10 - Die Molriks

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Einige Zeit später wagten wir erneut einen Ausflug in die Katakomben. Es versprach ein spannender Tag zu werden, denn Roulon wollte mich einer Familie von Monsterjägern vorstellen, die ihr Domizil im Untergrund aufgeschlagen hatte. Bislang hatte ich stets angenommen, Monsterjäger seien eingefleischte Einzelgänger und so überraschte es mich, als der Gnom begann, von den Molriks zu erzählen, deren Familie schon seit Jahren in den Katakomben lebte, so als sei es das Normalste auf der Welt.

„Gram ist ein alter Freund von mir. Er und seine Frau Anabella haben in der Eisenstadt gearbeitet, lange bevor der jetzige Besitzer sie übernahm. Beide hatten eine große Leidenschaft für den Untergrund und seine Geheimnisse. Lustigerweise haben sie sich dort unten kennengelernt und sind sich an der Oberfläche nie begegnet. Als es mit der Eisenstadt immer weiter abwärts ging, und sie schließlich ihre Arbeit verloren, beschlossen Gram und Anabella, gemeinsam mit ihren Töchtern in die Katakomben zu ziehen. Es war ein riskantes Unterfangen, doch dort kannten sie sich aus, es kostete sie nichts und sie wussten um die Gefahren, die kaum bedrohlicher sein konnten, als ohne Arbeit im Elendsviertel zu leben. Und so landeten sie schließlich hier!", ich folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger, der auf ein seltsames, bienenstockartiges Gebilde deutete, das vor uns von der Decke hing. Ich sah hübsch bemalte Fenster mit Vorhängen und Blumentöpfen auf den Simsen und Wände, die von Kinderhänden bunt bemalt worden waren. An der Tür baumelte eine Glocke, die der Gnom jetzt läutete. Ein blonder Frauenkopf mittleren Alters schob sich aus einer Dachluke. „Roulon? Bist du das?", fragte die Frau, die Anabella Molrik sein musste. Ich lächelte höflich und verneigte mich knapp und sie erwiderte meinen Gruß mit einem freundlichen Winken.

„Ganz recht. Ich habe Leutnant Fiersmore bei mir, so wie ich es versprochen habe. Er möchte euch gern kennenlernen", brüllte der Monsterjäger nach oben, aber Anabellas Kopf war schon im Innern der Behausung verschwunden. Es folgte eine längere Stille, dann öffnete sich die Tür über uns und eine Strickleiter fiel hinunter. Ich klemmte meinen Gehstock unter den Arm und kletterte hinauf, so gut mir das eben gelang. Oben angekommen packte mich ein muskulöser Arm und ein rothaariger, kräftig gebauter Mann zog mich hoch. Er hatte einen dichten Vollbart und die hellsten Augen, die ich je gesehen hatte. „Leutnant Fiersmore? Kommt ja nicht oft vor, dass sich ein Soldat zu uns verirrt. Herein mit Ihnen, Anabella hat schon einen Kuchen vorbereitet. Kinder, kommt ihr bitte mal?" rief der Mann in den erstaunlich geräumigen Wohnbereich, der von dicken Wabensträngen durchzogen wurde und so den Eindruck kleiner, gemütlich wirkender Kammern entstehen ließ. Gram führte uns in das Wohnzimmer ihres Unterschlupfs. Ein mit gelbem Fell überzogenes Sofa dominierte den Raum, die übrigen Möbel bestanden ausschließlich aus Metall. Anabella erklärte, dass sie und Gram früher als Schlosser gearbeitet hatten, als ich die Möbelstücke verwundert musterte. Allerlei dekorative Gegenstände wie bunte Pilze, Holzgeflechte oder Tierschädel schmückten das Haus, es wirkte behaglich, warm und freundlich. Man konnte schnell vergessen, wo sich ihre Behausung befand.

Unverhohlen neugierig betrachtete ich die vergilbten Fotografien und Kinderzeichnungen, die an den Wänden hingen. Die Molriks wirkten glücklich auf mich – weit glücklicher als die meisten Familien an der Oberfläche.

Nach und nach fanden sich alle Familienmitglieder zusammen. Die beiden Töchter, Julia und Terra, glichen ihrem Vater Gram, beide waren groß und drahtig. Ihre Mutter sah winzig neben ihnen aus. Im Gegensatz zu ihrer großen Schwester, die ein freundliches Lächeln aufgesetzt hatte, wirkte Terra unterkühlt, und ihr pechschwarzes, ganz offensichtlich gefärbtes Haar ließ sie totenbleich erscheinen. Die jüngere Tochter der Molriks durchbohrte mich mit einem finsteren Blick, sie wirkte nicht so, als sei sie freiwillig hier. Ich sah es ihr nach, sicher gab es Spannenderes in der Untenwelt zu tun, als mit einem ehemaligen Soldaten Tee zu trinken. Ich versuchte mich also nicht von ihren penetranten Blicken aus der Ruhe bringen zu lassen, mit denen sie mich ohne jegliche Scham bedachte, und lauschte gebannt Grams Geschichte.

Herr der KatakombenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt