19 - Der verbotene Gürtel

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Meine Verletzungen waren zwar nicht so schwer, wie ich anfangs angenommen hatte, allerdings kostete es mich sehr viel Kraft, sie vor meiner Frau geheimzuhalten.

Ich war mir sicher, dass sie sich recht schnell zusammengereimt hatte, was geschehen war und die Tatsache, dass sie kein Wort darüber verlor, konnte man entweder als stummen Krieg oder als Friedensangebot werten. Da ich Roulon nicht mehr traf, und mir meine Tochter obendrein mit einer Notlüge beisprang, nach der ich unglücklich die Treppe hinuntergestürzt war, ließ schließlich sogar mein Bruder von mir ab und ich konnte mich wieder frei in der Oberstadt bewegen.

Einige Wochen vergingen und erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, dass meine Zeit als Roulons Schüler ein jähes Ende genommen hatte. Wollte ich die Katakomben erkundigen, so musste ich das ab jetzt wohl selbst tun. Zwar hatte ich bereits einige Alleingänge in der Untenwelt hinter mir, aber zumeist war es der Monsterjäger gewesen, der für mich Spuren gelegt oder mich dabei beobachtet hatte. Ich beschloss, dass es an der Zeit war, das zu ändern. Falls, nein, wenn der Gnom zurückkam, wollte ich ihm als stolzer Entdecker und wahrhaftiger Monsterjäger gegenübertreten und da mein Bruder mich nicht mehr mit Argusaugen bewachte, konnte mir das vielleicht sogar gelingen.

In den kommenden Wochen unternahm ich einige kleinere Exkursionen in die verbotene Welt. Zumeist streifte ich nur in der ersten Tiefenschicht umher, sammelte und studierte Pflanzen und versuchte mich dort zurechtzufinden. Es gab einige brenzlige Situationen, denn obwohl die erste Tiefenschicht sehr ruhig und gemächlich wirkt, gibt es auch dort Lebewesen, denen man lieber nicht begegnen will. Doch Roulon hatte mir viel beigebracht, und von dem ängstlichen Krüppel, der ich einmal gewesen war, war kaum noch etwas übrig, wie ich nun mit Stolz behaupten kann. Ich lernte tagtäglich dazu und fühlte mich sicherer denn je. Bald darauf sollte mich mein Wagemut jedoch in Schwierigkeiten bringen und meine Welt auf den Kopf stellen.

Der Tag hatte eigentlich recht verheißungsvoll begonnen, denn meine Frau hatte sich zu einem Besuch bei ihrer Cousine aufgemacht und mein Sohn und meine Tochter begleiteten sie. Da auch mein Bruder durch einen streng geheimen Auftrag in den Kolonien abberaumt worden war, gab es keine Hindernisse, die mich von einem erneuten Ausflug in die Katakomben abhielten und so beschloss ich, mein Erkundungsfeld etwas zu erweitern und dieses Mal ein wenig tiefer hinabzusteigen.

Es hätte nicht besser laufen können, denn als ich mich frohen Mutes auf den Weg machte und einige letzte Besorgungen in der Handelsgasse erledigte, lief ich geradewegs Smarik van Alderen in die Arme, seines Zeichens Anführer der Monsterjäger. Die Tatsache, dass man ihn an der Oberfläche antraf, war eine wahre Sensation und so kamen wir rasch ins Gespräch. Smarik erzählte mir von einem interessanten Ort, den er vor einiger Zeit entdeckt hatte und weil ich vor lauter Neugier nur so brannte, ließ der Hüne sich schließlich breitschlagen, mir diesen besonderen Platz in den Katakomben zu zeigen. Mein Herz zersprang förmlich vor Freude über diese einmalige Gelegenheit. Es war eine große Ehre, dass er mir gewährte, ihn zu begleiten und ich hatte nicht vor, ihn zu enttäuschen.

Nachdem ich meine Besorgungen abgeschlossen hatte (Smarik bestand darauf, dass ich mir eine Waffe zulegte, also besuchte ich den örtlichen Schmied und ließ mir von einem jungen Halbgnom ein prächtiges Kurzschwert andrehen) betraten wir die Katakomben. Der Anführer der Monsterjäger war, entgegen meiner bisherigen Erfahrungen, ein amüsanter Zeitgenosse und genau wie Roulon ein wandelndes Lexikon. Ich erfuhr, welche Orte er in den Katakomben besucht hatte und saugte sein Wissen über Flora und Fauna der Untenwelt auf wie ein Schwamm.

Wir stiegen zügig hinab, doch da ich mit Roulon schon viel weiter unten gewesen war, machte ich mir keine Sorgen, dass uns der Fluch treffen könnte. Wir waren noch meilenweit vom verbotenen Gürtel entfernt – so glaubte ich zumindest.

Herr der KatakombenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt