Unser viertes Treffen war eines der wenigen, das in der Öffentlichkeit stattfand. Ich traf den Monsterjäger in einer etwas heruntergekommenen Spelunke im Gnomviertel und fühlte mich ausgesprochen unwohl dabei. Für gewöhnlich wäre ich niemals allein in dieses Stadtviertel gegangen! Die meisten Gnome mögen uns Menschen nicht, aus nachvollziehbaren Gründen, denn immerhin haben wir sie in dieses Stadtviertel verbannt. Ich erntete viele böse Blicke, als ich die Taverne betrat. Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her und wartete auf Roulon, während mich meine Tischnachbarn misstrauisch beäugten. Plötzlich packte mich eine in Tücher gehüllte Gnomin am Arm und zischte mir ins Ohr: „Du bist der Nächste. Nimm dich in Acht!". Ich erschrak so sehr, dass ich mein Bier verschüttete, und starrte der Wahrsagerin entgeistert nach, als der Wirt sie unsanft hinausschob. Erneut wurde mir bewusst, wie wenig von dem einst so mutigen Soldaten, der ich einmal war, übriggeblieben ist, mein Herz sprang in meiner Brust auf und ab.
„Tag auch", ertönte eine Stimme und ich fuhr herum. Roulon saß neben mir auf der Bank und sah grinsend der schimpfenden alten Gnomin nach. „Hat sie dir auch den Tod vorhergesagt? Das macht sie am liebsten. Ich glaube, sie genießt die verstörten Gesichter ihrer Opfer".
„Wie bist du hier reingekommen?", fragte ich verblüfft, aber der Monsterjäger zuckte nur gespielt ahnungslos mit den Schultern und wedelte dem finster dreinblickenden Wirt freundlich zu. Der drehte sich kommentarlos um und verschwand. Es dauerte nur wenige Augenblicke, und zwei dampfende Teller wurden uns serviert. Das Essen darauf sah köstlich aus, auch wenn ich so etwas Seltsames noch nie gesehen hatte. Noch mehr verwirrte mich allerdings die Tatsache, dass wir noch gar nicht bestellt hatten, der Wirt musste also von unserem Treffen gewusst haben und ich vermutete richtiggehend, dass das hier für gewöhnlich nicht auf der Speisekarte stand.
„Kennst du den Schankwirt hier gut?", fragte ich leicht misstrauisch und musterte das undefinierbare Fleisch auf meinem Teller. Es war purpurfarben und seine schiere Größe ließ darauf schließen, dass es sich nicht um ein herkömmliches Steak handelte.
„Henry ist einer meiner besten Kunden", erklärte Roulon, als ob das alles erklären würde und orderte ein Bier. Dann schob er mir die Platte hin. „Iss", befahl er nachdrücklich, und als er meinen Blick sah, fügte er hinzu: „Ich verspreche dir, es ist weder giftig, noch wird es deinen Verstand rauben. Es ist ein ganz normales Stück Fleisch!".
Ich nahm einen vorsichtigen Bissen und meine Gesichtszüge entglitten mir vor Überraschung und Genuss. Das Gericht schmeckte köstlich! Besser als alles, was ich jemals gegessen hatte! Ich verschlang die Portion mit einer beinahe animalischen Hast und hörte erst auf zu essen, als mein Teller völlig leer war.
Der Monsterjäger beobachtete mich amüsiert und leicht verwundert, rührte jedoch seine eigene Platte, auf der ein gebratener Tentakel von der Länge meines Unterarms lag, nicht an.
„Iffft du niffts?", fragte ich mit vollem Mund, und Roulon lächelte nachsichtig. „Ich lasse dir den Vortritt. Möchtest du nicht langsam wissen, was du da verschlungen hast?"
„Lass mich raten, es ist irgendein Lebewesen aus den Katakomben", ich wedelte grinsend mit einem Knochen herum und puhlte mir die letzten Fleischfetzen aus den Zähnen.
„Das ist richtig, aber es ist nicht irgendeine Kreatur, die ich dir da aufgetischt habe. Ich wette, du hast sogar schon mal von ihr gehört. Ich gebe dir einen kleinen Hinweis: Das Geschöpf, das wir suchen, ist violett, sehr groß, schleimig und ziemlich gefährlich.... meistens treibt es in den Elendsvierteln sein Unwesen, aber vor ein paar Jahren hat ein Exemplar seiner Gattung auch dem Soldatenviertel einen Besuch abgestattet... Du weißt, wovon ich spreche?!".
Ich war in meiner letzten Bewegung erstarrt, was ziemlich dümmlich aussehen musste, doch als mir dämmerte, von welcher Kreatur er sprach, wurde mir übel. Es gibt nur sehr wenige Geschöpfe aus den Katakomben, die selbst wir Soldaten beim Namen kennen, und dass es sich dabei um die Gefährlichsten von ihnen handelt, liegt ja wohl auf der Hand. Vor einigen Jahren hatte es einen hässlichen Zusammenstoß gegeben, als eines dieser Wesen, vor denen sich auch der letzte Bewohner Vigoleria fürchtet, die Mauer der Oberstadt emporgekrochen war.
„Das ist nicht wahr", platzte ich heraus und obwohl ich das Fleisch hinuntergeschlungen hatte und mir insgeheim noch eine zweite Portion wünschte, hatte ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen.
„Doch, genau", der Gnom kicherte, „du hast gerade das Fleisch eines Monochs gegessen, herzlichen Glückwunsch zu dieser einzigartigen Erfahrung!".
Er schob mir auch noch den zweiten Teller hin und ich betrachtete den Tentakel darauf mit angemessenem Ekel. „Ich werde das nicht essen, bevor ich nicht weiß, was es ist!" sagte ich entschieden und verschränkte die Arme.
Roulon schmunzelte und kippte sein Bier in einem Zug hinunter. „Einverstanden. Es ist ein Zilios, eine Krake die in der gefluteten Ebene vorkommt. Ist schwierig, sie zu jagen, aber ein Freund von mir ist ganz passabel darin und deshalb liegt das Fleisch dieser Kreatur heute auf unserem Tisch. Lass es dir schmecken, du wirst nie wieder etwas Vergleichbares finden!"
Der Monsterjäger behielt natürlich recht und obwohl ich eigentlich längst satt war, vernichtete ich die Portion in Rekordzeit.
Als ich fertig war drängte sich mir eine Frage auf: „Wer ist dieser Wirt eigentlich, und warum macht es ihm nichts aus, so etwas zuzubereiten?"
Roulon antwortete mit einem dunklen Lächeln: „Ihr Soldaten wisst das wahrscheinlich nicht, und vermutlich interessiert es auch niemanden, aber bei uns ist es recht üblich, solche Gerichte zu essen. Hast du dich nie gefragt, warum ausgerechnet die Gnome in Colossus, die ihr in so vielen Bereichen als minderwertig anseht, und die ihr in eigenen Stadtvierteln zusammenpfercht, trotzdem ein besseres Leben führen, als die meisten Unterstädter? Eigentlich liegt die Lösung auf der Hand, aber glücklicherweise zeigt ihr so wenig Interesse an uns, dass euch nicht einmal das auffällt."
„Hör bitte auf, ständig von ‚uns' zu sprechen", ich war leicht verärgert über den Vorwurf in seiner Stimme, „ich sitze hier mit einem Gnom in einer Taverne, die frittierte Katakombenbewohner serviert und habe gerade das Fleisch eines Monochs und eines Katakombenkraken gegessen. Viel weiter kann ich mich eigentlich nicht mehr von meinesgleichen entfernen."
Der Monsterjäger musste lachen. „Ja das stimmt wohl. Aber tu mir den Gefallen und verrate deinen Mitgenossen nichts davon. Die Gnome haben schon genug Ärger, nimm ihnen nicht auch noch ihre Delikatessen weg!"
„Wenn ich beim nächsten Mal wieder was davon bekomme, sind meine Lippen fest versiegelt", versprach ich und leckte mir genüsslich die Finger ab.
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Herr der Katakomben
AdventureEin Veteran, der großes Interesse an der verbotenen Untenwelt hat, freundet sich mit dem berüchtigten Monsterjäger Roulon an, und hofft, durch ihn nicht nur die Katakomben zu erkunden, sondern vielleicht sogar den alten Fluch aufzuheben, der auf Vig...