13 - Ein großer Verlust

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Nach dem denkwürdigen Treffen mit dem Anführer der Monsterjäger hörte ich für einige Zeit nichts mehr von Roulon. Ich begann mir Sorgen zu machen, Smarik könne es sich anders überlegt und dem Gnom verboten haben, mich weiterhin zu unterrichten. Die Zeit verging und der Winter brach über das Land hinein. Der Staub der sterbenden Welt mischte sich mit dem Schnee auf den Dächern und Fenstersimsen und färbte ihn rot. Ich verfiel in meine alte Gewohnheiten, zurück in das frühere Leben, das ich vor der Bekanntschaft mit Roulon geführt hatte, ein Dasein in stummer Einsamkeit. Um mich abzulenken, arbeitete ich wie besessen und erst jetzt, da ich wie aus einem Traum erwachte und in die Realität der Obenwelt zurückkehrte, bemerkte ich, wie sehr ich mich von meiner Familie entfernt hatte. Oft spürte ich die Blicke meiner Frau auf mir, in ihnen spiegelte sich die Frage, was es wohl war, was uns voneinander trennte. Sie tat mir Leid, es war nie meine Absicht gewesen, mich von meiner Familie abzuwenden, aber nun, mit meinem verbotenen Wissen und meinem Hunger nach etwas, das mir die Obenwelt nicht geben konnte, waren wir wie Fremde, die nur noch dieselbe Sprache teilten. Selbst meine Kinder, die ich Weißgott liebe, kamen mir fremd vor, auch wenn es mich freute, dass sie anscheinend ihren Weg im Leben fanden. Ich besuchte ich meinen Sohn in der Akademie, wo er zum Soldaten ausgebildet wird, so wie ich seinerzeit und erfuhr von Oberst Lamar, dass er ausgezeichnete Fortschritte machte. Der Ehemann von Tony Lamar ist einschüchternd, aber ich sah mit einem gewissen Stolz und einer eigenartigen Erleichterung, dass mein Sohn zu seinem Vorgesetzten aufsah, wie er früher zu mir aufgeschaut hatte. Cedric stand eine glänzende Karriere bevor, eines Fiersmores mehr als würdig, die für mich jedoch inzwischen bedeutungslos war. Es war gut, dass der Oberst ihn unterstützte, denn still und heimlich hegte ich immer mehr den Wunsch zu verschwinden und ich wollte keine Lücke hinterlassen. Ich ließ nach Roulon fahnden, in der Hoffnung, so einen Hinweis zu erhalten, meine Suche blieb jedoch erfolglos. Selbst Tony Lamar, die ich inzwischen häufig in ihrer Schneiderei besuchte, um wenigstens mit ihr über die Untenwelt zu sprechen, konnte mir keine Antwort geben, wo der Monsterjäger steckte. Er war wie vom Erdboden verschwunden.

Meine frisch verheiratete Tochter eröffnete uns schließlich, dass sie ein Kind erwartete, und ich freute mich über diese wundervolle Nachricht, aber es machte mir umso deutlicher, wie dringlich mein Vorhaben war, die Katakomben zu verstehen, denn im Süden bahnte sich langsam aber sicher ein Aufstand an. Die Wochen vergingen und ich fühlte mich gebrechlich und unnütz. Gerade, als mich meine alten Dämonen erneut zu übermannen drohten, erhielt ich einen hastig gekrakelten Brief von Roulon, in dem er mich bat, schnellstmöglich in Henrys Pub im Gnomviertel aufzutauchen. Ich zögerte keine Sekunde und machte mich auf den Weg.

Als ich dort ankam, wartete der Wirt bereits auf mich und brachte mich sofort nach oben. Er sah ernsthaft besorgt aus und zeigte auf eine Tür am Ende des Ganges.

„Roulon wartet schon auf dich", brummte Henry und verschwand mit einem finsteren Blick, den ich nicht zu deuten vermochte. Ich war verwirrt, warum in aller Welt wollte der Monsterjäger mich im Zimmer eines Gasthauses treffen? Und weshalb hatte er sich so lange nicht gemeldet?

Vorsichtig öffnete ich die Tür und trat ein. Das Bild, das sich mir bot, ließ mich augenblicklich erstarren. In meiner Laufbahn als Soldat habe ich viele Verletzungen gesehen, einige davon sehr schwer, aber keine schockierte mich mehr, als der Anblick, den Roulon bot.

Der kreidebleiche Monsterjäger lag in einem Bett am anderen Ende des Raumes, von oben bis unten in Bandagen gehüllt und zitternd wie Espenlaub. Sein Körper war übersät von offenen Wunden, tiefen Schnitten und blauen Flecken, die selbst die Mullbinden nicht ganz verbergen konnten. Sein Atem rasselte wie eine rostige Kette und als er hustete, spie er Blut über das Bett.

Es mag unsinnig klingen, aber irgendwie hatte ich Roulon die ganze Zeit als unverwüstliche Größe gesehen. Obwohl er mir seine Prothesen gezeigt und ausgiebig von seinen eher unrühmlichen Abenteuern berichtet hat, strahlte der Gnom eine Stärke aus, neben der ich mir immer kümmerlich vorgekommen war.

In dem stickigen Zimmer, das nach Krankheit und Blut roch, wurde mir zum ersten Mal wirklich bewusst, dass der Monsterjäger so menschlich war, wie ich selbst. Die Erkenntnis traf mich tiefer als ich zugeben wollte.

„Komm näher, Fiersmore, ich bin nicht ansteckend", Roulons Stimme war so dünn, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie er sich jemals von diesen Verletzungen erholen sollte.

„Was... was ist denn mit dir passiert?", krächzte ich und setzte mich vorsichtig an die Bettkante.

„Ach das... ein kleiner Zusammenstoß mit einem Vezoan", er versuchte, eine abwinkende Geste zu machen. Für einen Moment rang er nach Fassung, aber es gelang ihm nicht und die Maske, mit der er für gewöhnlich so sorgsam seine wahren Gefühle verschleiert, fiel von ihm ab und er begann hysterisch zu schluchzen.

„Laila ist tot!", dicke Tränen liefen über seine Wangen und tropften auf die Bettlaken. Ich war völlig überrumpelt von diesem Gefühlsausbruch und mir blieb nichts anderes übrig, als den weinenden Monsterjäger anzustarren wie eine Jahrmarktssensation. Obwohl es mir grundsätzlich missfällt, andere Personen zu berühren, nahm ich schließlich seine bandagierte Hand und tätschelte sie vorsichtig, das sorgte jedoch nur dafür, dass der Gnom endgültig zusammenbrach und richtiggehend aufschrie. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich beruhigte und nur noch leise vor sich hinweinte. Ich suchte nach den passenden Worten, um ihn zu trösten. „Es tut mir so leid!", war das klägliche Resultat meiner Bemühungen und Roulon heulte noch lauter.

„Was soll ich denn jetzt machen? Ich brauche sie!", rief er verzweifelt. Wir saßen eine Weile lang da und ich warf mit bedeutungslosen Worthülsen um mich. „Das wird schon wieder", „Du wirst eine neue Begleiterin finden" und immer wieder „es tut mir so schrecklich leid!".

Ich bin wahrlich kein sonderlich guter Tröster und der Monsterjäger heulte wie ein Schlosshund. Irgendwann, nach endlosem Zureden, fing er sich wieder und wischte sich die Tränen ab.

„Tut mir leid, ich wollte mich schon viel eher melden, aber leider bin ich erst heute früh wieder zu mir gekommen... Es ist nun, wie es ist. Kein Grund, deine Ausbildung zu unterbrechen! Wir werden kommende Woche weitermachen, bis dahin sollte ich wieder auf den Beinen sein. Ich danke dir, dass du gekommen bist. Du wirst ein guter Monsterjäger werden! Dafür sorgte ich!".

Nachdem mich Roulons Abwesenheit in den letzten Wochen wieder tief in Selbstzweifel katapultiert hatte, lösten diese Worte nicht denselben Stolz aus, den ich sonst verspürt hatte, wenn er etwas Derartiges sagte. Mit leichter Verbitterung antwortete ich: „Ich glaube nicht, dass ich die richtige Person dafür bin, in den Katakomben nach der Wahrheit zu suchen..."

Doch der Monsterjäger meinte nur mit Nachdruck, noch immer schniefend: „Du bist sogar perfekt dafür geeignet, viel besser, als jeder andere von uns, vertrau mir!"

Herr der KatakombenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt