Einige meiner Treffen mit Roulon stellten mich auf eine harte Probe. Manchmal gelang es mir, sie zu bestehen, einige Male aber auch nicht. Das siebte Treffen, von dem ich gleich berichten werde, war einer dieser Momente. Ich vergesse in meinen Aufzeichnungen immer, dass Sie als Leser natürlich nicht wissen können, wer ich bin und wie es dazu kam, dass ich nun den vielleicht größten Monsterjäger aller Zeiten zu meinen Freunden zählen darf. Deshalb habe ich beschlossen, diesen Eintrag mir selbst zu widmen, und der Geschichte, wie ich Roulon Calani kennenlernte:
Vor zwei Jahren hatte ich einen schrecklichen Unfall, der mich in tiefe Verzweiflung stürzen sollte. Ich werde nicht näher auf die Umstände eingehen, die dazu führten, doch eines will ich verdeutlichen: Wenn man gesund ist, stellt man nichts infrage. Es ist selbstverständlich, dass einem die Welt gehört und alles gelingt, wenn man nur fest daran glaubt, und so war auch ich ein leichtfertiger Tunichtgut, bevor mich das Schicksal schließlich ans Bett kettete. Der Verlust meiner motorischen Fähigkeiten und die Tatsache, dass ich mich nicht mehr selbst versorgen konnte, war ein Tiefschlag für mich.
Doch wir Fiersmores, eine der ältesten Soldatenfamilien der Oberstadt, gelten als stolz und unerschütterlich, und so beschwerte ich mich nicht, und kämpfte, so wie man es mir beigebracht hatte. Mühsam lernte ich erneut zu laufen, und auch wenn ich hinke wie ein alter Esel, sind meine Fortschritte noch immer beachtlich. Ich ließ mir nichts anmerken und kämpfte mich aus der Regungslosigkeit zurück ins Leben. Äußerlich betrachtet ertrug ich meinen Rückschlag mit der nötigen Fassung, so wie man es von einem Mann meiner Herkunft und Stellung erwartete.
Doch niemand sah die schwarze Wolke, die tief in mir lauerte und die selbst heute noch nicht ganz verschwunden ist. Zumeist wabert sie nur in meinem Hinterkopf, unerkannt, wie ein Dieb, der sich in einer dunklen Gasse versteckt. Manchmal jedoch breitet sie sich in meinen Gedanken aus, wie ein Gewitter, das mit einem Donnerkrachen über das Land zieht und es verwüstet.
Ich beherrschte es meisterlich, meine wahren Gefühle zu verschleiern, lächelte meine Frau und meine Kinder an, die besorgt an meinem Bett wachten und ertrug die spöttischen Bemerkungen meines Bruders mit Fassung, als ich mich wieder einigermaßen aufgerappelt hatte und wie ein Kind ganz von vorne beginnen musste.
Doch je länger die dunkle Wolke in mir tobte, desto tiefer versank ich, ohne dass irgendjemand es bemerkte. Ich verlor meinen Posten bei der Metallkavallerie, aus nachvollziehbaren Gründen, und wurde an den Schreibtisch versetzt. Früher hatte ich an vorderster Front für Frieden in der Stadt gekämpft, Seite an Seite mit den großen Helden der Schlacht, und ich maße mir an, eine gewisse Beliebtheit besessen zu haben, weil ich stest mit bedacht vorging, und nun war ich dazu verdammt, an einem staubigen Pult mein Dasein als Schreiberling zu fristen, vergessen und verloren.
Jeder Tag wurde zur Qual für mich, jedes Schreiben, das ich in meiner neuen Position aufsetzte, ließ mich noch tiefer in Depressionen versinken. Irgendwann dachte ich nicht mehr an glückliche Tage, sondern nur noch daran, wie ich aus dem Leben scheiden konnte, ohne meine Familie in Schande zu stürzen.
Es war meine dunkelste Stunde mit den finstersten Gedanken, als ich eines Tages ein ominöses Buch auf meinen Schreibtisch vorfand. Einer der Offiziere musste es konfisziert und zum Katalogisieren in mein Büro gebracht haben. Das Werk bestand aus zahllosen Blättern, die jemand eilig zusammengenäht hatte, und es enthielt handschriftliche Zeichnungen und Texte von Wesen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Bis auf wenige Einsätze hatte ich die Kanalisation unter der Stadt nie betreten, immerhin wurde uns von klein auf eingeschärft, wie gefährlich es dort war, die Katakomben, die sich darunter erstrecken, ganz zu schweigen.
Als ich in dem handschriftlichen Sammelsurium herumblätterte, wurde mir zum ersten Mal klar, dass dort, unter unseren Füßen eine Welt existierte, die viel größer und faszinierender war, als der sterbende, unfruchtbare Boden unseres Landes.
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Herr der Katakomben
AbenteuerEin Veteran, der großes Interesse an der verbotenen Untenwelt hat, freundet sich mit dem berüchtigten Monsterjäger Roulon an, und hofft, durch ihn nicht nur die Katakomben zu erkunden, sondern vielleicht sogar den alten Fluch aufzuheben, der auf Vig...