Velaris

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„Diesen Zug wagst du nicht zu machen", drohte Ferye und blickte Rhysand aus zusammen gekniffenen Augen warnend an. Er erwiderte ihren Blick gleichgültig.
»Du kannst mich nicht davon abhalten.« Die Spannung zwischen ihnen schien zum Greifen nah. Loderne Magie pulsierte um sie herum, wie ein unsichtbares Machtspiel. Doch beide wussten, dass es keinen Ausweg mehr gab.
„Das werde ich dir nicht verzeihen, Rhysand. An deiner Stelle würde ich gut überlegen, was du tust, sonst..."
"Sonst was?", spöttelte er, ein süffisantes Lächeln umspielte seine Lippen. Er wusste ganz genau, dass sie ihn nicht aufhalten konnte. Diese Lage war aussichtslos. Und doch kämpfte sie weiter dagegen an, auch wenn ihre Niederlage nur einen Wimpernschlag entfernt war. Rhysand streckte seine Hand aus und stellte seine Figur auf eines der weißen Felder.
"Schachmatt", verkündete er und  lehnte sich in seinem Stuhl zurück und grinste seine Seelengefährtin an, die das Schachbrett anstarrte, als würde sie es gleich aus dem nächsten Fenster werfen wollen.
„Ich habe gewonnen...schon wieder. Das wie vielte Mal war das jetzt? Das vierte oder das sechste Mal?", fragte er lachend. Feyre holte aus und bewarf ihn mit einem Kissen, welches so schnell durch die Luft flog, dass es mit einem dumpfen Laut in seinem Gesicht landete, was ihn nur noch mehr zum Lachen brachte. Schmollend verschränkte sie die Arme vor der Brust.
„Das ist sowieso nicht fair, du bist 500 Jahre alt, oder so. Da kann doch niemand eine ernsthafte Chance haben. Vorallem nicht, wenn du durch unsere Verbindung meine Gedanken liest", beklagte Feyre sich. „Hey, das beruht auf Gegenseitigkeit", verteidigte er sich und kassierte noch einen mörderischen Blick von der anderen Seite des Spielbretts.
„Und trotzdem hast du verloren. Ich kann nichts dafür, dass du so schlecht in Schach bist", fügte er belustigt hinzu. Sie murrte etwas Unverständliches, was ein wenig so klang wie – er möge in der Hölle schmoren. Er beugte sich vor und versuchte, ihren Blick auf sich zu lenken. Sie machte den Fehler und ließ sich darauf ein. Seine violett-blauen Augen funkelten sie aufreizend an.
Ich kann es im Bett wieder gut machen. Lockte er sie über ihre Seelenverbindung, was Feyre jedoch nur mit geschürzten Lippen entgegennahm. So leicht würde sie ihm nicht verzeihen. Er sollte sich schon ein wenig mehr anstrengen, das hatte er nun davon, auch wenn sein Angebot unverschämt verlockend war. Ihre deutliche Zurückweisung schien ihn nur noch mehr anzustacheln, denn jetzt grinste er nur noch obszöner. Bevor Feyre doch noch seinem Charme verfiel, betrat Mor das Zimmer und unterbrach den beinahe Liebesakt.
Mit einem kurzen Blick erfasste sie die Situation und ignorierte dabei geflissentlich die erotische Spannung, die sich bereits aufgebaut hatte. Stattdessen betrachtete sie die Schachfiguren auf dem Brett und erkannte Feyres erneute Niederlage. „Ich habe dich gewarnt, gegen ihn zu spielen. So was wie Faires Spiel kommt nicht in seinem Wortschatz vor", sagte sie mit einem wissenden Blick auf Rhysand, der Protestieren wollte, doch sie unterbrach ihn sofort wieder und sah zu Feyre.
„Der Einzige, der es je geschafft hat, ihn fast zu besiegen, war Azriel, aber auch nur, weil beide völlig betrunken waren und keiner von ihnen das Spiel richtig erkennen konnte." Sie kicherte, während Feyre belustigt zu Ryhs hinüberblickte, der das Kissen in der Hand hatte, welches Feyre vor ein paar Minuten nach ihm geworfen hatte. Ehe sie sich versah, trafes auch schon Mor's linke Gesichtshälfte. Ihr Blick, den sie ihm danach zuwarf, schien ihn erwürgen zu wollen, doch ihr amüsiertes Lächeln sprach eine andere Sprache. Jetzt war Rhysand derjenige, der kicherte.
„Du bist doch nur eifersüchtig, dass du ebenfalls ständig gegen mich verlierst", stichelte Rhys.

...

Da Mor schließlich verkündet hatte, dass es jetzt Zeit war, Kuchen zu essen, und sie nicht die einzige sein wollte, die sich mit Kalorien vollstopft, hat sie Rhys und Feyre dazu genötigt, sie in die Küche zu begleiten. Rhysand hat es mit „wäre besser, wenn du mal einen Apfel isst" kommentiert und ihr in die Seite gestupst, was er danach nie wieder tun wird, denn dann hat sie ihm einen Vortrag gehalten, der beinhaltete, dass Frauen nie das essen konnten, was sie wollten, ohne dass irgendwelche Volltrottel von Männern ihren Senf dazugeben. Er hatte dann beschwichtigend die Hände gehoben, um ihre wütende Ansprache zu unterbrechen, was sie dann mit einem Schnauben als Sieg quittierte.
„Ich bin immer offen für eine Revange", bot Rhysand Feyre an, während sie durch die Flure des Stadthauses schlenderten.
„Nein, danke. Ich habe die Schnauze voll von Schach",  lehnte sie ab, immer noch enttäuscht und gereizt von ihrer verheerenden Niederlage. Dabei hatte sie mehrere Partien gegen Cassian und Mor gespielt und sogar einige Male gewonnen. Aber Rhysand schien unschlagbar zu sein,  abgesehen von seinem Schummel. Jetzt hatte sie keine Lust mehr auf dieses Spiel, auch wenn es ihr wirklich Spaß gemacht hat. „Ach, komm schon. Vielleicht lasse ich dich sogar gewinnen, einfach nur aus Mitleid", stichelte er und wich ihren halbherzigen Schlag aus, als sie ihm in die Seite boxen wollte. Dann wurde ihr Gesicht ernst.
"Was ist los?", fragte er.
„Ich muss ständig daran denken, was der Knochenschnitzer verlangt hat. Es muss doch eineMöglichkeit geben, den Spiegel zu beschaffen, ohne hineinsehen zu müssen."
Rhysand schüttelte den Kopf. „Das ist nicht möglich. Um den Spiegel zu bewegen, muss derjenige hineinschauen und sein Wirkliches selbst erblicken. Das hat bisher jedem den Verstand geraubt."
„Der Ouroboros ist ein uraltes Relikt. Keiner von uns hat es gewagt, in seine Nähe zu kommen, geschweige denn hineinzublicken", erklärte Mor weiter. „Er wird seit Jahrhunderten unter Verschluss gehalten, nicht weil ihn jemand stehlen könnte, sondern um das Böse in seinem Inneren zubesänftigen. Wir können auf dieses Risiko nicht eingehen. Dadurch könnten wir mehr verlieren als gewinnen", fuhr Rhysand fort.
„Aber ohne den Spiegel wird uns der Knochenschnitzer nicht helfen...", stellte Feyre fest und schaute fragend zu Rhysand, der sich mit einer Hand durch die Haare fuhr. „Wir werden wohl auf seine Dienste verzichten müssen."
„Das können wir nicht. Ohne seine Macht ist unsere Chance, gegen Hypern zu bestehen, sehr vielgeringer. Wir sind dem König doch jetzt schon unterlegen. Es muss doch noch irgendwas anderes geben, das er begehrt." Verzweifelt versuchte Ferye neue Alternativen zu finden, doch ihr fielen keine ein. Der Knochenschnitzer hatte klar seinen Wunsch geäußert, er hatte sogar seine Freiheit abgelehnt – also was sollte ein uraltes, mächtiges Wesen sonst noch wollen? Sie sah zu Rhysand, der ihre Gedanken gelesen hatte, und mit einem Schulterzucken verdeutlichte, dass ihm auch nichts einfiel.
„Wir sollten die anderen Höfe noch mehr unter Druck setzen und andere Gefäßarten in Betracht ziehen. Wir brauchen.... " Er wurde von einem lauten Knall unterbrochen, der klang, als würde jemand eine Tür auftreten. „RHYSAND", brüllte Cassian. Seine Stimme hallte durchs ganze Haus und ließ die Fenster vibrieren. Sofort rannten sie los und fanden Cassian in der Einganghalle vor, der eine bewusstlose Frau in seinen Armen trug. Sie war in seine Jacke gewickelt und schien nur noch ein Schatten ihrer Selbst zu sein.
Ihre Haut war blass, beinahe durchsichtig, die Lippen durch die Kälte blau angelaufen und was sich unter Cassians Jacke sonst noch vrrbarg, wollte sie lieber nicht wissen.
Cassians Blick war mit so vielen Gefühlen gemischt, dass es unmöglich war, alle zu erfassen. Seine Augen waren weit aufgerissen, seine Brust hob und senkte sich schwer und seine Haare waren vom Wind zerzaust.
Er musste mit einem Höllen tempo hergeflogen sein.
Doch das Zittern, welches ihn durchfuhr, kam nicht von der Kälte, die durch die Offene Tür wehte.

Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt