Das Treffen

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Aus dem großen,fensterlosen Gemach hoch oben in dem Turm erklangen bereits Stimmen –einige tief, andere scharf und wieder andere in einem singendenTonfall. Es war lange her, doch ich erkannte sie alle. Helion,Kallias, Thesan und Beron. Eine lange Brücke verband die andereHälfte des Turms mit dem Palast. Auf der meine Freunde gerade denoffenen Saal betraten. Das Brückengeländer war mit den üppigenBlütentrauben des Blauregens behangen. Und die zarten Wolken, dieden Himmel überzogen, schienen in dieser Höhe zum Greifen nahe.
Wir hatten uns darauf geeinigt, meine wahre Herkunft zuverschweigen.
Die High Lords werden ohnehin misstrauisch sein undes war meine Aufgabe, ihr Vertrauen wiederzuerlangen.

Die Stimmen, die vonoben zu mir wehten, wurden mehr. Jetzt fehlten nur noch Tarquin undTamlin. Aber ich bezweifle, dass Letzterer noch auftauchen wird.
Elegant griff ich nach dem Rock meines Kleides und stieg dieWendeltreppe hinauf. Unter mir gähnte ein Abgrund, der nur durch diezarten Farben der Rosen gespickt war und einen wundervollen, süßenTod versprach.
Die Gespräche verstummten, als ich mein Kommenmit dem Vibraren meiner Macht ankündigte. Das hatte ich mir beiRhysand abgeguckt. Elegant und doch eindrucksvoll.
In dem großenTurmsaal waren üppig gepolsterte Eichenstühle zu einem weiten Kreisangeordnet, genug für alle High Lords und ihr Gefolge. Nur ein Stuhlstand allein zwischen dem Hof der Nacht und dem Hof des Morgens.Dieser war mir zugedacht. Auch hier waren die Säulen, die den Raumeinfassten, mit Blauregen bewachsen.
Aber der eigentlicheBlickfang war der Kleine Teich, der in den Boden eingelassen war. Aufdem dunklen Wasser lagen rosafarbene und goldene Seerosen mitglänzenden großen Blättern, und darunter schwammen trägeelfenbeinfarbene Fische.
Ich ließ meinen Blick kurz über dieversammelten High Lords schweifen, bevor ich mit erhobenem Kinneintrat. Rhysand, Helion, Kallias und Thesan erhoben sichrespektvoll. Ich errötete tatsächlich, als sie sich gleichzeitigleicht verbeugten, und ich antwortete ihnen mit einem tiefen Knicks.Beron blieb allerdings sitzen und seine misstrauischen Blicke klebtenregelrecht an mir.
„Willkommen", begrüßte mich Thesan.Seine Stimme war genauso tief und dunkel wie seine Augen. SeinGeliebter, der neben ihm stand, mit seiner Hand lässig auf demSchwertknauf an seinem Gürtel, beobachtete jede Bewegung desNachthofs und ignorierte mich.
Ich nickte Thesan höflich zu.Doch auch bei seinem freundlichen Tonfall konnte ich eine gewisseSkepsis erkennen, die sich auch bei allen anderen widerspiegelte. Wasnicht überraschend war, da ich zweihundert Jahre spurlosverschwunden war und jetzt die einzige Überlebende der Samatarianwar. Natürlich werden Sie mir nicht sofort vertrauen, aber deswegenwar ich hier, um Ihren Argwohn zu tilgen.

„Kallias",ergriff Rhysand das Wort. Der High Lord des Winterhofs erhob sich undbetrachtete Rhysands Flügel, die er ordentlich hinter seinem Rückengefaltet hatte, und schien sie sofort wieder zu vergessen. Dieanderen High Fae, die in den Farben des Winterhofs gekleidet waren,königsblau und silber, blieben sitzen. Viviane, die Gemahlin desHigh Lords, eine wunderschöne junge Frau, blickte Mor geradewegs anund fing an zu grinsen. Mor erwiderte den strahlenden Blick. Und dann– gerade als Kallias wieder etwas sagen wollte – hopste sieaufgeregt von einem Fuß auf den anderen und quietschte. Ich biss mirauf die Lippe, um mich von Ihrem Entzücken nicht mitreißen zulassen. Vivane sprang auf und beide stürmten aufeinander los. Alssie sich in den Armen lagen, drückte Mor sie noch enger an sich, alswollte sie sie zerquetschen. Dann lachten sie und weinten und hüpftenauf und ab, was den Rest von Mors königlichem Auftreten zerstörte.Es war lange her, dass ich sie so aufgekratzt erlebt habe.
Kalliasbetrachtete seine Frau und Mor mit einem ergebenden Blick, wagte esaber nicht, dazwischenzugehen.
Meine Aufmerksamkeit schweifte anihm vorbei und richtete sich auf Rowan, den Prinzen des Winterhofs.Er hatte sich kaum verändert. Seine weißen Haare waren etwaslänger, aber seine Augen funkelten immer noch wie grüneEissplitter. Er neigte fragend den Kopf, deutete mit den Augen kurzauf Mor und Viviane, als würde er sagen: Solltenwir uns auch so lächerlich fröhlich begrüßen?
Ichhielt mir schnell eine Hand vor den Mund, um das Kichern zuverstecken.
Rowan trug eine königsblaue Weste, die mitSilberfäden bestickt war und seine muskulösen Arme freilegte. Siehatte denselben Stil wie der Rest der Kleidung des Winterhofs, nurdass er der Schneiderin offensichtlich wieder seine eigenen Wünschemitgeteilt hat.
Seine scharfen Gesichtszüge standen dem derIllyrianer in kaum etwas nach. Ich hatte sein Potenzial als Kriegerauf dem Schlachtfeld mehr als beobachten können und wusste bestimmtvon der Hälfte seiner Narben die Ursache. Entweder war ich dabeigewesen oder er hatte mir davon erzählt, nachdem wir unsere Verlagegestillt hatten.
Dubemerkst seine Gesichtszüge, das bedeutet, dass du ihn anstarrst,was bedeutet, dass du damit aufhören musst.Ich schalt mich selbst und betrachtete stattdessen schnell Beron.Ließ es aber so aussehen, als würde mein Blickfeld ihn nur zufälligstreifen. Unbeeindruckt von seiner Abneigung, die sich in seinenAugen spiegelte, erwiderte ich seinen Blick.
„Du siehst nochgenauso aus", sagte Viviane. „Ich glaube, das ist dasselbe Kleid,das du damals..."
„Du siehst noch genauso aus!" „Pelze,mitten im Sommer, mal wieder typisch."
Die Tatsache, dass beideunsterblich waren und nicht wirklich alterten, schienen sie außerAcht zu lassen.
„Ich wollte sie eigentlich zu Hause lassen",sagte Kallias zu Rhysand, „aber sie hat gedroht, mir die Eiereinzufrieren."
Rhys Grinste. „Kommt mir bekannt vor."
Dochdie lockere, freundschaftliche Stimmung verblasste, genauso wie deramüsierte Ausdruck in Kallias' Gesicht. Auch Rhys' Grinsenverschwand, und zwischen den beiden trat eine gewisse Spannung.
Viviane neigte respektvoll den Kopf, als sie sich daranerinnerte, dass noch andere hier waren. Ich erwiderte Ihre Geste.
Sie blickte kurz zu ihrem Gemahl und eine zarte Röte überhauchteihr blasses Gesicht. Dann richteten sich ihre saphirblauen Augen aufFeyre.
„Danke, dass Ihr mir meinen Seelengefährtenzurückgebracht habt."
»Seelengefährte?«, quiekte Morungläubig. „Dein Gemahl undSeelengefährte?"
„Ihr Zwei seid euch aber schon darüber imKlaren, dass dies hier eine wichtige und ernsthafte Versammlung ist,oder?", sagte Rhys.
„Und dass die Fische in dem Teich da sehrempfindlich auf schrille Töne reagieren", setzte Cassian hinzu.
Viviane lachte bloß.

Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt