Prolog

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Tsukishima PoV
Ich hörte unser Keuchen und Seufzen in der dunklen Halle widerhallen, als ich Yamaguchi unsanft gegen die Wand neben der Tür zum Geräteraum drängte. Die Lippen unseres Kapitäns trafen auf meine, seine Zunge schnellte in meinen Mund vor, ich schmeckte den süßen Wein, den die Jungs zur Feier unseres letzten Siegs in der Oberschule mitgebracht hatten und von dem wir alle reichlich gekostet hatten, während Yamaguchis kühle Finger unter mein Shirt fuhren und meine Haut mit einer Gänsehaut benetzten.

Mein Gehirn war umnebelt, meine sonst so geschärften Sinne ein wenig trüb und von Lust übertüncht, doch ich nahm Yamaguchi dafür umso klarer wahr. Seine Stimme, seine Berührungen, seine Präsenz. Ich stöhnte auf, als seine Finger meine Bauchmuskeln nach unten wanderten und sich an meiner Hose zu schaffen machen wollten. Das riss mich wieder ins Hier und Jetzt zurück.

Ich griff nach seinen Handgelenken und stoppte widerwillig seine Bewegungen. Das hier ist schon viel zu weit gegangen.

Yamaguchi und ich sind schon seit Kindheitstagen befreundet. Wir sind zusammen auf die Oberschule gekommen und haben uns auch gemeinsam zum Volleyball angemeldet. Und sind hier nochmal richtig zusammen gewachsen. Vor allem dass er in diesem Schuljahr zum Kapitän ernannt wurde gab seinem Selbstbewusstsein noch einmal einen ordentlichen Schub, nicht nur im Volleyball.

An diesem Abend, als wir, trunken von unserem letztmöglichen Sieg und dem Wein am Feuer saßen ergriff er die Initiative und fasste mein Handgelenk um mich nach oben zu ziehen und weg von der Gruppe zu führen. Mein Herz machte einen Hüpfer und setzte danach einen Schlag aus, als er um die Ecke bog und flüsterte: „Ich muss dir noch etwas geben, bevor... ich es bereue es nicht getan zu haben..."

Und er legte vorsichtig seine Lippen auf meine. Ich konnte ihn erst nur ganz entsetzt anstarren, doch bald griff ich in sein Haar, erwiderte den Kuss, von dem ich gar nicht wusste, dass ich so lang auf ihn gewartet habe. Jeder versuchte die Oberhand zu behalten, wir stolperten durch die Tür in die Sporthalle und fanden uns schließlich in dieser Position wieder.

Yamaguchi atmete genauso schwer wie ich und schaute zu mir auf. Auch wenn er groß war überragte ich ihn um einige Zentimeter. „W-Was ist los, Tsukki? Hab ich was falsch gemacht?", flüsterte er atemlos. Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Schon immer hat er sich die Schuld an allem gegeben, hat sich immer wieder entschuldigt, obwohl er meist der letzte war, der was falsch gemacht hatte. Ich war da das komplette Gegenteil: so lag es in meinem Charakter ein wenig verschlossener, pragmatischer und realistischer (oder pessimistischer, je nachdem wen man fragte) auf andere zu wirken. Nicht so bei ihm.

„Ich... ich weiß nicht... ob das so eine gute Idee ist. Das ist einer unserer letzten gemeinsamen Abende, danach gehen wir sowieso getrennte Wege", antwortete ich zerknirscht, denn mein Körper schrie gerade zu danach, sich wieder mit ihm zu verbinden.

Yamaguchi schaute mich etwas irritiert an. Ich wusste, dass er am liebsten etwas gesagt hätte, doch er schien sich genau zu überlegen, wie er die Worte formte. „Aber... sollten wir dann diesen Abend nicht gerade ausnutzen? U-und was soll das heißen, 'wir gehen getrennte Wege'? Nur weil wir zum Studieren in andere Städte ziehen, heißt das doch nicht, dass wir beide keinen Kontakt mehr haben werden...", sagte er ein wenig aufgebracht.

Ich schluckte ein wenig. Vor diesem Gespräch hatte ich in den letzten Wochen immer mehr Angst gehabt. Ich hatte einen Entschluss gefasst, doch das erste Mal, seitdem Yamaguchis Lippen mit meinen verbunden waren, fing dieser an zu bröckeln. Ich wollte hier die Zelte abbrechen, woanders ein neues Leben beginnen, fern von diesem ganzen Gefühlschaos, was ich hier zurücklassen würde. Die Unsicherheit gegenüber meines Bruders, dem Leistungsdruck meiner Eltern, meine seltsame Hassliebe zu meinem Team... und schlussendlich die besondere Freundschaft mit meinem besten Freund, die ich überhaupt nicht verdient hatte. Ich war kaltherzig, konnte nicht mit Menschen umgehen, wie sollte ich denn einer so guten Seele wie Yamaguchi gerecht werden?

Deshalb wollte ich mit dem Studium in einer anderen Stadt einfach einen Cut machen. Mit allem. Wer weiß, vielleicht fühlte ich mich irgendwann bereit wieder zurück zu kehren... doch aktuell wollte ich einfach nur weg von hier. Und dann kam Yamaguchi um die Ecke, brachte mein Herz zum explodieren und ich hinterfragte plötzlich meine Lebensentscheidungen. Was zur Hölle?

„Es tut mir leid... Yamaguchi", flüsterte ich leise und merkte tatsächlich, wie sich eine Träne aus meinen Augen löste, die ich energisch wegwischte und mit einem weiteren Schritt zurück noch mehr Abstand zwischen uns brachte. Yamaguchi starrte mich an, er schaute wütend zu mir hoch und ballte seine Hände zu Fäusten.

„Wovor hast du solche Angst, Tsukki? Dass du einmal in deinem Leben keine Kontrolle hast? Dass du mal etwas unerwartetes machst? Oder... dass du Gefühle zulässt?", flüsterte er die letzte Frage mit Tränen in den Augen. Ich wandte den Blick ab. Die Wahrheit traf mich mit jedem seiner Worte und ich wusste, dass er genau wusste, was mir seine Freundschaft bedeutete... was mir dieser Kuss bedeutete... Doch ich konnte nicht zulassen, dass ich ihn verletzte.

„Es ist wohl besser, wenn ich jetzt gehe", erwiderte ich etwas kalt. Ich baute meine Mauern um mich herum wieder auf um mich dahinter zu verkriechen und setzte eine undurchschaubare Maske auf. „Dass du mich belügst ist gar nicht das schlimmste... sondern dass du dich selbst belügst...", rief Yamaguchi mir schluchzend hinterher, doch ich ließ ihn in der dunklen Halle zurück und eilte nach Hause, wo ich mich in meinem Bett zusammen kringelte und den Tränen freien Lauf ließ.

Nach unserer Abschlusszeremonie eine Woche später habe ich meinen besten Freund ein Jahr lang nicht mehr gesehen. Bis heute...

Found Again || Tsukishima x YamaguchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt