8 - Der Lianenwald

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Ich hatte etwas sehr privates von meinem Mentor erfahren. Zwar fand ich nie heraus, wie der Monsterjäger seine Beine verloren hatte (nur, dass es mit seinem Ausflug in die tiefen Katakomben zu tun hatte) aber ich kam mir trotzdem wie ein Eindringling vor. Roulon wirkte bei meinem nächsten Besuch schlecht gelaunt und ich hatte Sorge, es läge an mir. Wortlos tischte er mir ein ominöses blaues Getränk auf und ich wagte nicht, ihn zu fragen, um was es sich dabei handelte, zumal ich selbst einen schlechten Tag hinter mir hatte und deshalb in Gedanken versunken war. Neuerdings machten Unruhestifter das Land unsicher, in den Kolonien waren Magier aufgetaucht und sorgten für Ärger und obwohl mich das nicht direkt betraf, bedeutete es jede Menge Arbeit und Gereiztheit bei allen Beteiligten.

„Du trinkst ja gar nicht", riss mich Roulons enttäuschte Stimme aus meinen Gedanken und ich nahm mit einem entschuldigenden Blick die Tasse und lehrte sie in einem Zug. In meinem Gaumen explodierte ein ekelerregender Geschmack. Ich musste heftig würgen und erbrach ohne es verhindern zu können die blaue Substanz auf den Fußboden. Roulon fiel fast vom Stuhl vor Lachen und Laila, die wieder einmal in ihrer Ecke herumlümmelte, sprang erschrocken auf. Der Gnom beruhigte sie kichernd und mit den Händen wedelnd und japste mit Tränen in den Augen: „Jetzt geht es mir schon besser, du hast meinen Tag gerettet!"

„Na besten Dank auch", fauchte ich und warf die Tasse nach ihm, doch er duckte sich gekonnt zur Seite und goss den Inhalt seiner eigenen Tasse auf den Boden, noch immer schmunzelnd.

Erschöpft ließ er sich zurück auf den Stuhl fallen und meinte mit erhobenem Zeigefinger und einem listigsten Grinsen: „Regel Nummer Eins in den Katakomben. Iss niemals etwas Blaues, solange du es nicht an jemand anderem getestet hast!"

„Moment mal..." eine dunkle Erkenntnis machte sich in mir breit. „Du wusstest gar nicht, was mit mir passieren würde?!", brüllte ich ihn an und er blickte unschuldigend zurück.

„Bist du verrückt?!", Ich fegte das Teeservice in Roulons Schoß, es gelang ihm gerade so, auch diese Kanne vor dem Bruch zu bewahren. Der Monsterjäger sah mir eine Weile lang gelassen dabei zu, wie ich vor mich hintobte und hob dann beruhigend die Hände. „Nur die Ruhe, das Zeug, das du da getrunken hast, ist komplett harmlos, zumindest für dich. Das einzige, was es hervorruft, sind Bauchkrämpfe und einen Durchfall göttlichen Ausmaßes, sofern man nicht gleich alles wieder ausspuckt, also krieg dich wieder ein! Wärst du eine Frau, wäre das was anderes. Frauen können Fehlgeburten erleiden, wenn sie den Mist zu sich nehmen, aber du bist ja nicht schwanger, will ich hoffen!" Ich schnaufte und versuchte noch immer meine angestauten Gewaltfantasien zu unterdrücken.

Roulon steckte sich seelenruhig eine Zigarre zwischen die Zähne und grinste mich vielsagend an. Wir saßen uns eine Weile lang stumm gegenüber und nichts geschah, wenn man von den penetranten, herausfordernden Blicken des Gnomes absah.

„Was ist!?", herrschte ich ihn an.

„Ach ich warte nur, ob noch was Spannendes passiert, aber du hast die Brühe so gründlich wieder ausgekotzt, das Schauspiel ist wohl vorbei!"

„Du bist widerlich!", presste ich hervor, aber der Monsterjäger zuckte nur mit den Schultern, „ich bin pragmatisch!"

„Und was sollte das Ganze? Wolltest du mir eine Lektion darin erteilen, nie etwas von Fremden anzunehmen? Die ist dir gelungen!" Meine Stimme bebte, so wütend war ich. Mit zitternden Fingern zog ich meinen Mantel über und stand auf. „Das war's! Ich bin doch kein Versuchskaninchen. Ich gehe!", schleuderte ich ihm entgegen.

Roulon sah mir mit ausdrucksloser Miene zu, während ich zum Ausgang hinkte. Ich war schon im Begriff, den Raum zu verlassen, als er mit ernster Stimme meinte: „Die Pflanze, aus der man dieses Gift gewinnt, hat mir das Leben gerettet. Mehrmals um genau zu sein.... Ohne sie hätte ich wohl mehr verloren, als nur meine Beine..."

Ich hielt inne bei dem plötzlichen Themenwechsel. Der Monsterjäger deutete auf den Stuhl und meinte mit Nachdruck: „Setz dich!"

Wortlos ließ ich mich wieder neben ihm fallen und starrte ihn durchdringend an. Meine Wut begann langsam zu verrauchen, die Aussicht auf ein weiteres Geheimnis aus dem Leben des Monsterjägers stimmte mich einigermaßen milde. Würde ich heute erfahren, was ihm damals zugestoßen war?

Erwartungsvoll und argwöhnisch blickte ich ihn an und Roulon begann mit seiner Erzählung: „Die Ratia-Pflanze, deren Gift du gerade verkostet hast, ist eines der Gewächse in den Katakomben, das man gerne unterschätzt. Sie wächst falsch herum von der Decke und bildet Lianen, die so stark sind, dass man selbst Laila daran hochziehen könnte. Aus diesen Lianen wird der Sud gewonnen, den ich dir gerade verabreicht habe."

Der Monsterjäger schob die Zigarre zwischen seinen Zähnen hin und her und fuhr dann fort: „Die Pflanze ist so unscheinbar und ihr Gift so offensichtlich harmlos, zumindest im Verhältnis zu jedem anderen Gewächs in den Katakomben, dass ihr niemand große Bedeutung beimisst. Aber wie so häufig irren sich die Menschen, die Ratia-Pflanze birgt nämlich ein großes Geheimnis, dem ich nur rein zufällig auf die Spur kam. Vor vielen Jahren irrte ich allein in den Katakomben herum und meiner Achtlosigkeit war es geschuldet, dass ich schließlich in einem Wald aus Lianen geriet, ohne es recht zu bemerken. Als mir dämmerte, wo ich mich befand, suchte ich nach einem Ausweg, denn in den Lianenwäldern der Ratia-Pflanze leben einige gefährliche Geschöpfe, doch ich kam nicht weit, denn plötzlich stürzte sich ein Arkor auf mich. Sein Stachel, so lang wie dein Arm, durchbohrte meine Schulter. Ich kämpfte verbissen und es gelang mir, das Ungeheuer abzuschütteln und mit letzter Kraft schleppte ich mich ins Dickicht der Lianen. Ich verlor jedoch langsam die Besinnung und wusste, dass mich das Gift des Stachels, der noch immer in meinem Körper steckte, innerhalb kürzester Zeit umbringen würde. Obendrein suchte das Monster nach mir, ich hörte sein Geschlürf und Geschlabber, doch von Augenblick auf den nächsten war ich von absoluter Stille umgeben. Ich war zu schwach um aufzustehen, glaubte aber, Schritte zu hören... und dann starb ich...!"

„Wie bitte?!", fragte ich leicht schockiert.

„Das war nur, um zu prüfen, ob du noch zuhörst, natürlich bin ich nicht gestorben", keckerte Roulon und zündete sich noch eine Zigarre an. Seine Lunge musste schwarz wie Teer sein. „Sehr witzig", brummte ich, „was ist dann passiert?" Der Gnom zuckte mit den Schultern. „Ich bin ohnmächtig geworden... glaube ich zumindest. Als ich aufwachte, hatte jemand meine Kleider ausgezogen und mich einbandagiert. Ich befand mich im Inneren des Lianenwaldes, dort, wo die Pflanze ihren Ursprung hat. Dort verirrt sich kaum jemand hin, weil es extrem schwer ist, diesen Ort zu finden. Doch was ich dort sah, war atemberaubend. Ich blickte auf eine wunderschöne Blüte, die über mir aus der Decke wuchs. Erst jetzt wurde mir klar, dass jemand diese Blütenblätter über mir verteilt hatte, sie steckten sogar in den Bandagen und ich konnte förmlich dabei zusehen, wie meine Wunden sich schlossen... Daraufhin begann ich, die Blüte zu untersuchen, machte zahllose Experimente, und was ich herausfand, sollte vielen Monsterjägern das Leben retten. Die Blätter der Ratiablüte heilen fast alle Gifte der Untenwelt und Wunden schließen sich fast augenblicklich, wenn die Blütenblätter sie berühren. Ich trage immer einige davon bei mir, und als mir das mit meinen Beinen passierte, retteten sie mein Leben... Außerdem haben sie noch ein paar andere Vorteile..." er zog den Mantel und sein Hemd zur Seite und entblößte seine tätowierte Schulter. Als er mit dem Finger auf einen Punkt unterhalb des Schlüsselbeins zeigte, erkannte ich eine schwache Verfärbung. Dort musste der Stachel der Bestie ihn damals durchbohrt haben. Roulon schob sein Hemd wieder zurück. „Die meisten Monsterjäger brüsten sich mit ihren Narben, aber ich schätze die Qualitäten der Ratja-Blüte, die dafür sorgt, dass fast jede Wunde rückstandslos heilt."

„Unglaublich!", entfuhr es mir.

„Ja, ich bin eben eitel", grinste er und zwinkerte mir zu. Mir fiel etwas ein: „Wer war die Person, die sich um dich gekümmert hat? Wer hat dich versorgt, als du bewusstlos warst?".

Der Monsterjäger zuckte mit den Schultern. „So etwas kommt vor. Ist mir schon ein paarmal passiert. Umgekehrt habe ich den ein oder anderen Monsterjäger auch schon aus prekären Situationen befreit. Man hilft sich eben, zumindest wenn jemand wirklich in Not ist. Du brauchst nicht unbedingt einen Partner, aber mehr Feinde als nötig solltest du dir auch nicht machen." Er betrachtete bedauernd die Tasse, die ich zerbrochen hatte und sammelte seufzend die Reste ein. „Aber natürlich ist deine Lehre aus der Lektion auch nicht schlecht. ‚Nichts von Fremden naschen', das werde ich mir merken", schmunzelte er und bedeutete mir, dass das heutige Gespräch beendet war.

Herr der KatakombenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt