11 - Allein unterwegs

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Wir trafen uns meist in Roulons Unterschlupf, doch etwa ein Jahr nach unserer ersten Begegnung erhielt ich einen Brief mit einer beigelegten Karte, auf der ein Punkt weit unterhalb unseres üblichen Treffpunkts markiert war. Eine rote Linie zeigte den Weg, den ich einschlagen sollte und mir wurde klar, dass der Monsterjäger mich erneut auf die Probe stellte. Dies würde mein erster Ausflug allein in die Untenwelt sein und ich war bereit!

Sorgsam packte ich einige Dinge zusammen, von denen ich glaubte, dass sie nützlich sein konnten; eine Lampe, mein altes Soldatenmesser, ein wenig Proviant, da ich nicht wusste, wie lange ich unterwegs sein würde und natürlich ein Seil, so wie Roulon es mir mehrmals eingeschärft hatte.

„Geh nie ohne ein Seil in die Katakomben. Du gehst ja auch nicht ohne ein Boot segeln, oder?"

Der Einstiegspunkt, den der Monsterjäger für mich ausgesucht hatte, lag im südlichsten Stadtviertel von Colossus, dort wo die Häuser bereits seit Jahren verfielen. Da ich nicht wusste, wie lange ich unterwegs sein würde, verschleierte ich meinen Weggang vorsichtshalber mit der Geschichte, im Auftrag meines Vorgesetzten zu handeln. Niemand stellte meine Lüge infrage und so zog ich los.

In der Handelsgasse erwarb ich noch eine Spitzhacke und Handschuhe, und als ich an einem Pelzhändler vorbeikam, kam mir die Idee, ein Fell könne mich nicht nur vor der Kälte der unteren Ebenen schützen, sondern auch als Tarnung dienen.

Mit dem wilden Sammelsurium an Ausrüstungsgegenständen und gekleidet in das Fell eines gelben Yaks, machte ich mich auf den Weg und erreichte am frühen Nachmittag den Rand der Todesstadt. Ich kramte in meiner Erinnerung, wann ich zuletzt hier gewesen war, es musste Jahre her sein. Das zerfallene Stadtviertel im Süden betrat schon lange niemand mehr, der nicht komplett verzweifelt war, der Staub auf den toten Ruinen war unberührt und ich hinterließ tiefe Fußspuren in dem rostroten Staub, als ich den unheimlichen Ort durchquerte.

Der Großteil von Colossus ist noch nicht der Krankheit anheimgefallen, die unsere Welt zerstört, doch dieser Stadtteil erinnerte mich auf unangenehme Weise daran, wie nah der Verfall tatsächlich schon vorgedrungen war. Ich passierte schwebende Gesteinsbrocken von der Größe ganzer Häuserblocks und mit meiner Behinderung war es nicht ganz leicht, voranzukommen. Zwar hatte ich in den letzten Monaten dank meines eisernen Willens meine Haltung merklich verbessert und brauchte den Krückstock kaum noch, die Abgründe zwischen den Felsspalten boten jedoch kaum Halt. Rutschte ich ab, wäre das mein sicherer Tod.

Trotz der Mühe, die ich hatte, erkannte ich rasch, weshalb Roulon diesen Ort für sein Vorhaben ausgewählt hatte. Von hier hatte man eine gute Sicht auf die obersten Ebenen der Katakomben, die komplett frei lagen, wie eine Wunde, so als hätte ein gigantisches Ungeheuer Teile der Stadt herausgebissen. Man konnte die Untenwelt betreten, ohne Aufsehen zu erwecken und war gleichzeitig sicher vor den Kreaturen, die sich zumeist unter dem Stadtzentrum aufhielten, denn hier war für sie nichts mehr zu holen.

An dem von Roulon markierten Punkt wagte ich den Abstieg durch das Geröll. Über die angenagten Steinplatten konnte ich mich ohne Probleme abseilen und einige hundert Meter unter der Oberfläche betrat ich schließlich die Katakomben. Das war der tiefste Punkt, an dem ich mich bislang allein aufgehalten hatte und mein Herz raste, als ich in die Dunkelheit schritt. Der kalte Wind, der überall in den Katakomben pfeift, empfing mich und behutsam tastete ich mich vorwärts, die Lampe an meinem Gürtel befestigt. Der Gang war nicht sonderlich hoch, über mir konnte ich die moosbewachsene Decke erkennen und einige leuchtende Insekten, die sich darin eingenistet hatten. Inzwischen genoss ich den leicht modrigen Geruch, der von den Steinen und den Pflanzen ausging und sog scharf die Luft ein. Jeden Schritt tat ich mit Bedacht, ohne dabei allzu lang den Ausgang aus den Augen zu lassen, denn im Notfall war er mein einziger Fluchtweg. Doch als der Gang eine Biegung machte, verschwand das Tageslicht und ich war jetzt wahrhaftig allein in den Katakomben.

Herr der KatakombenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt