Nach allem, was passiert ist, war es nun Cassian, der mir aus dem Weg ging. Was verständlich war, nachdem meine Worte ihn wie ein Stich ins Herz getroffen hatten. Oder eher als hätte ich ihm mit einem stumpfen Messer das Herz aus der Brust geschnitten – jedenfalls hat es sich bei mir so angefühlt.
Sollte er doch zufällig meinenWeg kreuzen, versteinerte sich seine Miene und er schlug sofort eine andere Richtung ein. Hauptsache weit weg von mir. Was mir jedoch mehr als recht war.
Ich hatte es geschafft, meine Gefühle beinahe vollständig in mir zu begraben. Die Leere, von der ich mich weigerte, sie mit Cassian in Verbindung zu bringen, versuchte ich mit Alkohol auszufüllen.
Bereits angetrunken von den zwei heruntergekommenen Kneipen davor – jedenfalls für Velaris' Verhältnisse – betrat ich die nächste Bar. Hier gab es den besten Fusel, importiert aus dem Sommerreich, und dort spielten die besten Musiker.
Sobald ich die alte Holztür öffnete, wurde ich sofort in das angenehme Ambiente gezogen, das hier immer herrschte. Musikanten spielten eine fröhliche Melodie, es wurde gelacht und geredet. Im Kamin knisterten und knackten dicke Holzscheite vor sich hin. Es war wie immer gut gefüllt, und ich bereute sofort, dass ich nicht als Erstes hier hergekommen bin. Das wird mir Kylan wie immer den ganzen Abend vorhalten.
Zielstrebig steuerte ich die Bar an und hob zwei Finger, um mir bei ihm etwas zu bestellen. Da die anderen Ablenkungsmanöver nicht funktioniert haben: darunter lesen, trainieren und Bücher durchblättern. Kam ich wieder auf den altbewährten Alkohol zurück. Zwar könnte ich mich auch hemmungslos an Rhysands Vorräten bedienen, aber ich wollte nicht, dass sie etwas davon mitbekamen. Auch wenn sich mein Zustand nach diesem Abend kaum verbärgen ließ. Mein Blick fiel wieder auf den Barkeeper, der gleichzeitig auch der Besitzer des Ladens war.
Kylan war ein gutaussehender Mann, bei dem es mir jedoch nie gelungen ist, ihn in mein Bett zu locken, da er verheiratet ist.
Aber es ist zu einem amüsanten Spiel zwischen uns geworden, wann immer ich hier war. Und die Frage, ob er sich an mich erinnerte, wurde in dem Moment beantwortet, als er mir einen Doppelten einschenkte und vor mir hinstellte. Ich grinste ihn an.
„Es enttäuscht mich, dass ich nicht das erste Etablissement bin, das du heute besucht hast", sagte er mit seiner rauen Stimme und beugte sich mit den Unterarmen über den Tresen. Was seine Attraktivität unwillkürlich hervor hob.
„Okay, ich gebe es zu, ich bin fremdgegangen", begann ich meinen dramatischen Vortrag und ließ mich auf den letzten freien Barhocker plumsen. „Aber die anderen waren so nah dran und dein Laden ist quasi auf der anderen Seite der Stadt."
„Dir ist bewusst, dass du den Wind teilen kannst, oder?", bemerkte er und versuchte, eine böse Miene zu machen.
„Hey, jetzt nimm nicht einer zahlenden Kundin die Ausreden weg", beschwerte ich mich. Er lachte und schnippte mir gegen die Nase.
„Wie geht es deiner Frau?", fragte ich und nahm einen großen Schluck.
"Ihr ging es nie besser.... Und unserer Tochter auch. " Meine Augenbrauenschossen in die Höhe. "Und ich dachte, das mein liebreizender Charm dich doch noch umgestimmt hätte", schmollte ich. Er lachte leise, bediente zwei andere Kunden, bevor er sich wieder zu mir gesellte.
„Ich würde dich nicht mal mit der Kneifzange anfassen, ich bin nämlich nicht scharf darauf, von einem bestimmten Illyrinaner in Stücke gerissen zu werden", er überlegte kurz, während ich die Augen verdrehte. "Obwohl ihr nie richtig zusammen wart, würde jeder Mann, der ihn kennt, sich hüten dich auch nur anzusehen." Ich gab einen Missbilligen laut von mir.
„Mir wäre es lieber, wenn er sich von mir fernhält", sagte ich emotionslos und leerte das Glas in zwei Zügen. Er hob eine Augenbraue.
„Ist ein gewisser General wieder der Grund dafür, warum du mir die Bestände weg säufst?", fragte er.
Ich seufzte schwer. „Jedes Mal die gleiche Frage. Da könnte es einem fast so vorkommen, als wärst du besorgt", erwiderte ich.
"Da deine Besuche meist mit ihm zusammenhängen, habe ich allen Grund zur sorge", konterte er. „Obwohl du meine beste Kundin bist", gestand er.
Ich lachte und bat nach einem weiteren Drink. Während er die Falsche mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit wieder unter der Theke hervorholte, fügte er hinzu: „Jedoch scheint dir eine andere Fae deinen Titel streitig zu machen."
Ich blinzelte irritiert.
"Wie meinst du das?" Kylan hob einen Finger. Ich drehte mich um und folgte der Richtung. Und dort abseits in einer Ecke, saß Nesta. Das ich sie nicht bemerkt hatte zeugte davon, das mir gerade alles egal war. Dennoch war ich angemessen überrascht, auch wenn ich von ihren "legendären" Keipentouren gehört hatte, wie sie Mor bezeichnete.
"Mach noch ein Glas voll", befahl ich und kramte nach ein paar Gold Münzen. "Die Getränke gehen auf mich", sagte er. Ich schenkte ihm ein herzliches lächeln und ging mit beiden Gläsern in den Händen auf Nesta zu.
Bevor ich etwas sagen konnte taxierte ihr kalter Blick mich von oben bis unten.
„Hat Feyre dich geschickt?", fragte sie scharf. "Sag ihr, das du, bis jetzt, die schlechteste Wahl bist, um mich kontrollieren zu wollen."
"Das wüsste sie auch so.... Wenn sie mich geschickt hätte", erwiderte ich, setzte mich auf dem Platz ihr gegenüber und schob ihr das Glas entgegen. Ihre Haltung versteifte sich und sie betrachtete das Glas, ohne es anzurühren. „Ich kann meine Drinks selbst bezahlen, ich brauche keine Almosen."
„Dann sag das Kylan, er hat sie bezahlt", sagte ich, deutete zur Bar und nahm einen Schluck. Ihre Augen verengten sich.
"Was willst du hier?", fragte sie nach kurzem schweigen.
„Ich bin hier aus demselben Grund wie du. Ich ertränke meine Sorgen im Alkohol und hoffe das ich mich morgen an so wenig wie möglich erinnern kann", antwortete ich.
„Was kann dir denn schon Sorgen bereiten? Alle lieben dich, sie vergöttern dich beinahe", sagte sie angewidert. Ich hatte kein Problem, wenn sie mit mir so sprach. Zum einen war ich betrunken und zum anderen wollte ich herausfinden, was sonst noch unter ihrer perfekten Haut brodelte. Was mich jedoch nicht davon abhielt, mich genauso rüchsichtslos zu geben.
"Vergöttern würde ich nicht gerade sagen. Sie können mich manchmal genauso hassen wie dich", sie zuckte leicht zusammen, aber ich fuhr ungehindert fort.
„Allerdings genieße ich als die Schwester des High Lord einige Privilegien, die zwar ihre Grenzen haben, aber die ignoriere ich meistens."
„Und Rhysand lässt dir das einfach so durchgehen?", fragte sie verbittert.
"Was soll er denn sonst tun? Mich in der Menschenwelt aussetzen, was sie mit dir gerne tun würden?"
Sie blinzelte erschrocken, aber dann legte sie schnell wieder ihre Maske an und sah wieder gelangweilt und genervt aus. Aber den Triumph, zu ihr durchgedrungen zu sein, konnte sie mir nicht mehr nehmen.
»Rhysand ist ein arrogantes Arschloch. Cassian und die anderen mögen zwar vor ihm buckeln, wenn er sie seine Macht spüren lässt, aber ich mach da nicht mit", um ihre Worte zu verdeutlichen leerte sie das Glas in wenigen Sekunden.
Ich zog die Augenbrauen zusammen.
"Das ist deine Entscheidung, aber dir ist nicht bewusst was Rhys alles dafür aufgeben musste, um hier zu sein", zischte ich. In ihren Augenblitze etwas auf, was mich an ihren Gesichtsausdruck erinnerte, als ich sie mit meiner Macht eingeschüchtert hatte. Nachdem sie Cassian die Schuld gegeben hatte, was mit ihr und Elain geschehen ist. Sie wusste das ich keine Hemmungen hatte, sie wieder genauso zu recht zuweisen und diesmal würde keiner der Anderen dabei sein. Sie hatte meine Macht demonstration nicht vergessen, denn ihre Augen verrieten sie. Ich seuftze und rollte meine Schultern um mich zu entspannen.
"Aber ja, er kann echt unausstehlich sein und dann macht es auch einfach zu viel Spaß ihm nicht zu geben was er will", sagte ich und wechselte Problemlos in einen plauderton.
Ihre Anspannung löste sich kaum merklich.
„Ist diese Kneipe nicht etwas zu gut für dich?", fragte ich unschuldig und fügte nach einem langen Moment hinzu: "Jedenfalls für deine übliche Auswahl."
»Mir war nach Abwechslung.« Sie fixierte ihr leeres Glas, als könnte sie es allein durch Willenskraft wieder auffüllen. Ich schmunzelte.
"Er hat mir noch nie etwas ausgegeben", sagte sie plötzlich. „Dabei bin ich fast täglich hier." Überrascht, dass sie weiter mit mir sprach, sah ich auf. Wahrscheinlich lag es am Alkohol, aber es freute mich, das sich diese Begegnung doch noch spannender gestaltete, als ich angenommen hatte. Ich lehnte mich zurück. Ihre Augen folgten meiner Bewegung.
"Du musst erstmal 400 Jahre aufholen, bevor er dir auch nur ein Wasser ausgibt", sagte ich und merkte das meine Stimme schon etwas lallte. Meine betrunkenen Augen mögen sich täuschen, aber ich sah, wie ihre Mundwinkel kurz nach oben zuckten.
"Du bist anders als die anderen", sagte sie zögernd. Neugierig lehnte ich mich vor. "Inwiefern? "
"Du siehst mich nicht an, als wäre ich ein kaputtes Spielzeug das repariert werden muss." Ihre Stimme klang bitter, doch ich hörte die Einsamkeit in ihr. Feyre hatte mir erzählt, das auch Elain immer weniger mit ihr zu tun haben wollte. Sie kümmerte sich um den kleinen Garten im Stadthaus, unterhielt sich mit Azriel, der sie dabei unterstütze, leistete uns Gesellschaft wenn wir gemeinsam zu Abend essen und half in der Küche mit. Dabei hatte sie sich mit Nuala und Cerridwen angefreundet. Doch genau dieses Leben mied Nesta wie die Pest, sodass sich die Schwestern nur noch selten über den Weg liefen.
„Nun ja, wenn das kaputte Spielzeug das Vermögen des Nachthofes auf den Kopfstellt, kann ich es nachvollziehen", erwiderte ich trocken.
"Meine Art zu leben geht dich gar nichts an", fauchte sie.
„Glaub mir, es ist mir scheiß egal, was du tust oder nicht tust. Aber versuche bitte nicht uns in den Bankrott zu treiben. Wir stehen immerhin vor einem Krieg. Der auch dich betreffen wird, wenn wir verlieren." Ich wartete nicht auf ihre Reaktion sondern suchte bereits Blickkontakt zu Kylan, hob eine Hand und grinste als er zu uns kam.
Er ließ gleich die ganze Flasche da, musterte Nesta kurz und ging wieder. Er war zwar ein High Fae, aber er hatte aufjedenfall das potential zum Illyrinaner. Die Art, wie er sich bewegte, wie er redete – eigentlich fehlten ihm nur die Flügel. Was wahrscheinlich genau der Grund war, warum ich ihn so begehrenswert fand. Diese Erkenntnis hätte mich vermutlich verärgert, wenn ich nicht betrunken wäre. Nestas' Funkeln in den Augen, als sie ihm hintersah, ließ mich grinsen.
„Mach dir keine Mühe, er ist glücklich verheiratet", sagte ich. Sie rümpfte die Nase. "Ich weiß nicht was du meinst", sagte sie unschuldig.
„Hmmm, du bist doch auch hier, um mit einem der Typen auf der Welle der Lust zu treiben. Ich habe mich noch nicht entschieden, wie sieht's bei dir aus?" Sie ließ die Frage geflissentlich unbeantwortet, doch ihre Augen streiften durch den Raum, als wäre sie ein Raubvogel. Unser darauf folgendes schweigen wurde von der Musik der Musikanten aufgeheitert. Die Melodien der Trommeln, Flöten, Gitarren und einem Cello vermischten sich mit den Stimmen der anderen Gäste. Diese Bar war schon immer gut besucht und vorallem ein Geheimtipp für jeden der guten Alkohol und Musik schätzte.
„Ich dachte, Cassian und du...", setzte sie an.
„Zwischen uns läuft nichts mehr", unterbrach ich sie schroff.
„Aber ihr habt miteinander geschlafen", fuhr sie unbeirrt fort. Das man mir es so offentsichtlich ansehen konnte ärgerte mich. Vorallem wenn mein gegenüber Nesta Archeron hieß.
"Wir hatten eine vergnügliche Affäre, das war's auch schon", spielte ich es herunter.
"Und doch ist er der Grund warum du hier bist", konterte sie. Gereizt knirschte ich mit den Zähnen, was ihr ein befriedigendes Lächeln auf die Lippen zauberte. Hinterhältige Schlange. Ich warf ihr über den Rand meines Glases giftige Blicke zu. Doch sie hatte einen scharfen Verstand, das musste ich ihr lassen.
"Warum hast du es beendet? Er schien von dir absolut hingerissen zu sein."
"Uns steht ein Krieg bevor", sagte ich nur, als wäre das Antwort genug.
„Dann gehst du davon aus, dass du es nicht überleben wirst?", hackte sie nach.
Ich berührte meinen linken Arm.
"Kann man so sagen".
Verdammt, wie bin ich überhaupt in dieser Situation gelandet? War mein Verstand wirklich so vernebelt gewesen, das er es für eine gute Idee hielt, mich der Schlange zum fraß vorzuwerfen? Ich bin her gekommen um Cassian mit Alkohol aus meine Gedanken zu verbannen und jetzt saß ich hier und redete ausgerechnet mit Nesta über ihn.
"Ich bin froh, das jemand anderes in der Lage ist, ihn zur Weißglut zu treiben, wenn ich nicht mehr da bin", sagte ich und deutete, mit dem Glas in der Hand, auf Nesta. Ich wollte zwar lässig klingen, dennoch hörte sich meine Stimme, beim letzten Satz, etwas erstickt an. Ihre Augen glänzten interessiert. Doch ich ging nicht weiter darauf ein und hoffte, das sie meine Worte mit dem bevorstehenden Krieg in Verbindung brachte.
"Und in der Vergangenheit habt ihr nie.... "
"Nein", antwortete ich sofort, bevor sie den Satz beenden konnte.
"Und ich dachte, ihr könnt die Hände nicht von einander lassen", sagte sie spöttisch.
"Du kannst ihn gerne haben, ich bin fertig mit ihm. Ich denke, er wird dir für ein paar heiße Nächte, willig zur Verfügung stehen." Sie blinzelte, in Anbetracht meiner plötzlichen gefühlslosigkeit.
Ich war inzwischen an einen Punkt angelangt, an dem ich mich nicht mal mehr für solche Worte schämte oder schlecht fühlte. Denn langsam wusste ich nicht, wie ich das länger aushalten sollte. Er musste nur im selben Raum sein, um meine Prinzipien auf den Kopf zu stellen. Allein das zu verbergen kostete mich so viel anstrengung, wie ein Spionage Auftrag von Azriel.
"Da muss ja etwas großes vorgefallen sein, das du jetzt so über ihn sprichst",sagte sie.
"Als würde es dich interessieren", erwiderte ich schnippisch.
"Ich bin nur verwundert, da du ihn vor ein paar Monaten noch in Schutz genommen hast", sie zuckte mit den Schultern und setzte ihr Glas an die Lippen.
"Wie auch immer. Jetzt ist es vorbei und es ist besser so." Ich leerte mein Glas und stand auf. "Ich werde jetzt jedenfalls Tanzen gehen", verkündete ich und mischte mich unter die Menge.
Ich genoss, wie die Musik die Gedanken aus meinem Kopf schob, die Frauen und Männer, die mich von allen Seiten streiften. Ich ließ mich fallen und kostete den Moment aus, in dem ich an nichts dachte, nicht an Cassian, nicht an meine Freunde, die ich langsam genau so behandlete wie ihn oder an den Krieg, den Hypern jetzt endgültig eingeleitet hatte.
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Das Reich der Sieben Höfe / Dunkelheit und Licht
FantasíaNach Jahrhunderten in Dunkelheit, Verzweiflung und Einsamkeit, erblickt Aviana wieder das Licht der Welt. Ihr plötzliches auftauchen sorgt für Aufruhr im Inneren Kreis und reißt alte Wunden auf, die nie vollständig geheilt sind. Geheimnisse werden...