1 - Roulon Calani

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Mein Vorhaben begann sogleich mit einem kleinen Abenteuer! Auf ausdrücklichen Wunsch meines monsterjagenden Gastgebers trafen wir uns nicht, wie ich es mir erhofft hatte, in einer gemütlichen Taverne in Colossus, sondern in der Kanalisation der Stadt, wo Roulon Calani seinen eigenen Angaben nach wohnte und die für gewöhnlich jeder meidet. Das wirre Netz aus Kanälen unter der Stadt schottet uns zwar weitestgehend vor den darunterliegenden Katakomben ab, trotzdem verirrt sich das ein oder andere Monster aus der Tiefe dorthin und sorgt dort für Chaos.

Als ich den Brunnen am Stadtrand erreichte und in das tiefe Loch blickte, in das ich gleich klettern würde, wurde mir schlagartig unwohl zumute und eine leise Scham kroch in mir hoch. Nur wenige Stunden hatte ich voller Enthusiasmus die ersten Worte in mein Tagebuch geschrieben, voller Vorfreude, endlich die Geheimnisse der Katakomben zu ergründen und als strahlender Held Vigoleria vor dem Ruin zu bewahren, doch als ich nun auf die Dunkelheit starrte, die mich am Fuß des Brunnenschachts erwartete, geriet mein Entschluss ernsthaft  ins Wanken. War es wirklich so wichtig, diese Welt zu erkunden? Sollte ich nicht doch lieber zurück in die Oberstadt gehen und mich mit einer warmen Tasse Tee und einem guten Buchvor dem Feuer ausruhen? Ich kam mir plötzlich wie ein großer Heuchler vor und hätte gerne die vorangegangenen Zeilen zerknüllt und ins Feuer geworfen hätte, doch nach einigem Zögern zwang ich mich schließlich, trotz aller Bedenken hinabzusteigen. Tief im Innern wusste ich, dass sich eine solche Gelegenheit nie wieder ergeben würde, und niemals hätte ich je wieder in den Spiegel blicken können, hätte ich sie verstreichen lassen.

Der Brunnen war nicht sehr tief und schon wenige Meter unter mir konnte ich große Steinplatten mit fremdartigen Symbolen darauf ausmachen, die fast überall in der Kanalisation Vigolerias zu finden sind. Um mich zu beruhigen, zählte ich die wenigen Dinge auf, die ich über die Kanalisation wusste – was nicht viel war, außer, dass sie aus der alten Zeit stammen und von unseren Vorfahren erbaut wurden. Es wurde merklich dunkler mit jedem Schritt und ich musste die Augen zusammenkneifen, um überhaupt noch etwas erkennen zu können.

Eine Lampe hatte ich auf den ausdrücklichen Befehl des Monsterjägers nicht mitgebracht, verfluchte mich aber nun dafür, denn ich konnte nicht einmal die Wände des Raumes sehen, in dem ich mich jetzt befand. Der Lärm der Stadt hörte sich hier gedämpft an, so als wäre ich in Watte gepackt, nur ein stetiges Wassertropfen erfüllte den Raum. Der Brunnen war fast ausgetrockent und nur ein kleines Rinnsal zweigte ab und sickerte in einem Bächlein an mir vorbei. Ein wenig hilflos und mit großem Unwohlsein sah ich mich um, was natürlich sinnlos war, dem um mich war alles schwarz.

Der Monsterjäger hatte keine weiteren Instruktionen gegeben, außer jenen, die ich befolgt hatte. Unschlüssig wartete ich im Dunkeln und wagte kaum zu atmen, die ungemütlich Kälte und Stille krochen in meine Glieder. Die Luft roch zwar modrig, aber erstaunlich sauber für eine Kanalisation unter einer so gigantischen Stadt wie Colossus.

Plötzlich flackerte dicht hinter mir Licht auf und ich zuckte vor Schreck zusammen, als eine tiefe Stimme ertönte, die von den Wänden widerhallte.

„Hallo Leutnant! Schön, dass du hergefunden hast!"

Ich fuhr herum und starrte in das schmutzige Gesicht eines Gnomes mit unordentlichen Haaren, der in einen langen zerfetzten Mantel gehüllt war und einen speckigen Zylinder trug, von dessen Krempe eine alte Laterne herunterbaumelte.

In mir machte sich unwillkürlich eine gewisse Enttäuschung breit, als ich den Neuankömmling musterte. Nein, sehen wir der Tatsache ins Gesicht, es war schiere Fassungslosigkeit. Das sollte der Monsterjäger sein, mit dem ich einen monatelangen Briefwechsel geführt hatte? Der Herr der Katakomben? Der gefürchtetste seiner Art??? Ich hatte einen Kämpfer erwartet, einen Mann von Schneid, groß und breitschultrig, mit kalter, beißender Intelligenz. Dieser Kerl vor mir war das genaue Gegenteil! Für einen Gnom war er zwar recht groß, was allerdings lediglich bedeutete, dass er mir nur knapp bis zur Brust reichte. Seine Haare fielen ihm lang und dunkel ins Gesicht und er trug einen ungepflegten Backenbart, von dem ich überzeugt war, dass irgendetwas darin lebte. Auf der zerschlissenen Kleidung des Mannes sah ich Flecken, von denen ich gar nicht wissen wollte, worum es sich handelte, und die Zigarre zwischen seinen gelblichen Zähnen stank so fürchterlich, dass ich würgte musste, was strenggenommen seiner ganzen ungepflegten Erscheinung galt. Der Kerl sah schlimmer aus als jeder Obdachlose, den ich je gesehen hatte und ganz und gar nicht wie ein großer, verwegener Abenteurer.

Herr der KatakombenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt