15 - Die weiße Grotte

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Die weiße Grotte ist wohl der schönste Ort der Katakomben, den ich je gesehen habe, auch wenn er mich im Nachhinein in große Schwierigkeiten bringen sollte, doch ich greife vor!

Roulon und ich trafen uns regelmäßig, sofern ich es ermöglichen konnte, was nicht immer leicht war. In den Kolonien schwelten die Unruhen, was es zeitweise unmöglich machte, mich von meiner Arbeit loszueisen, doch weitere Auswirkungen spürte man in der Oberstadt zu diesem Zeitpunkt noch nicht und wir wiegten uns fälschlicherweise in Sicherheit, die Rebellion sei weit genug von uns entfernt...

Einige Monate, nachdem der Monsterjäger mir seine neueste Tätowierung gezeigt hatte, stand er abermals an meiner Haustür, diesmal war es bereits später Abend und meine Frau war schon zu Bett gegangen, was mir eine Diskussion mit ihr über den ungewöhnlichen Gast ersparte.

„Ich habe nachgedacht und werde dir einen Ort zeigen, den außer mir bislang nur eine weitere Person betreten hat".

Ich war überrascht und fühlte mich geehrt, hatte aber keine Zeit, weitere Fragen zu stellen, denn Roulon machte eilends klar: „Es wird eine Weile dauern, dorthin zu gelangen, also erfinde lieber eine gute Geschichte, damit deine Frau nicht allzu wütend wird!"

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen in Anbetracht der Tatsache, wie schwierig es bereits jetzt war, meine gelegentlichen Ausflüge zu vertuschen. Als ich versuchte, dem Monsterjäger meine Situation begreiflich zu machen, blieb er hart. „Willst du die Katakomben kennenlernen oder nicht? Es liegt bei dir, ich kann genauso gut wieder gehen". Er verließ tatsächlich ungerührt den Raum und ich zweifelte keine Sekunde daran, dass er seine Drohung wahrmachen würde, also begann ich seufzend meine Sachen zu packen und informierte meine Frau über meinen überraschenden Weggang. Ich konnte weder ihr noch sonst jemandem erklären, was ich wirklich tat, also erfand ich die Lüge eines dringenden Auftrag in den südlichen Kolonien. Das war eine dürftige Notlüge, die meine Frau, zumindest ihren Blicken nach zu urteilen, zurecht infrage stellte, doch zumindest würden ihr Außenstehende Glauben schenken, und das war bei uns Fiersmores noch immer das Wichtigste.

Insgeheim war ich wütend auf Roulon. Es scherte ihn offenbar nicht, dass ich großen Ärger riskierte mit meinen spontanen Ausflügen. Aber was sollte ich schon tun? Wenn der wohl berüchtigtste Monsterjäger der Geschichte vor Ihrer Haustür steht um Ihnen einen Ort zu zeigen, den selbst er als außergewöhnlich beschreibt, dann fragen Sie nicht ob – sondern wann geht's los?

Kurz darauf verließen wir die Stadt durch den Oberstädter Brunnen. Es hatte mich anfangs nervös gemacht, dass es offenbar einen direkten Weg von den Katakomben bis in meinen durch eine hohe Mauer geschützten Heimatbezirk gab, aber Roulon beschwichtigte mich, indem er sagte, dass wohl außer uns beiden niemand diesen Weg je finden würde. Am Grund des Brunnens erwartete mich ein Lebewesen, groß wie ein Pferd, aber dick und unbeholfen wie ein Nashorn. Es hatte zwei Höcker auf dem Rücken und zupfte genüsslich die Pilze von den Wänden, ein solches Geschöpf hatte ich noch nie gesehen.

„Das ist Fortuna", meinte Roulon, so als würde das alles erklären, „ich hab sie mir von Smarik ausgeliehen. Der Weg ist viel zu weit zu Fuß, zumindest für dich, also steig auf!"

Er sollte Recht behalten, denn der Ritt dauerte eine halbe Ewigkeit. Wir stiegen nicht nur tiefer hinab, als je zuvor, sondern entfernten uns auch immer weiter von der Stadt und ich sah die wahren Katakomben, die jenseits der erschlossenen Bereiche liegen. Ich kann nicht sagen, wieviele Stunden vergingen, es konnten sogar Tage sein, denn wir machten in unregelmäßigen Abständen Pausen und ich verlor gänzlich das Zeitgefühl. Die Katakomben sind ein Ort, der einen vergessen lässt, dass es Tage und Nächte gibt.

Herr der KatakombenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt