Keuchend schreckte ich aus meinem Albtraum hoch, wobei die Details bereits verblassten.
Sofort zündeten sich die Kerzen an, was wohl an der Magie des Hauses lag und mir eine kurze Erleichterung verschaffte. Ich ignorierte den Schmerz, der Augenblicklich in meinen linken Arm schoss, und versuchte meinen Atem zu beruhigen. Mit der Hand fuhr ich mir übers Gesicht und merkte, dass ich wohl geweint haben muss. Ich versuchte zwar, mir Erinnerungen an den Albtraum ins Gedächtnis zu rufen, aber sie entzogen sich mir kurz bevor ich sie zu fassen bekam.
Die Federdecke schien mich zu erdrücken, also schlug ich sie zurück und stand auf, da ich sowieso nicht in der Lage sein würde, wieder einzuschlafen.
Barfuß tapste ich den spährlich beleuchteten Flur entlang und ging die Treppe hinunter. Ich wollte gerade selbst ein Fae Licht erschaffen, als ich bemerkte, dass in der Küche bereits Licht brannte.
Ich folgte den klirrenden Geräuschen von Geschirr und fand Cassian mit dem Rücken zu mir gewandt in der Küche vor, der offenbar nach Gläsern suchte. Ich wollte mich sofort wieder umdrehen und in mein Zimmer zurückkehren, aber der Gedanke an die stille Dunkelheit, die mich dort erwarten würde, ließ mich zögern. Und da mein Magen seinen Hunger ausdruck verlieh, überlegte ich es mir anders.
„Die Gläser stehen rechts oben im Schrank", sagte ich. Er schien meine Anwesenheit gespürt zu haben, den er war nicht überrascht und sagte: "Ich bin überzeugt davon, das Nuala und Cerridwen die Schränke jedes mal neu sortieren, damit ich mich niemals zurecht finden kann." Er drehte sich zu mir um.
„Wahrscheinlich hocken sie gerade in einer Ecke und freuen sich einen Ast ab."
Ich wusste, dass er mit mir sprach, aber ich nahm seine Worte kaum wahr, da ich schamlos von der Tatsache abgelenkt wurde, dass seine nackte Brust von dem hellen Kerzenlicht beleuchtet wurde. Seine Muskeln waren so gewaltig, dass sie kleine Schatten warfen. Die große Mutter möge mir beistehen.
Meine Blicke schienen, wie von selbst über seinen Oberkörper zu wandern. Ich fixierte seinen Torso, seine Brust, seine Bauchmuskeln und seine nackten Arme. Dann richteten sich meine Augen auf die Muskeln, die V-förmig an seinem Hosenbund zusammenliefen.
Ich räusperte mich und riss mich von seinem Anblick los, nur um zu bemerken, dass er mich mit einem ähnlichen Blick betrachtet. Bis auf das Nachthemd aus cremefarbenem Satin war ich auch nicht sonderlich mehr bekleidet als er.
„Du übernachtest heute nicht im Haus der Winde?", fragte ich unnötigerweise und durchbrach damit die angespannte Stille. Er schluckte. „Die Besprechung hat länger gedauert und ich wollte nicht extra dorthin zurückfliegen."
Ich nickte etwas unbeholfen. Keiner von uns mochte das Haus der Winde. Es war zu weit weg, zu förmlich. Auch wenn die Aussicht unschlagbar war. Sonst waren es nur Azriel und Cassian, die dort wirklich wohnten.
„Schlecht geschlafen?", fragte er sanft.
„Ich wollte mir nur etwas zu Essen holen", wich ich aus. Die Spuren meines Albtraums schienen mir ins Gesicht geschrieben zu stehen, denn er runzelte die Stirn. Ohne seine Reaktion zu beachten, suchte ich die Küche nach etwas Essbaren ab. Cassian lehnte sich mit seinem Wasserglas in der Hand gegen den Tresen und machte keine Anstalt, sich wieder schlafen zu legen. Schließlich fand ich ein paar kleine Fleischpasteten, die unter einem Küchenhandtuch ruhten. Ich bot ihm eine an, die er lächelnd annahm, und hopste auf den Tresen ihm gegenüber. Wobei ich darauf achtete, dass mein Nachthemd nicht zu sehr verrutschte.
„Ich denke nicht, dass die beiden sich die Mühe machen und in deiner Abwesenheit die Küche umräumen", ging ich auf seine Worte am Anfang ein und verspeiste gleichzeitig die Pastete. Die nebenbei himmlisch schmeckte.
„Du machst dir nur nie die Mühe, die Küche zu betreten, außer dir ein Glas Wasser zu holen. Kein Wunder, wenn du nichts findest."
„Schön, dass du mir noch zu hören konntest, während du mich angegafft hast", entgegenete er mit einem spöttischen Grinsen. Ich warf ihm einen bösen Blick zu.
„Ich habe nur nicht erwartet, jemanden um diese Zeit vorzufinden."
„Und ich habe nicht mit so einer hinreißenden Überraschung gerechnet",sagte er und sein Blick wanderte erneut an mir herunter.
„Rowan muss ein echter Glückspilz sein."
Genervt stieß ich die Luft aus, sprang vom Tresen und wollte an ihm vorbeigehen. Doch er war schneller und hielt mich am Handgelenk zurück.
"Warte..." Die Hand, die er um meinen linken Arm geschlungen hatte, brachte den Handel mit der Finsternis unter meiner Haut zum Brodeln. Als würde sie auf seine Berührung reagieren, da es beinahe ein Teil des Handels war, dass ich ihn abwies.
„Tut mir leid." Diese Worte hörte man genauso oft aus meinem Mund, was mich dazu brachte, stehen zu bleiben. Ich war zu müde, um mich wieder mit ihm zu streiten und ihn von mir zu stoßen. Ich blickte in seine haselnussbraunen Augen und verlor mich einen Moment in ihnen.
„Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht, und das liegt nicht nur an den Albträumen."
Auch wenn er mich vom Gehen abgehalten hatte, machte er keine Anstalten, mich loszulassen.
„Ich bin dir keine Antwort schuldig", sagte ich kraftlos. "Das zwischen uns wa..."
„War nur Sex. Ich habs kapiert, Veena", unterbrach er mich. Ich atmete erleichtert auf, woraufhin ein verletzter Schatten über sein Gesicht huschte. Der aber so schnell wieder verschwand, dass es wahrscheinlich nur das Lichtspiel der Kerzen war.
„Es tut mir leid, dass ich das nicht vorher deutlich gemacht habe. Ich hätte etwas sagen sollen, bevor wir miteinander geschlafen haben."
Die Lüge kam mir problemlos über dir Lippen.
„Du musst dich nicht entschuldigen...Ich hätte die Anzeichen erkennen müssen.«
Mein Magen drehte sich um. Jetzt gab er sich die Schuld dafür. Dabei sollte er mir die Schuld geben und mich verantwortlich machen. Er sollte mich hassen.
„Was ist los?", versuchte er es erneut. Es geht mir gut, wollte ich ihm versichern, doch diesmal brachte ich diese Lüge nicht über die Lippen. Doch ich wusste nicht, was ich stattdessen sagen sollte.
„Kommt mit", sagte er plötzlich und zog mich hinter sich her.
„Cassian, was...?"
„Ich möchte dir etwas zeigen, da wir beide wohl keinen Schlaf mehr bekommen werden."
Wir erreichten den Eingangsbereich.
„Ich trage nicht mal Schuhe", protestierte ich, da ich zu überrumpelt war, um an etwas anderes zu denken.
„Und ich kein Hemd", konterte er amüsiert.
Bevor ich darauf beharren konnte, mir wenigstens einen Mantel überzuziehen, standen wir bereits draußen und die kalte Brise zerrte an meinem Nachthemd. Doch der Anblick, wie er seine Flügel ausbreitete und sich zu mir umdrehte, ließ mich kurz alles andere vergessen.
Es ärgerte mich, dass er immer noch so eine Wirkung auf mich hatte. Er bot mir seine Hand an. Dabei huschte sein Blick zu meinem Brüsten, wo sich meine Brustwarzen deutlich unter dem dünnen Stoff abzeichneten.
Er schluckte erneut.
„Wenn du glaubst, dass ich...", setzte ich an, doch Cassian schien nicht sonderlich viel Geduld zu haben, denn er hob mich mit einer flüssigen Bewegung hoch und meine weiteren Proteste blieben mir im Halse stecken. Die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, umfing mich, und seine Magie schirmte mich vor dem Zugwind ab, als er sich in die Lüfte schwang und die Stadt zu einem Lichternetz schrumpfte.
Während wir durch die klare Nacht flogen, schienen seine Hände zu versuchen, mich so wenig wie möglich zu berühren. Was jedoch nicht wirklich funktionierte. Zum einen, weil mein ganzer Körper sich gegen ihn presste, und zum anderen, weil wir beide halb nackt waren.
„Wir haben es vor ein paar Jahren entdeckt, als wir die Grenzen von Rhysands Schutzschild erkundet haben, mit dem er uns hier eingeschlossen hat", erklärte er kyptisch.
„Ich hoffe, dass es nicht die Höhle ist, die ihr zwei Jahrzehnte als Sauf versteck benutzt habt", brummte ich. Seine Brust bebte leicht, als er lachte.
„Wir sind gleich da", sagte er und senkte sich langsam nach unten. Ich betrachtete die rauen Berge, die uns umgaben, deren Gipfel mit einer Schneeschicht überzogen waren. Seine kräftigen Flügelschläge trugen uns problemlos und schnell über die Bergpässe hinweg, für die man sonst Tage gebraucht hätte. Was ich aus eigener Erfahrung beurteilen konnte.
In der Zeit, als meine Magie noch relativ schwach war und ich noch nicht herausgefunden hatte, wie ich meine Flügel erschaffe, musste ich diese Berge zu Fuß bewältigen, wenn ich mich mit Cassian gestritten habe. Was häufiger vorkam, als mir lieb war. Jedoch hatten mich Rhysand oder Azriel nach ein oder zwei Tagen gefunden und mich nachhause geflogen. Danach hatte ich es Cassian auf unterschiedliche Arten heimgezahlt, was gleichzeitig mein Verständnis für meine Magie gestärkt hatte. Vor allem als ich ihn einmal mit einem Zauber belegt hatte, bei dem jede Waffe in seiner Hand nachgab wie ein Stück Butter. Rhysand und Azriel haben sich einen Spaß daraus gemacht und ihn noch Wochen lang damit aufgezogen. Danach hat er mich nie wiederausgesetzt.
Ich musste ein Kichern unterdrücken, als ich mich wieder an das erschrockende Gesicht erinnerte, das er zog, wann immer ich ihm mit diesem Zauber gedroht hatte.
Cassian verlor langsaman an Höhe und ich streckte den Hals, um mehr sehen zu können, als er zielstrebig eine Felswand ansteuerte. Nach wenigen Sekunden erkannte ich, dass dort eine schmale Höhlenöffnung in den Berg führte.
„Doch neugierig?", fragte er spötttisch. Ich schnaufte.
»Ich überprüfe nur die Fluchtwege«, erwiderte ich.
„Glaub mir, die wirst du nicht brauchen."
Wir landeten vor dem Höhlen Eingang, der von schneebedeckten Efeu eingeschlossen wurde und gerade groß genug war, damit ein Illyrianer hindurch schreiten konnte. Sobald Cassian mich absetzte, fehlte mir sofort seine Wärme, doch ich sprach einen kurzen Zauber, der meinen Körper in einen warmen Kokon schloss.

DU LIEST GERADE
Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und Licht
FantasyNach Jahrhunderten in Dunkelheit, Verzweiflung und Einsamkeit, erblickt Aviana wieder das Licht der Welt. Ihr plötzliches auftauchen sorgt für Aufruhr im Inneren Kreis und reißt alte Wunden auf, die nie vollständig geheilt sind. Geheimnisse werden...