Aviana

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"Sie...sie ist... Wir...wir glaubten sie sei Tod... D-das Gefängnis... Ich konnte nicht ahnen...", stammelte er keuchend vor sich hin und blickte Hilfesuchend zu Rhys. Während Mor einen erschrocken Laut ausstieß und sich die Hände vor den Mund schlug.
Feyre war sich sicjer, das sie ihn noch nie so aufgelöst erlebt hatte, und die Art, wie er die Frau im seinen Armen betrachtete, ließ sie erschaudern. Denn die Gefühle in seinem Blick gingen tief, tiefer, als sie es je bei ihm gesehen hatte.
Rhysand sog scharf die Luft ein, als er die Frau erkannte. Seine Augen weiteten sich und er war so erschüttert, dass er kurz wie versteinert am Treppenabsatz stand. Dann schlüpfte er in die Rolle des High Lords und verteilte Aufgaben, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
„Cassian, bring sie in ihr Zimmer und sorge dafür, dass so viel Sonne wie möglich hinein scheint." Während Cassian an ihnen vorbeiläuft und in eines der vielen Zimmer verschwand, wirbelte Rhysand schon zu Mor herum.
„Bring die Heilerin her. So schnell wie möglich.« Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, als Mor bereits den Wind teilte und verschwand.„Was ist hier los, Rhys? Was hat das alles zubedeuten?", fragte Feyre verwirrt und folgte Rhysand die Treppe hinunter. Er drehte sich zu ihr um. „Das ist eine längere Geschichte. Ich werde dir nachher alles erklären.", sagte er sanft, doch seine Augen wirkten immer noch besorgt und gehetzt zugleich. Sie nickte. Sie erkannte, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, um weitere Fragen zustellen.  Sie straffte ihre Schultern und fragte: »Wie kann ich helfen?« Das liebevolle Lächeln, das sich auf seinen Lippen ausbreitete, sagte mehr als tausend Worte.
„Such ein paar Decken zusammen und bring sie zu Cassian. Ich werde Azriel suchen und Amren eine Nachricht schicken. Cassian wird es nicht zugeben, aber er braucht jetzt jemanden, der bei ihm ist."
Er gab ihr einen schnellen Kuss und im nächsten Augenblick war er ebenfalls verschwunden.

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Ich spürte die Sonne auf meiner Haut. Die prickelnde Wärme, die sie auslöst, tat gut. Doch die Schwärze schien mich zu verspotten, als ich meine Augen öffnete und mein ganzer Körper schmerzte. Was ist passiert? Ein Windstoß trug den Geruch von Meer und Gewürzen an meine Nase. Ich hörte das Treiben einer Stadt, Kinder, die lachten, Marktschreier, die ihre Ware anpriesen, und leises Meeresrauschen in der Ferne. Langsam nahm ich immer mehr wahr. Mein Körper lag auf einer weichen Unterlage und ich spürte das Gewicht von vielen Decken auf mir. Ein Traum, vielleicht? Der sich jedoch unheimlich echt anfühlte?
Vorsichtig tastete ich mein Gesicht ab und erfühlte einen Verband, der um meine Augen gewickelt war. Wo bin ich? Was ist passiert? Panik stieg in mir auf und mein Herzschlag beschleunigte sich.
„Ganz ruhig", erklang plötzlich eine rauche Stimme, die wohl zu einer älteren Dame gehören musste. Dann spürte ich, wie mir ein Becher gegen die Lippen gedrückt wurde.
„Trink das, Mädchen, dann wirst du bald wieder normal sehen können", forderte sie.
„Wo bin ich?", fragte ich, nachdem ich getrunken hatte, und zuckte beim Klang meiner rauen und schwachen Stimme zusammen.
„Du bist in Velaris, Kindchen. Cassian hat dich gefunden und dich hergebracht." Ihre Worte klangen so unwirklich, dass ich einen Moment brauchte, um ihre Bedeutung zu realisieren.
„Das ist nicht möglich. Das...Das kann nicht sein. Ich.."
Meine Stimme überschlug sich und kurze Erinnerungsfetzen zogen an meinen inneren Augen vorbei. Ich erinnerte mich an das grelle Licht, das meine Augen brennen ließ und dann das Gefühl, zu fallen. Ich wollte weitersprechen, doch sie kam mir zuvor.
„Ruh dich weiter aus, du bist immer noch sehr schwach", sagte sie und es wirkte, als würde sie etwas lallen. Meine Müdigkeit überwältigte mich, und als sie weitersprach, wurde ihre Stimme immer mehr in den Hintergrund gedrängt, bis schließlich alle meine Sinne versagten und ich wieder einschlief.
In den nächsten Tagen
wurde mir vorsichtig der Verband um meine Augen entfernt, und ich konnte mich endlich selbst davon überzeugen, wo ich war. Velaris blickte mir genauso atemberaubend schön durch die deckenhohenFenster entgegen, wie ich es in Erinnerung behalten habe. Dennoch konnte ich nicht glauben, dass das hier alles real sein sollte. Jedes Mal, wenn die Sonne am Horizont verschwindet und sich die Dunkelheit über die Stadt legt, bekam ich Panik. Die Angst, in diese Dunkelheit zu blicken und dann wieder in meiner Zelle im Gefängnis aufzuwachen, wurde mit jedem Tag schlimmer. Daher versuchte ich so schnell wie möglich einzuschlafen. Zudem hatte ich regelmäßige Panikattacken, die mir die neu gewonnene Kraft wieder entzogen und dafür sorgten, dass meine Heilung ziemlich langsam voran ging, auch wenn die Heilerin mich mit ihren Tränken versorgte. Sie hatte angeordnet, dass erst mal niemand zu mir durfte, bis ich so weit genesen bin, dass sie zufrieden gestellt ist. Deswegen hatte ich noch mit niemandem, außer der Heilerin, gesprochen oder gesehen. Sie hat es wirklich fertiggebracht, auch Rhysand von mir fernzuhalten, auch wenn er und alle anderen es nicht abwarten konnten, mich zu sehen.
Die Wintersonne, die durch mein Fenster direkt auf mein Bett fiel, stärkte mich mit jedem Tag, der vergeht. Jedoch war meine Magie noch nicht wiedergekehrt: Alles, was ich an Macht fühlte, war ein leichtes Pulsieren in meinem Inneren. Ich wusste immer noch nicht genau, was passiert war, wie ich aus dem Gefängnis fliehen konnte oder warum mich der Sturz nicht umgebracht hatte.

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Ich wurde von Stimmen geweckt, die wohl vor meiner Zimmertür zu streiten schienen.
„Lass mich rein. Sie ist nun seit einer Woche da drin, ohne dass einer von uns auch nur einen Blick auf sie werfen konnte. Ich muss sie sehen", verlangte eine männliche Stimme mit Nachdruck, die ich dann als Cassians identifizierte. Ich erinnerte mich daran, wie ich seine Stimme im Gefängnis gehört hatte und mir die Kehle wund geschrien hatte, und an die darauf folgende Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit. Unwillkürlich fing ich an zu zittern. Aber ich wollte ihn sehen, wollte es so sehr, dass mein Herz schwer wurde, doch ein Teil von mir sträubte sich dagegen. Der Teil von mir, der davon überzeugt war, dass das alles nur Einbildung ist, ein Traum, eine Möglichkeit, um der Dunkelheit in meiner Zelle zu entkommen. Und wenn er reinkommt, würde er meine Halluzination unterbrechen und ich würde in meiner Zelle aufwachen. Wieder vollkommen allein in Finsternis gehüllt, mit dem Gedanken aufzugeben. Unruhig spielte ich am Saum der Bettdecke herum und versuchte, diese Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Was mir unendlich schwerfiel. Ich konnte sie in die hinterste Ecke meines Bewusstseins verbannen, wo sie nur noch einleises, aufgeregtes Flüstern sind. Ich atmete, nun etwas entspannter, tief durch und starrte auf die Tür, von der ich immer noch Cassians Überredungsversuche wahrnehmen konnte. Ohne Vorwarnung öffnete sich plötzlich die Tür und ließ mich überrascht aufjapsen. Dann erschien Cassian im Türrahmen. Seine Flügel hatte er eng an seinen muskulösen Körper angelegt und seine Augen suchten kurz den Raumab, bis er mich entdeckte. Er trat ein, ignorierte dabei die protestierenden Beschimpfungen, die ihm die Heilerin an den Kopf warf, während sie versuchte, ihn wieder aus dem Zimmer zu schieben, und kam langsam auf mich zu. Mir schossen Tränen in die Augen. Bevor er etwas sagen konnte, tauchte eine andere Silhouette hinter ihm auf. Ich erkannte Rhysand sofort. Ich schluchzte auf. Tränen liefen mir über die Wangen.Ich war unfähig, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen, und meine Seele schien vor Freude aufzuschreien. Mein Blick huschte zwischen den beiden hin und her, unschlüssig, wen ich zuerst anstarren sollte. Mit wild klopfenden Herzen umklammerte ich meine Bettdecke.
"Cassian", hauchte ich. Seine Augen schimmerten. Er trat als erster vor.
Seine Arme legten sich um mich und zogen mich in eine vorsichtige, zögerliche Umarmung. Schluchzend klammerte ich mich an ihm fest.
Sein Herz donnerte aufgeregt in seiner Brust. Ich wagte nicht, die Augen zu schließen, aus Angst wieder in meiner Zelle auf zu wachen.
Doch die Wärme, die von ihm ausging und mich umhüllte, wie ein warmer Mantel, und vertrieb für einen kurzen Moment, die hartnäckige Kälte, die sich in meinen inneren eingenistet hatte.
Sein Duft, den ich schon vor langer Zeit vergessen hatte, konnte keine Halluzination sein.
Ich war Zuhause.

Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt