Opfer für den Krieg

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Wir machten uns nicht die Mühe, uns von den Höflingen zu verabschieden, sondern teilten den Wind und kehrten ins Stadthaus zurück. Ich wusste, dass ich noch eine ordentliche Standpauke von Rhysand erhalten würde, aber das war mir gerade herzlich egal, vor allem als ich den Ausdruck in Mor's Gesicht sah. Cassian machte einen Schritt auf sie zu, doch sie wirbelte zu Rhysand herum.
„Warum?" Ihre Stimme brach. Und mir war, als würde auch etwas in meiner Brust zersplittern, als sie in Tränen ausbrach.
Rhys stand nur da, seine Miene verriet nichts. Sie schlug mit der flachen Hand auf seine Brust und schrie: „Warum?"
Er trat ein Stück zurück. „Eris hat Azriel aufgespürt. Uns waren die Hände gebunden. Ich habe das Beste aus der Situation gemacht", er schluckte, „Es tut mir leid."
Mor wirbelte zu Azriel herum. „Warum hast du nichts gesagt!"
Azriel schaute ihr gelassen ins Gesicht - nicht einmal seine Flügel zuckten. „Weil du versucht hättet, es zu verhindern. Und wir können es uns nicht leisten, Berons Gefolgschaft zu verlieren, wenn er herausfindet, über welche Kräfte Feyre verfügt."
„Ihr hättet mich wenigstens darauf vorbereiten können. Aber nein, ihr schubst mich gleich in die brennenden Flammen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken!" Reue schlich sich in Rhysands Augen. Ich stellte mir vor, wie es für mich gewesen wäre, hätte Rhysand Keir zu diesem Treffen eingeladen, ohne es mir zu sagen. Und ich konnte ganz genau nachvollziehen, wie sich Mor gerade fühlte. Sie war seit Jahrhunderten meine Freundin, und sie jetzt so aus der Fassung zu sehen, brachte mein Blut in Aufruhr. Ich wollte irgendwas sagen, um ihr beizustehen, sie daran zu erinnern, dass ich an ihrer Seite war. Aber mir fiel nichts ein. Denn auch wenn ich es zu verhindern versuchte, schlichen andere Gedanken in meinen Kopf herum, die höchstwahrscheinlich einen ähnlichen Streit auslösen würden.
„Du bist ein verschwiegender Kerl", sagte Amren zu Rhys. „Das warst du schon immer und das wird wohl auch für immer so bleiben. Aber das entschuldigt nicht, dass du uns nicht vorgewarnt hast. Ja, du hast richtig gehandelt, du hast deine Karten gut gespielt. Aber deine Mitspieler hast du hintergangen."
Scham huschte über sein Gesicht. »Es tut mir leid.« Mor's tränenverschleicherter Blick richtete sich wieder auf Rhys. „Ich verstehe, dass du das vor allem für Feyre getan hast, aber wage es nie wieder, mir so in den Rückenzu fallen", ihre Augen funkelten wütend, sie schienen zu sagen, dass es eine Weile dauern wird, bis sie ihm verzeihen kann. Rhys nickte kaum merklich, als hätte er ihre stumme Botschaft verstanden. Ohne Azriel eines weiteren Blickes zu würdigen, rauschte sie an uns vorbei, Richtung Treppe, und verschwand in ihrem Zimmer. Ich folgte ihr und hörte noch, wie Rhysand hörbar ausatmete.

Zwei Tage vergingen. In dieser Zeit hat Mor kaum mit Rhysand oder Azriel gesprochen, wenn es nicht unbedingt nötig war. Und da sie nun mal Mor war, verbrachte sie die darauffolgenden Nächte in Bars und Clubs allerart.
Azriel war irgendwo zum Spionieren. Amren übersetzte das Buch des Atems weiter. Rhysand und Feyre besprachen die Einzelheiten mit Eris, und Cassian war zu den illyryischen Lagern aufgebrochen. Ich nutze die Zeit, um unbemerkt zu verschwinden, um meinen Plan in die Tat umzusetzen.

Einen Tag später saßen wir das erste Mal wieder alle zusammen und tauschten uns über die vergangenen Tage aus. Nach drei Morddrohungen, zwei Duellen und einem Machtwort des Generals des Nachthofes, der die Schnauze vollhatte, wird die Dunkelbringer-Armee an unserer Seite kämpfen.
„Beron hat soeben seine Unterstützung bestätigt. Eris hat ganze Arbeit geleistet", verkündete Rhysand. Cassian lehnte sich, sichtlich beruhigt, weiter in seinem Sessel zurück. Auch wenn die Erwähnung von Eris den alten Hass in seinen Augen aufflackern ließ.
„Er hatte ja auch nur eine Aufgabe. Es wäre ziemlich peinlich gewesen, wenn er nicht mal das geschafft hätte", sagte er, dann reckte er den Kopf, sodass er Azriel kopfüber ansehen konnte.
„Wie siehst es mit Hypern aus? Irgendwelche Neuigkeiten, ob sie sich zur Schlacht bereit machen? "
Der Schattensänger schüttelte den Kopf. „Sie sind immer noch dabei, ihre Armeen zu organisieren. Aber es wird schwieriger für meine Spione, etwas herauszufinden. Bald wird diese Quelle der Information versiegen."
„Bis dahin sind wir und die anderen Höfe ebenfalls zum Kampf bereit", sagte Cassian. „Das wird also kein allzu großes Problem sein. Auch wenn es beruhigender wäre, zu wissen, was sie gerade tun."
„Halte deine Augen und Ohren so lange offen wie es geht, aber bringe deine Kontaktpersonen nicht in größere Gefahr, wenn es nicht unbedingt sein muss. Wir haben bereits viele Informationen, mit denen wir etwas anfangen können", wandte sich Rhysand an den Meisterspion.
„Hast du eine Rückmeldung vom Winterhof bekommen? Du hast doch einen Brief geschickt, nachdem wir vom Hof der Albträume zurückgekehrt sind", fragte Mor.
„Der Winterhof wird an unserer Seite kämpfen", antwortete ich für Rhysand. Amren blickte interessiert auf.
„Wie ist dir denn das gelungen, Mädchen?", fragte sie mich. Offenbar ahnte sie bereits, dass es etwas mit mir zu tun hatte. Ich versuchte, Cassian nicht mit meinem Blick zu streifen, und sagte: „Ich werde den Pinzen des Winterhofs heiraten." Cassian setzte sich abrupt auf.
„Was?", fragte Mor und blinzelte heftig.
„Ich habe dem Winterhof durch diese Heirat eine Chance auf Sicherheit geboten. Dafür wird Kallias mit uns kämpfen", fasste ich so kurz wie möglich zusammen. „Das hat nur funktioniert, weil ich meine wahre Identität offenbart habe."
„Du hättest davor mit uns sprechen müssen", sagte Mor. Ich sah, dass sie verletzt war, weil ich nichts davon erzählt hatte. Aber ich hatte keine Wahl, denn ich wusste nur zu gut, dass sie es mir ausgeredet hätte.
„Das hat sie", sagte Rhysand und warf mir einen kurzen Blick zu. Ich nickte. Cassian starrte ihn fassungslos an. „Sie hat mir ihren Plan mitgeteilt und mich davon überzeugt."
„Und du lässt einfach zu, dass sie sich mit dem Prinzen des Winterhofs verlobt, als wäre sie eine verdammte Belohnung?", knurrte Cassian.
„Ich habe Rhysand meinen Plan mitgeteilt, da ich seine Meinung hören wollte", sagte ich.
„Und du bist dir sicher, dass du diese Verbindung eingehen willst?", fragte Mor. Ihr Blick huschte einen Sekundenbruchteil zu Cassian.
„Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken. Ich musste so schnell wie möglich handeln. Rowan sagte selbst, dass seinem Vater eine gewisse Versicherung fehlte. Und diese Sicherheit kann ich ihm geben. Ich bin Stark und meine Magie kann den Winterhof vor einem weiteren Verlust schützen - wie es bei Amarantha der Fall war - wenn es dazu kommen sollte."
„Wenn es dazu kommt, dass wir verlieren, wirst du die erste sein, die sie töten werden", entgegnete Cassian knurrend.
„Dieses Risiko habe ich durchaus einberechnet. Wir können nicht erwarten, diesen Krieg zu gewinnen, ohne Opfer zu bringen."
Cassian kam auf mich zu und packte meine Arme. Sein Körper baute sich wie eine Wand vor mir auf.
„Cassian", warnte Rhysand. Ich hörte die Stimme des High Lords durch die von Rhysand durchschimmern, was bewirkte, dass Cassian sich kurz verkrampfte und mich losließ.
„Wie kannst du das zulassen?"
„Die Armee des Winterhofs könnte in diesem Krieg ausschlaggebend sein. Wir haben keine Verbündeten auf dem Kontinet, jedenfalls keine, die sich die Mühe machen würden, uns zur Hilfe zu kommen", unterbrach Rhysand ihn. „Veena hat eine Möglichkeit gesehen und sie genutzt - und dafür respektiere ich sie sehr. Ich verstehe deine Gefühle, aber wage es nicht in dieser Sache, irgendwas zu unternehmen, was sie gefährden könnte."
Cassians wutverzerrtes Gesicht wandte sich ruckartig zu Rhys.
„Du würdest deine eigene Schwester gegen eine Armee eintauschen, nur um einen winzigen Vorteil zu haben?", zischte er.
Rhysands Auge zuckte.
„Diese Verlobung ist viel mehr als ein Mittel zum Zweck. Aviana ist die Prinzessin des Nachthofes. Die Hochzeit und damit die Verbindung zwischen dem Hof der Nacht und dem Winterhof sind die Grundlage einer Allianz. Die sehr lange bestehen wird - nicht nur für diesen Krieg. Sie wird beiden Seiten zusätzliche Stärke verleihen", erklärte Rhysand.
„Wenn das euer Befehl ist, High Lord", sagte er gefährlich leise. Doch es war nicht als Frage gemeint. Er warf einen letzten Blick auf mich und verließ mit schweren Schritten den Raum. Feyre folgte ihm.
Es tat mir nicht leid, ihn verärgert zu haben. Wenn er mich dafür hasst oder mich deswegen endlich aufgab, war es besser so.
Ich widerstand dem Drang, mich irgendwo festzuhalten, und atmete tief ein.
Rhysand legte mir eine Hand auf die Schulter. „Ich kann auch nicht gerade sagen, dass ich davon begeistert bin. Aber uns fehlten die Möglichkeiten. Ich bin froh, dass du eine gefunden hast, die auch wirklich funktioniert hat, auch wenn an Cassians Worten einiges dran ist."
„Du hast mich nicht gegen eine Armee eingetauscht, Rhysand."
„Das meinte ich nicht", sagte er leise.
„Sobald Hypern gewinnt, wird die Allianz zwischen den Sieben Höfen zerbrechen."
„Falls wir diesen Krieg verlieren sollten, wird der König von dieser Allianz erfahren und alles daransetzen, sie auszulöschen. Und das geht am besten mit deinem Tod", fuhr Mor fort. Rhysand nickte zustimmend.
„Wer weiß, ob ich diesen Krieg überlebe, wenn wir verlieren?"
"Wenn das der Fall ist, kann ich dich nicht beschützen. Die anderen High-Lords wissen nichts von deiner wahren Identität und würden sicher keinen Finger krümmen, um dir zu helfen. Aus Angst und aus Trotz, dass wir eine weitere Allianz hinter ihrem Rücken geschlossen haben."
„Warum geht jeder von euch davon aus, dass ich beschützt werden muss?", brummte ich leise, dann sah ich Rhysand an.
„Es wird uns nicht weiterbringen, den schlimmst möglichsten Fall auszumalen. Dafür ist es ein bisschen zu spät." Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
„Es ist nur so, dass es für uns alle ein heftiger Schlag wäre, dich erneut zu verlieren." Ich senkte schnell den Blick, mit der Befürchtung, dass bei seinen Worten der Handel vielleicht in meinen Augen aufblitzen könnte. Sie wussten nicht, dass sie mich auf jeden Fall verlieren würden.
„Dann sollten wir diesen Krieg lieber gewinnen, was?", sagte ich und lächelte süffisant.

Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt