Ich wachte mit Cassians Namen auf den Lippen auf. Panisch sah ich mich in dem Zelt um. Mein Herz schlug so heftig gegen meine Brust, dass es beinahe schmerzte.
Bilder zogen an meinem inneren Auge vorbei, wie der General von Hypern ihm ein Schwert in die Brust gerammt hat. Erinnerte mich an seine klaffende Wunde und meine eigenen Schreie.
Ich spürte, dass meine Wangen von Tränen ganz feucht waren.
„Aviana." Erst jetzt bemerkte ich Mor, die auf meiner Bettkante hockte und mich erschrocken ansah.
„Ich... Ich konnte ihn nicht retten. Dabei habe ich alles versucht."
Mein Kopffuhr ruckartig zur anderen Seite, in der Erwartung, dort seinen leblosen Körper vorzufinden, doch die Pritsche war leer.
„Wo ist er?!", meine Stimme war nur noch ein raues Krächzen, als hätte ich stundenlang geschrien.
Wieder sammelten sich Tränen in meinen Augen. Mor lehnte sich vor und legte ihre Hände auf meine Arme.
„Es war ein Traum, Veena. Nur ein Traum. Cassian geht es gut, du hast ihn gerettet." Ihre Worte sollten beruhigend auf mich wirken, doch ich schüttelte heftig den Kopf.
"Nein... Nein. Ich konnte seine Blutung nicht aufhalten, ich...", zitternd starrte ich auf meine Hände. Noch vor ein paar Minuten waren sie in Cassians Blut getränkt, aber jetzt waren sie sauber.
„Ich konnte die Wärme seines Blutes spüren, hören, wie sein Herzschlag verstummte, es hat sich so real angefühlt", keuchte ich verstört.
„Du vermischt Traum mit Realität. Er lebt", versicherte sie mir. Das waren die wundervollsten Worte, die ich seit Langem gehört habe. Sie schloss mich in ihre Arme.
„Du warst bewusstlos und hast zweimal fürchterlich geschrien. Wir konnten nichts unternehmen, konnten dir nicht helfen. Aber wir konnten beobachten, wie es Cassian immer besser ging. Doch dafür wurdestdu immer schwächer", ihre Stimme zitterte. Ich legte meine Arme um sie. Mein Herz schmerzte. Ich habe ihr wieder so viele Sorgen bereitet, habe mit meinen Entscheidungen nur auf Cassians Wohl geachtet, aber ihre Gefühle dabei beinahe ignoriert. Es musste für sie genauso schlimm gewesen sein.
„Es tut mir leid. Ich wollte dir nicht schon wieder so einen Schrecken ein jagen", sagte ich leise.„Ich weiß, ich sage das nicht oft, aber Danke. Für alles."
Sie lächelte. „Bekomme ich das schriftlich?", fragte sie schelmisch. „Sollte mir niemand glauben, dass ich eine Entschuldigung und ein Danke im selben Moment bekommen habe", führte sie weiter aus. Ich stupste meinen Ellenbogen in ihre Seite.Die nächsten Minuten versuchte mir Mor grob zu erklären, was passiert war und wie wir den Krieg gewinnen konnten. Darunter waren auch kurze Schilderungen über Amrens Verwandlung, die Zerstörung und Zusammensetzung des Kessels, Rhysands beinahe Tod. Das Auftauchen von Feyres Vater und der Armee von Miriam. Dass Nesta und Elain den König getötet haben.
Ich blickte auf, als Rhysand und Azriel das Zelt betraten.
Mein Körper fühlte sich so schwach an, doch ich schwang dennoch die Beine aus dem Bett. Rhysand Blick glitt an mir herunter. Er wollte sich versichern, dass es mir gut ging, bevor er sagte: „Was hast du dir dabei gedacht? Das hätte auch gewaltig schief gehen können.
„Ich habe ihm damit das Leben gerettet. Was hast du denn erwartet, wie ich reagieren werde? Ich hatte keine Wahl", sagte ich.
„Und was hat es dich gekostet?!", fragte er aufgebracht. Er kam so schnell auf mich zu, dass ich ihm kaum mit den Augen folgen konnte, und packte meinen Arm. Er zog den Ärmel hoch und atmete scharf ein, als er sah, dass sich die Adern bereits bis zu meiner Schulter ausgebreitet haben. Mor schnappte nach Luft.
„Hätte ich ihn lieber sterben lassen sollen?", blaffte ich ihn an und riss mich von ihm los. „Das war die einzige Möglichkeit! Hätte ich auch nur ein paar Minuten zu lang gezögert, wäre er jetzt Tod!"
„Setzte nicht einfach so dein Leben aufs Spiel, ohne uns zu sagen, was du vor hast."
„Ich sterbe doch sowieso, Rhysand."
Mor wollte etwas einwerfen, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen.
„Es ist mein Leben und mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Also kann ich es auch dazu nutzen, um Cassian das verdammte Leben zu retten!" Rhysands Schatten waberten um ihn herum. Wir starrten uns einen Augenblick lang an.
„Wir hätten bestimmt noch eine Lösung gefunden, doch jetzt hast du unsere ohnehin schon kurze Zeit erheblich verringert!"
„Ich habe schon seit einer Weile aufgehört, mich um mein eigenes Leben zu sorgen", sagte ich bitter. Seine Augen weiteten sich. „Sag sowas nicht. Dein Leben ist immer noch genauso viel wert wie unseres und das wird sich auch nie ändern. Und wir werden nicht aufhören, dich daran zu erinnern."
„Was bringt mir mein Leben, wenn Cassian nicht an meiner Seite ist", schoss es aus mir heraus.
Mir wurden meine Worte erst richtig bewusst, als ich sie längst ausgesprochen hatte, und meine Augen weiteten sich.
„Du bist mehr wert als das, was du anderen Menschen geben kannst", sagte Rhysand leise. Ich wusste nicht, dass ich diese Worte so dringend gebraucht hatte, bis er sie aussprach. Und sie schienen sich direkt einen Weg in mein Herz zu brennen.
„Aber das ist das Einzige, was ich gerade tun kann", sagte ich etwas ruhiger.
"Amren könnte.... ", begann er.
„Amren hat ihre Magie im Kessel verloren und ist jetzt auch nicht viel mehr als eine High Fae", fiel ich ihm ins Wort. Jetzt wurde er wieder wütend.
„Auch wenn du bereits aufgegeben hast, werde ich nicht mit ansehen, wie du dich selbst opferst."
„Veruteile mich nicht für die Entscheidung, die du selbst auch getroffen hättest, Rhysand", sagte ich gefährlich leise.
Azriel legte ihm eine Hand auf die Schulter und murmelte etwas. Rhysand atmete tief ein, doch sein ganzer Körper zitterte immer noch vor Zorn. Doch ich wusste, dass es vor allem die Sorge war, die in ihm brodelte.
Die Panik, wieder jemanden aus seiner Familie zu verlieren. Aber darauf konnte ich gerade keine Rücksicht nehmen.
Ich spürte ihn, noch bevor er den Zelt eingang errreichte, und wirbelte herum.
Im gleichen Augenblick humpelte Cassian ins Zelt. Azriel trat vor, um ihn zustützen. Sein Gesicht hatte wieder Farbe bekommen.
Mein Herz machte einen freudigen Satz.
„Du kannst schon wieder laufen?", fragte Rhysand ungläubig. Cassian brachte ein schwaches Grinsen zustande, das sich aber schnell in eine schmerz verzerrte Grimasse verwandelte.
Seine Augen suchten den Raum ab und blieben an mir hängen.
„Du siehst genauso beschissen aus wie ich", kommentierte er. Seine Stimme klang zwar noch etwas schwach, aber sonst machte er einen guten Eindruck. Ich zog die Augenbrauen zusammen und ging langsam auf ihn zu.
Kaum zu glauben, dass er vor ein paar Stunden beinahe gestorben wäre.
Aber eine Rechnung hatte er noch offen.
„Dann ist die Wunde gut verheilt?", fragte ich und blieb vor ihm stehen. Seine Augen Funkelten.
„Ich glaube, mir ging es nie besser", antwortete er.
"Gut."
Ich verpasste ihm so eine heftige Ohrfeige, dass sein Gesicht zur Seite flog.
„Autsch", kommentierte Mor mitleidig hinter uns.
Cassians Kopf fuhr zu mir herum, hielt sich mit seiner freien Hand die pochende Wange und blinzelte überrascht.
Wahrscheinlich hatte er erwartet, dass ich ihm erleichtert um den Hals falle. Doch ich war gerade zu sehr in Rage, sodass ich solche Emotionen leicht verdrängen konnte.
„Das war dafür, weil du so vermessen warst, dich auf einen Kampf mit dem General von Hypern einzulassen", tadelte ich ihn.
Seine Augen waren noch etwas trüb, doch er sah michan, als würde er nichts bereuen.
„Wie schlimm ist es?", fragte er.
„Wie schlimm deine Wunde ist oder wie schlimm wir von Hypern vermöbelt wurden, als du außer gefecht warst?", wollte Rhysand wissen. „Um die zweite Frage zu beantworten", fuhr Rhysand fort, und mir entging nicht, dass seine Stimme an Schärfe zunahm. „Wir haben es geschafft. Gerade so. Die Illyrianer und die Dunkelbringer haben die meisten Verluste einstecken müssen, aber wir haben gesiegt. Was die erste Frage betrifft...", Rhysand bleckte die Zähne. „Tu das nie wieder. Hörst du."
Der Schleier über Cassias Augen verzog sich bei dem drohenden Ton.
»Dir hingen quasi die Eingeweide aus dem Leib. Azriel musste sie dir wieder hinein stopfen.«
Cassian versuchte sich weiter aufzurichten, fluchte aber vor Schmerz und blickte wütend auf die Wunde, die unter seinem Hemd pochte. Die Verbände dazu lugten an seiner Schulter hervor.
„Ich bin Soldat", erwiderte Cassian ausdrucklos. „Das gehört zu meinen Aufgaben."
„Ich hatte dir befohlen zu warten", knurrte Rhysand. „Du hast nicht auf mich gehört."
„Die Reihen waren in Auflösung begriffen", gab Cassian zurück. »Dein Befehl war Blödsinn.«
Rhysand Macht donnerte durch den Raum.
„Ich bin dein High Lord. Es steht dir nicht zu, meine Befehle zu missachten, wenn sie dir nicht passen", sagte er.
„Komm mir bloß nicht so. Von wegen High Lord, nur weil du...."
„Deine verdammte Selbstherrlichkeit hat dir beinahe das Leben gekostet", fuhr Rhys ihn an. Und wieder sah ich die Panik in seinen Augen, hörte sie in seiner Stimme.
„Aviana musste ihr Leben an deines binden, um dich zu retten! Beinahe hätte ich euch beide verloren.«
Diese Worte trafen ihn wie ein Schlag. Sein Körper verkrampfte sich.
„Von meinem General erwarte ich, dass er soverän meine Armeen anführt und Leben rettet und sie nicht in Gefahr bringt. Vor allem nicht das Leben meiner Schwester!"
Cassian senkte schuldbewusst den Blick. Feyre legte Rhys beruhigend eine Hand auf die Schulter, doch ihr Gesicht war ebenfalls gequält verzogen.
Cassians Augen weiteten sich, als ihm die Tragweite seiner Handlungen vollständig bewusst wurden, und das schien Rhysand auszureichen. Seine Stimme wurde ruhiger.
„Du warst für ein paar Sekunden Tod. Wäre Aviana nicht gewesen...?", erbrachte den Satz nicht zu Ende.
„Nach allem, was passiert ist", sagte Rhysand mit brechender Stimme: „Ertrage ich es immer noch nicht." Cassian zuckte zusammen, als er den Arm hob und Rhys an der Schulter packte.
»Es wird nicht wieder vorkommen«, versicherte er ihm.
„Wenn du aufhören könntest, mit dem Tod zu flirten, würde mich das sehr beruhigen", erwiderte Rhysand und die Anspannung lockerte sich.
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Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und Licht
Фэнтези(Überarbeitung läuft) Nach Jahrhunderten in Dunkelheit, Verzweiflung und Einsamkeit, erblickt Aviana wieder das Licht der Welt. Ihr plötzliches auftauchen sorgt für Aufruhr im Inneren Kreis und reißt alte Wunden auf, die nie vollständig geheilt sin...