Dämmerung

137 13 2
                                    

Nach dem Treffen war uns keine Pause vergönnt, denn schon in wenigen Tagen würden wir zum Hof der Albträume aufbrechen.
Doch es war schwer, sich darauf vorzubereiten, da nur fünf der sieben High Lords uns ihre Unterstützung zugesagt hatten. Wir waren zwar Verbündete geworden, deswegen aber noch lange keine Freunde. Obwohl wir weitere zwei Stunden redeten und diskutierten, ging das Gezänk weiter. Und als Rowan mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange gedrückt hat, hatte pure Mordlust in Cassians Augen gefunkelt. Doch er hat uns nur ein süffisantes Grinsen zugeworfen und sich dann abgewandt.
Beron und Kallias hatten sich noch nicht direkt zu einer Allianz geäußert, aber es war klar, dass beide kein Vertrauen in die Sache hatten. Obwohl es bei Beron eher nach Trotz aussah. Wir werden wohl abwarten müssen, ob sie ihre Meinung noch ändern könnten.

.
.
.

Ein vertrauter Schatten störte den klaren Sternenhimmel und segelte auf mich zu.
„Hast du auch ein Déjà vu?", fragte ich und blickte zu Azriel auf. Seine Schatten verbargen seine Lippen, doch ich konnte dennoch einen kurzen Blick auf sein Lächeln erhaschen.
Es war zwar lange her, aber früher hat er mich hier oft vor gefunden. Auch wenn es kein geheimer Ort war, zog ich mich hier häufig zurück und wurde aus irgendeinem Grund noch nie von jemandem entdeckt, abgesehen von Azriel natürlich. Mit dem Kopf an den rauen Felsen gelehnt saß ich auf einem breiten Vorsprung, der am Rande des Trainingsplatzes hervorragte.
Er faltete seine Flügel eng an seinen Rücken.
„Heute kein Training?"
Ich schüttelte den Kopf. Azriel fragte nicht weiter nach, sondern wartete einfach ab, ob ich ihm etwas erzählen möchte. Falls er neugierig war, zeigte er es nicht. In seinen Augen spiegelte sich nur kurz Sorge, dann schien er kurz zu überlegen.
Schließlich ließ er sich auf den Platz neben mir sinken, den Rücken gegen den Fels gelehnt, ein Bein ausgestreckt. Er sah wieder so ungewollt elegant aus, dass ich unwillkürlich schnaufte. Doch er schien genauso erschöpft zu sein wie ich, was mir wenigstens etwas von meinem Ärger nahm.
„Morgendliche Patrouille?", fragte ich, da es offensichtlich war, dass er ebenfalls nicht trainiert hatte, wie er es sonst so gerne tat.
„Ja, Rhysand hielt es für das Beste, wenn wir auch jeden Morgen die Wälder absuchen. Mir macht das nichts aus, aber Cassian war weniger begeistert, noch vor der Morgendämmerung aufstehen zu müssen." Ich kicherte leise. Das konnte ich mir zu gut vorstellen.
Aber es war wichtig, denn unsere Feinde waren genauso schlau wie wir und wussten, dass der Morgen die beste Zeit war, um sich zu nähern und Lager aufzuschlagen. Zwar wird der König sie mit einem starken Tarnzauber ausgestattet haben. Rhysand könnte diese wahrscheinlich brechen. Aber es reichte aus, wenn wir den Zauber nur erspüren, denn wenn wir ihn aufheben, würden die Soldaten das sofort bemerken.
Wir schwiegen eine Weile und betracheten das Netz aus Sternen, das sich über den Himmel erstreckte und langsam durch die Morgendämmerung verblasste.
Ich zog die Beine an meine Brust und schlang meine Arme um die Knie. Meine Haare hatten sich beinahe vollständig aus dem Dutt gelöst und verhüllten mein Gesicht.
„Ich komme gerne hierher, auch wenn wir nicht trainieren", sagte ich leise. „Es beruhigt mich, so weit oben zu sein, so nah bei den Sternen. Es ist alles so offen und weit. Ich... Ich habe seit meiner Ankunft nicht mehr richtig geschlafen, daher fliege ich oft hier hoch." Ich lachte, um meine Worte herunterzuspielen. „Ich sollte mich glücklich schätzen, dass wenigstens meine Panikattacken seltener geworden sind und dass ich in der Dunkelheit sein kann, ohne sofort eine zu bekommen."
Ich konnte ihn nicht ansehen, während ich ihm meine Gedanken mitteilte.
„Sind deine Albträume der Grund dafür?", fragte er vorsichtig.
„Nein, also...", ich suchte nach Worten.
„Es sind nicht die Albträume, die mich wachhalten, es... es ist die Angst, meine Augen in meinem Bett zu schließen und in meiner Zelle wieder zu öffnen", stieß ich mit erstickter Stimme hervor. Ich spürte, dass sein Körper sich anspannte.
„Ich war dort so lange eingesperrt, dass ich am Anfang nicht glauben konnte, dass das hier alles echt ist, dass ich wirklich frei bin. Und die Angst davor, plötzlich wieder in meiner Zelle aufzuwachen und festzustellen, dass es nur eine Halluzination war...", ich beendete den Satz nicht. „Ich kann es einfach nicht ablegen. Ich... Ich weiß, dass es echt ist, dass ich wirklich frei bin, aber mein Kopf ist immer noch in dieser Finsternis gefangen. Meine Entscheidungen verfolgen mich... Ich habe so viele Bücher gelesen, aber keines davon...."
Ich verstummte schnell, bevor mir der Handel mit der Finsternis herausrutschte. Bei ihm war es immer so einfach, auszusprechen, was ich dachte, was ich sonst nicht mal Mor erzählte. Azriel war schon immer besser im Zuhören gewesen. Er war da, wenn man ihn brauchte, und war in einigen Abschnitten meines Lebens wie ein Fels in der Brandung gewesen.
Das sanfte Mondlicht schimmerte in seinen dunkeln Augen, als er den Kopf gegen den Felsen sinken ließ und hinauf in den Himmel blickte. Einige dunkle Strähnen seiner Haare fielen dabei zurück und hoben seine scharfe Kieferlinie hervor. Ich musste schlucken.
Natürlich ist mir aufgefallen, wie attraktiv er war, aber in Momenten wie diesen wurde ich deutlicher daran erinnert als in anderen. Was auch daran lag, dass seine Schatten sich nur noch hinter seinem Rücken kräuselten und wahrscheinlich von dem Mondlicht vertrieben worden waren oder von ihm zurückgehalten wurden.
„Ich komme jeden Tag hierher, seitdem du verschwunden bist", sagte er leise.
„Es hat mir geholfen, damit fertig zu werden, denn ich habe dich hier gespürt. Als würde ein Teil von dir an diesem Ort verweilen."
Ich blinzelte gerührt und hörte ihm stumm zu, ohne groß darauf einzugehen, wie er es bei mir getan hatte.
"Cassian ist damals jedem noch so kleinen Hinweis hinterher gejagt, den er finden konnte, der vielleicht zu dir führt. Ich habe ihm geholfen, aber irgendwann habe auch ich die Suche aufgegeben, während Cassian sie nicht loslassen konnte. Aber keiner von uns ist auch nur auf die Idee gekommen, im Gefängnis nach dir zu suchen. Cassian hat uns erzählt, dass Feyre deine Stimme gehört hat, als du nach ihm geschrien hast. Als er dich dann dort gefunden hat...." Es war selten, dass ihm die Worte fehlen, und ich rückte etwas näher an ihn heran. Denn ich hörte die Reue in seiner Stimme und sah den Schmerz, der seinen Körper erschaudern ließ. Ich legte eine Hand auf seine Schulter, um ihm zu zeigen, dass ich ihn nicht dafür verantwortlich machte. Keinen von ihnen. Der Gedanke daran, was in Cassian vorgegangen ist, als er mich dort gefunden hat, nachdem er nur einige Tage zuvor da war, trieb mir Tränen in die Augen, die ich schnell weg blinzelte.
„Warum erzählst du mir das?", fragte ich. Es war untypischfür ihn, aus dem Nähkästchen zu plaudern, vor allem, wenn es seine Brüder betraf.
„Ich weiß nicht, was zwischen dir und Cassian vorgefallen ist; oder warum du ihn abweist. Ich sehe, wie ihr euch beide dabei fühlt, auch wenn du es besser verstecken kannst als er. Ich werde auch nicht nach dem Grund fragen. Aber ich hoffe, dass du ihn dadurch vielleicht etwas besser verstehst."
Ich hatte mich mit dem Rücken an seine Seite gelehnt und versuchte, seine Worte zu verarbeiten. Das, was er mir wie ein Geheimnis anvertraut hat.
„Sind deine Panikattacken wirklich besser geworden?"
Ich lächelte. Dann war er also doch neugierig.
„Ja. Sie sind weniger geworden und ich kann mich zu einem gewissen Punkt auch in der Dunkelheit aufhalten."
„Das freut mich", murmelte er.
Wir sprachen nicht über Keir oder den Besuch am Hof der Albträume. Wir haben gesagt, was wir sagen wollten, und genossen die beruhigende Anwesenheit des Anderen.
Versunken in unseren eigenen Gedanken beobachteten wir, wie die Sonne den Horizont violettfärbte und die ersten Strahlen die Berggipfel küssten, die den nächsten Tag willkommen hießen.

Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt