Seherin

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„Bitte,versuch dich heute etwas zurückzuhalten. Nesta hat mich mit ihren Blicken getötet", sagte Rhys, während wir durch die Gänge des Hauses des Windes gingen, auf dem Weg zu den Archeron-Schwestern.
„Sie konnte mich noch nie leiden. Und das wird nun auch nicht verbessert, wenn meine bezaubernde Schwester ihr bei jedem Treffen an die Gurgel geht", ergänzte er. Ich sah ihn ungläubig an.
„Ich habe doch nur einen Gefühlsausbruch gehabt", verteidigte ich mich empört. Rhysand schmunzelte. „Das habe ich irgendwo schon einmal gehört..."
Und das nicht von mir, dachte ich. Ich bin dabei gewesen, als Cassian eines der Gebäude am Sommerhof zerstört hat und daraufhin verbannt wurde. Bis heute darf er nicht mehr dort hin, auch wenn es sich nur um kurze Besuche handelte.
Vielleicht sollte es mich etwas mehr ärgern, dass mir gerade seine Wortwahl in den Sinn kam und ich auch diese verwendet habe. Aber das tat es nicht.
„Wenn sie sich einigermaßen benimmt, werde ich dasselbe tun. Aber du kannst nicht von mir verlangen, ihr unmögliches Verhalten zu tolerieren", sagte ich.
Rhysand schien kurz in seinen Gedanken zurückgezogen zu sein. Daher war ich mir nicht sicher, ob er überhaupt gehört hatte, was ich gesagt hatte. Irgendetwas beschäftigte ihn.
Er sah schon den ganzen Tag so aus, als wollte er noch etwas sagen – entschied sich aber jedes Mal anders. Bevor ich ihn darauf ansprechen konnte, sagte er: „Ich möchte, dass Nesta sich hier wohlfühlen kann. Es war ein langer Weg, sie überhaupt dazu zu bewegen, hier ein zuziehen. Sie gehört zur Familie, auch wenn ihr Verhalten oft nicht so angemessen ist."
Ich seufzte, sein bittender Blick ließ mich schließlich nachgeben.
„Ich werde es versuchen. Oberste Priorität hat für mich Elains Behandlung", sagte ich. Rhysand atmete aus, als hätte er die Luft angehalten. Er war tatsächlich erleichtert, dass ich zugestimmt habe. Wahrscheinlich hätte er sonst nicht gewusst, wie er mit Nesta und mir umgehen sollte. Auch wenn er der High Lord war, würde ich sicherlich nicht nach seiner Pfeife tanzen, und ich ging davon aus, dass Nesta der gleichen Ansicht war. Schließlich scheint sie ihn genauso zu verabscheuen, wie sie Cassian nicht leiden konnte.
„Aber ich kann nichts versprechen", ergänze ich trotzig. In seinen Augen erkannte ich kurz etwas Schalkhaftes, dann hörte ich die leisen Stimmen von Feyre und Nesta.
Sie standen bereits vor der Tür zu Elains Zimmer. Nesta versteifte sich, als sie mich sah. Ich versuchte meine Freude bei ihrer Reaktion nicht allzu offen zu zeigen, doch Rhysand schien es bemerkt zu haben. Er knuffe mir mit den Ellbogen in die Seite. Eine stille Warnung.
„Hallo", sagte ich, da ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte, ohne dass es provozierend klang. Nestas Blick war eiskalt. Feyre hingegen lächelte warmherzig und begrüßte mich freundlich. Mein Blick huschte kurz zu Nesta, doch sie sah so abweisend aus wie immer. Daher konzentrierte ich mich erstmal nur auf Feyre.
„Hat sich Elains Zustand in den letzten Tagen verändert?", fragte ich.
„Nein, deswegen bist du doch hier", antwortete Nesta kühl. Ich warf Rhysand einen genervten Blick zu, der sagte: „Muss ich wirklich nett zu ihr sein?"
„Am besten du lernst sie kennen, dann kannst du dir selbst ein Bild von ihrem Zustand machen", lenkte Feyre schnell ein, bevor ich etwas erwidern konnte. Dann öffnete sie die Tür zu Elains Zimmer.

Sonnenlicht durchflutete das luxuriös eingerichtete Zimmer. Alle Vorhänge waren zurückgezogen und legten den Blick auf die Stadt frei. In einem kleinen Sessel vor dem Fenster saß Elain. Ihr Haar, welches das von Nesta und Feyre glich, fiel ihr glanzlos über die Schultern. Sie trug ein schlichtes, hellblaues Kleid und ihre dünnen Arme ruhten auf den Armlehnen. Sie drehte sich nicht um, als wir eintraten. Feyre trat als Erste vor und hockte sich neben den Sessel. „Ich bin's", sagte sie sanft. Elain drehte ihren Kopf ein paar Zentimeter zur Seite.
„Ich habe eine Freundin mitgebracht. Sie würde dich gerne untersuchen", erklärte sie weiter. Nesta sah immer noch missmutig aus, doch sie war ganz auf Elain fixiert. Rhysand blieb im Türrahmen stehen, während ich mich langsam ins Zimmer bewegte. Nestas wachsamer Blick folgte mir aufmerksam.
Feyre hatte mir bereits ihren Zustand beschrieben und mir die Symptome aufgezählt. Ich bin zwar schon einige Möglichkeiten durchgegangen, doch habe alle Vermutungen wieder verworfen. Ich ging um den Sessel herum und betrachtete die kleine Person, die von den Polstern beinahe verschluckt wurde.
Ihre Lippen waren Blutleer, ihre Wangen eingefallen und ihre Haut war so blass, dass es ein Wunder war, dass man ihre Adern nicht durchschimmern sah. Nur noch in ihren Augen schien noch Leben zu sein, denn diese richteten sie auf mich und musterten mich wie ein Falke.
„Hallo Elain. Mein Name ist Aviana. Feyre hat mich gebeten, dich zu behandeln", stellte ich mich vor.
„Ich habe dich gesehen", sagte sie mit dünner Stimme. Ich blinzelte irritiert. Ihr Blick löste sich von mir, ohne eine weitere Erklärung, und blickte wieder auf die Berglandschaft vor ihr. Ich werde wohl nichts aus ihr herausbekommen, was mir weiterhelfen könnte. Dafür war sie zu abwesend und ich war überzeugt, dass sie ihren kritischen Zustand selbst nicht mal wirklich wahrnahm.

Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt