach Gefühl. Tat nur das, was mich mein Herz tun lassen wollte. Zaghaft legte ich meine Hand auf ihre Wange und sah ihr dabei in ihre Augen. Ich versank regelrecht in ihnen. Kurz verharrte meine Hand still, wartete ab, ob sie reagierte. Sie mir mitteilte, das sie das nicht möchte, doch nichts geschah. Zögerlich strich mein Daum über ihre Wange, bereit, sofort die Hand wegzunehmen. Doch sie schaute mich einfach nur an. Mein Blick fiel kurz auf ihre Lippen. Diese sanften, sinnlichen Lippen. Wie gern ich sie gespürt hätte. Gespürt und vereint mit meinen. Sie nur kurz schmecken. Nur kurz fühlen. Doch irgendetwas hielt mich davon ab. Sagte mir, es wäre jetzt falsch. So gern ich es ignoriert hätte, umso größer war meine Angst, das es alles kaputt gemacht hätte. So ließ ich meinen Blick schweren Herzens wieder hochgleiten. Suchte ihren Blick und fand ihn. Noch immer strich mein Daum über ihre Wange. Zaghaft, kaum merklich streichelte ich über ihre weiche Haut.

"Müde..." hauchte sie leise.

"Dann schließ deine Augen. Wir sind hier und sofort zur Stelle, sollte etwas sein. Träum dich an einen warmen Sandstrand und lausche dem Meeresrauschen" flüsterte ich leise, während sie sich wieder an mich lehnte und schon eingeschlafen war. Ich deckte sie ein wenig zu, doch hörte ich keine Sekunde auf, ihre Wange zu streicheln.

*Liljas Sicht*

Es war so schrecklich kalt hier. Eine gespentige Stille umgab mich. Kein Lichtstrahl drang herein. Wo war ich hier nur? Irgendwie kam mir alles so vertraut vor und doch überkam mich ein schreckliches Gefühl. Etwas stimmte hier nicht. Etwas machte mir panische Angst. Ich wollte schreien. Schreien, so laut wie ich kann, doch kein laut verließ meine Kehle. Ich blieb stumm und automatisch schoss mein Puls in die Höhe. Ich versuchte mich zu bewegen, wobei ich fühlte, wie sich etwas scharfes in meine Handgelenke schnitt. Und augenblicklich wurde mir bewusst, das ich gefesselt bin. Mir fiel wieder ein, wo ich war. Bei IHNEN. Bei denen, die in mir alles zerstört haben. Die mir sämtliches Leben ausgehaucht haben. Die mir sämtliche Freude und Gefühle geraubt haben. Mich wie ein Stück Fleisch behandeln. Mich benutzen, wann und wie es ihnen passt. Wie SIE Lust und Spaß haben. Immer und immer wieder. Denen es wahnsinnige Freude bereitet, mich nach den Regeln ihres Spiels zu quälen. Einem Spiel, das ich niemals gewinnen könnte. Das einzige, was Erlösung bringen würde, wäre der Tot. Doch soweit ließen sie es nie kommen. Brauchten mich zu sehr, hatten sie mir erklärt. Wollten mich zu sehr, hatten sie lachend gesagt. Liebten mich zu sehr, versicherten sie mir immer wieder. Mir drehte sich der Magen um und ich drehte den Kopf zur Seite. Doch es kam nicht's. Wie auch. War er doch leer. Meine Lippen waren spröde, trocken und aufgeplatzt. Vorsichtig leckte ich mit der Zunge drüber. Der Schmerz ließ kein Zweifel zu. Ich war am Leben. War immer noch hier. Hier, in meiner persönlichen Höhle auf erden.

"Hey Lilja. Wach auf. Es ist nur ein Traum" hörte ich eine sanfte Stimme und ich schreckte hoch....

Lost Memories (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt