Sonnenkriegerin

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Erwollte sie am liebsten aufhalten, sie am Arm packen und sie an sichziehen. Denn manchmal vergaß er, dass sie die Macht hatte, einganzes Bataillon allein zu vernichten. Auch wenn das erst einigeWochen zurücklag. Er war immer noch beeindruckt, als Azriel ihmdavon erzählt hatte. Dass sie es nur mit einem kleinen Funken ihrerMagie mit Hypern aufgenommen hatte und siegreich war.
Doch seineGefühle waren hier fehl am Platz und er ließ sie gehen.
Erbeobachtete, wie sie durch das Schlachtfeld schritt, als würde sieeinen Ballsaal betreten. Die Reihen teilten sich, bis sie an dervordersten Front angelangten. Die brutalen Kämpfe tobten um sieherum, doch sie hielt nicht an. Ihre Magie schützte sie vor denAngriffen Hyperns, doch lange würde der Zauber nicht halten – aberdas musste er auch nicht.
Rhysand stand mit verschränkten Armenneben ihm. Er schien ihren Auftritt genauso angespannt zu beobachtenwie er. Nachdem Hypern sie mit den beiden Angriffen außer derFassung gebracht hatte, brauchten sie jetzt dringend etwas, wasdiesen Verlust ausglich.
Cassian wusste nicht, was kommen würde,was sie vorhatte. Zwar hatte er sie schon häufig dabei beobachtet,wie sie starke Vernichtungszauber sprach, aber damals hatte sie nochnicht über diese Kraft verfügt, die jetzt in ihr schlummerte.
Siehatte sein vollstes Vertrauen, und doch konnte er die Besorgnis nichtverdrängen. Er ballte die Hände zu Fäusten, als sie schließlichmitten in Hypernsreihen stand. Sie wirkte wie ein Sonnenstahl in denvielen dunkeln Farben.
Sie blieb stehen und zog mit einergeschmeidigen Bewegung ihr Schwert. Die Klinge aus Sonnenlicht bautesich langsam auf und warf sanfte Schatten auf ihr Gesicht. DieSoldaten wichen instinktiv zurück, als sich ein grausames Lächelnauf ihren Lippen bildete. Er konnte es ihnen nicht verübeln, erhatte schon selbst ihre mordlustige Ausstrahlung zu spüren bekommen– das letzte Mal, vor nicht mal einer Stunde – und jedesmal wares wie eiskaltes Wasser, das seinen Rücken herunterläuft.
IhreLippen bewegten sich, als sie schließlich den Zauber sprach. Sie hobihre Klinge in den Himmel, direkt auf die Sonne gerichtet, und wiezur Antwort schoss ein Blitz aus Sonnenlicht herunter in ihr Schwert.Das Glühen, welches sonst in ihren Augen brannte, breitete sich aufihren gesamten Körper aus, als wäre sie mit der Sonne verschmolzen.Die Soldaten, die ihr am nächsten standen, wurden von der Hitze, diesie ausstrahlte, in lebendige Fackeln verwandelt. Ihnen blieb nichtmal genug Zeit, um aufzuschreien, während ihre Körper von denFlammen verzerrt wurden. Doch Cassian wusste, dass es noch nichtalles war. In diesem Moment wirbelte sie ihr Schwert, geschickt überihrem Kopf herum, und rammte es mit beiden Händen in den blutigenBoden. Das Leuchten, das ihren Körper beherrschte, breitete sich wieeine Druckwelle um sie herum aus. Doch anstatt alle anderen indenselben Flammen aufgehen zu lassen, übertrug sich das Glühen aufihre Körper.
Dann sprach sie den letzten Teil des Zaubers, densie hinausgezögert hat, und... die Schreie von hunderten Soldatenbrachte die Erde zum Erzittern. Sie fielen einer nach dem anderen zuBoden. Ihre Augen ausgebrannt und entstellt.
Innerhalb vonSekunden hatte sie einen gewaltigen Kreis in die feindlichen Liniengeschlagen, den niemand überlebt hatte.
Es hatte Ähnlichkeitmit der Narbe, die der Kessel hinterlassen hatte. Rhysand zog scharfdie Luft ein, seine Augen waren weit aufgerissen.
„Unmöglich,dass sie sostark ist." „Diese Magie könnte der eines High Lords ebenbürtigsein." Cassians Kopf fuhr zu ihm herum, als ihm ein Gedanke kam.„Vielleicht hat sie mehr von der Magie eures Vaters geerbt, als wirangenommen haben."
„Aber das ist nicht möglich. Die Magiewird sofort an die ältesten Erben übertragen."
„Aber wiesoll sie sonst so einen Zauber überleben, geschweige denn überhauptanwenden können?" „Die Magie ihrer Vorfahren ist stark, abernicht so stark, dass so einen Schaden anrichten kann."
„Ichweiß es nicht", sagte Rhysand. Ihre Aufmerksamkeit richtete sichwieder auf das Schlachtfeld.
Aviana richtete sich langsam auf undließ ihren Blick über das Schlachtfeld schweifen – über dierauchige Narbe, die sie hinterlassen hatte, und lächelte. Cassianerschauderte bei dem Anblick. Er wusste nicht, ob er fasziniert odereingeschüchtert sein sollte.
Cassian hatte sich bereits halbumgedreht, als der Offizier von Hypern zum Rückzug brüllte.
„Tja,damit habe ich nun wirklich nicht gerechent", kommentierte Avianagelassen, als würde über einen plötzlichen Regenfall sprechen.Cassian musste sich zusammenreißen, um nicht vor Schreckzusammenzuzucken. Da sie direkt hinter ihm aus dem Wind getreten ist.„Dabei dachte ich, dass ich sie mit diesem Angriff zur Weißgluttreibe und sie unformatiert angreife", sagte sie ausdruckslos undbetrachtete ihr Werk auf dem Schlachtfeld.
Er hatte mehr Feindeniedergemetzelt, als er zählen konnte, hatte auf zahllosenSchlachtfeldern knietief im Blut gestanden und doch weiter seinSchwert geschwungen, hatte Entscheidungen getroffen, die ihn dasLeben fähiger Krieger gekostet hatten, war General, Infanterist undAttentäter gewesen. Und dennoch... Bei der Leere in ihrem Blick, beider Grausamkeit, die in ihren Augen nachhallte, schluckte er.

Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt