Seelen

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Ich atmete langsam ein. Schwach, aber... Ich atmete.
Ich konzentrierte mich auf meine Atemzüge. Ein und aus, ein und aus.
Ich hörte Stimmen, doch sie waren zu weit entfernt, als dass ich sie richtig verstehen konnte.
Ich schlug die Augen auf und starrte an die Decke meines Zimmers.
Was ist passiert? Warum konnte ich mich an nichts erinnern? Habe ich geschlafen?
Ein Schrei hallte in meinem Gedächnis wieder, an den ich mich eigentlich nicht erinnern konnte.
Abrupt setzte ich mich auf und legte mir eine Hand auf die Brust.
Der Handel. Er hat mein Herz erreicht. Ich starrte auf meinen Arm, doch alles, was ich sah, war meine Haut. Keine Adern. Kein Verschleierungszauber.
Ich blinzelte, um das Schwindelgefühl loszuwerden, und sah mich orientierungslos um.
Die blassen Gesichter von Mor, Rhysand und Azriel blickten mir entgegen. Amren bemerkte ich erst einen Moment später neben meinem Bett, als sie zischend die Luft ausstieß.
Mein Blick fiel auf das Buch des Atems, auf ihr angestrengtes Gesicht, auf dem Schweißperlen glänzten.
„Das mit der gewöhnlichen Fae nehme ich wieder zurück", sagte ich mit schwacher Stimme. Amren neigte verwirrt den Kopf, doch ich sah dennoch die Erleichterung, die über ihr Gesicht huschte.
„Was ist passiert?", fragte ich an die Anderen gewandt. Ohne ein Wort zu sagen kam Rhysand mit raschen Schritten auf mich zu und schloss mich in seine Arme.
Er zitterte.
Ich war immer noch ziemlich ratlos, was das alles zu bedeuten hatte, sodass ich nur einige wichtige Teile der Erklärung von Rhys aufschnappen konnte. Zudem wusste ich nicht, was man denken oder wie man reagieren sollte, wenn man gerade erfahren hat, dass man von den Toten auferstanden ist.
Meine Magie flimmerte auf, doch die Teile, die mir die Finsternis geraubt hatte, waren nicht mehr da. Dennoch wusste ich, dass die Kraft in mir sich nur geringfügig minimiert hat. Aber immer noch so viel, dass ich den Zauber, den ich gegen Hypern auf dem Schlachtfeld eingesetzt habe, nicht mehr bewältigen konnte.
Aber was mir größere Sorgen bereitete, war eine undefinierbare Leere in mir, von der ich wusste, dass sie vor meinem Tod ausgefüllt war. Sie hinterließ eine Kälte in mir, die mich schaudern ließ. Ich wollte es zurückhaben, was auch immer es war.
Dann spürte ich ihn.
Und alles um mich herum verlor an Bedeutung.
Ich schwang meine Beine aus dem Bett und war beinahe aus der Tür raus, als mir Rhysand noch etwas hinterher rief, auf das ich jedoch nicht achtete.
Alles, worauf ich mich konzentrieren konnte, war das schwache Leuchten unserer Seelenverbindung, das mit jedem Schritt kräftiger wurde. Ich musste mich an der Wand abstützten, doch ich lief immer weiter, bis ich am Treppenabsatz zum Stande kam.
Und da war er.
Cassian.
Sein Kopf fuhr zu mir herum und Feyres Gestalt nahm ich nur als einen Schatten, da sie sofort wieder verschwand. Dennoch erkannte ich das Lächeln auf ihren Lippen.
Die Stufen verschwammen vor meinen Augen, doch mein Körper schien genau zu wissen, wohin er musste. Ich hörte sein entsetztes Luft schnappen, dann fiel ich ihm mit so viel Schwung um den Hals, dass wir uns kurz im Kreis drehten.
Seine Arme schlangen sich um mich und drückten mich so fest gegen seine Brust, dass mir kurz die Luft weg blieb, doch ich wollte ihm nur noch näher sein. Zitternd atmete er aus.

Dann fiel mir auf, wie furchtbar er eigentlich aussah. Die dunklen Augenringe hoben seine blasse Haut hervor. Seine Augen hatten einen gehetzten Ausdruck und schienen jeden Glanz verloren zu haben. Seine ganze Statur wirke dünn und ausgezerrt. Meine Augen weiteten sich erschrocken.
Das war meine Schuld. Mein Tod war es, der in so zugerichtet hatte. Ich wollte mir nicht einmal vorstellen, was er durchlitten haben muss.
Alles in mir erstarrte und ich wich zurück. Sein verletzter Ausdruck folgte mir.
Erst jetzt kam mir die bedeutendste Frage in den Sinn. Die Angst vor der Antwort ließ meinen Körper zittern.
Ich schlang meine Arme um den Körper.
„Wie lange?", fragte ich mit erstickter Stimme. Ich sah es in seinem Gesicht, dass er die Frage nicht beantworten wollte. Und sein Schweigen machte mich noch nervöser.
„Wie lange, Cassian?", wiederholte ich panisch.
„Fast zwei Wochen", hauchte er gequält. Ich zuckte zusammen, als hätte er mich geschlagen.
Cassians Blick suchte den meinen, doch meine Beine gaben schon unter mir nach und ich sank auf die Knie. Cassian war sofort bei mir und ließ sich ebenfalls auf die Knie fallen. Ich sah zu ihm auf. Tränen liefen ihm über die Wange.
„Du bist wirklich hier", raunte er, eher zu sich selbst als zu mir. "Du lebst."
Etwas in seiner Miene veränderte sich.
„Es tut mir leid", sagte er mit rauer Stimme. Sein tränen verschleierten Augen blickten mich an.
„Was tut dir Leid?", fragte ich leise.
„Ich habe dir geschworen, dich zu beschützen. Habe dir versprochen, dass wir dich retten würden. Und beides habe ich gebrochen. Ich habe dich im Stich gelassen. Schon wieder."
Entsetzt darüber, dass er sich die Schuld für meinen Tod gab, schüttelte ich fassungslos den Kopf.
„Nein, du...", ich konnte es kaum in Worte fassen und musste weiter ausholen, um es ihm bestmöglich verständlich zu machen.
„Ich konnte es nur so lange im Gefängnis ausgehalten, weil ich wusste, dass du auf mich warten würdest. Dass du da sein wirst, wenn ich frei bin. Und so war es auch. Du bist nie von meiner Seite gewichen, auch nach allem, was ich zu dir gesagt habe, was ich dir angetan habe."
Ich nahm sein Gesicht in beide Hände und zwang ihn, mich an zu sehen, als er den Blick senkte: „Ich hätte es nicht geschafft, wenn du nicht die ganze Zeit bei mir geblieben wärst, Cassian. Ohne dich wäre ich schon viel früher an all dem Zerbrochen."
Tränen befeuchteten seine Wangen und auch meine Augen brannten. Mein Herz fühlte sich so an, als würde es jeden Moment vor Liebe zerspringen. Ich konnte kaum atmen, sodass ich die nächsten Worte nur noch flüstern konnte.
„Du hast nie aufgehört, deine Hand auszustrecken. Du hast mich gerettet", hauchte ich, meine Stimme brach. Er zog mich wieder an sich und ich vergrub mein Gesicht an der Stelle, wo sein Hals in seine Schulter überging.
„Du hast dich dazu entschieden, lieber zu sterben, als mich zu verletzten, und dieses Geheimnis solange verborgen gehalten. Du hast dich mit dem Prinzen des Winterhofs verlobt, um Kallias Armee für uns zu gewinnen. Du hast mir das Leben gerettet und Hypern zum Rückzug gezwungen. Du weißt gar nicht, wie stark du bist", murmelte er an meinem Ohr, doch ich verstand jedes Wort klar und deutlich.
Ich wich etwas zurück, damit ich ihm in die Augen sehen konnte, legte meine Hand auf seine Wange und lächelte liebevoll.
Dann küsste ich ihn. Atmete den Duft des frischen Winters ein, der an ihm haftete. Er legte mir eine Hand in den Nacken und erwiderte den Kuss.
Doch dieser war nicht unbeherrscht oder gierig, er war zart, gefühlvoll und leidenschaftlich. Ich spürte, wie sein Körper sich endlich entspannte, als würde eine Last von ihm abfallen, und ich wollte ihn nie wieder loslassen, denn jetzt begann unsere Ewigkeit.

Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt