Warum?

507 35 0
                                    

Tsukishima PoV
Die Musik hämmerte in meinen Ohren, doch sie schaffte es nicht, meine Nervosität zu dämpfen. Sie ließ auch nicht zu, dass ich die Außenwelt, wie sonst, ausblenden konnte. Immer wieder glitt mein Blick über die Zuschauertribünen und suchten nach einem bekannten sommersprossigen Gesicht. Als ich zum wiederholten Male erfolglos das Publikum absuchte schüttelte ich energisch den Kopf und konzentrierte mich wieder auf das anstehende Spiel. Wie konnte ich nur glauben, dass Yamaguchi wirklich hier auftauchen wird?

Ich hab's verbockt und zwar so richtig. Da macht es keinen Unterschied ob ich mich nach einem Jahr wieder bei ihm meldete oder nicht. Was sollte er auch denken? Ich konnte es mir ja selbst nicht mal erklären, warum ich ihm plötzlich geschrieben hatte.

Ich hatte ihn vermisst. Schon seit dem Tag, an dem ich weggezogen bin und alle Verbindungen abgebrochen hatte. Ich fühlte mich schrecklich, konnte lange Zeit nicht richtig schlafen und mein Innerstes fühlte sich einfach... leer an ohne ihn. Ich redete mir ein, dass es besser werden würde. Dass ich im Alltag des Studierens schon auf andere Gedanken kommen würde. Dass ich vielleicht Freunde finde, die mich ablenkten. Aber Yamaguchi schien sich in mein Gehirn eingebrannt zu haben. Selbst nach einem Jahr wusste ich, wie sich seine Stimme anhört, sein Lachen, wie sich seine Lippen auf meinen anfühlten... STOP!

Energisch riss ich mir die Kopfhörer von den Ohren und stand auf um mich der Erwärmung anzuschließen. Die Halle füllte sich nach und nach mit mehr Zuschauern, doch irgendwann verlor ich den Überblick und konnte die einzelnen Gesichter nicht mehr voneinander unterscheiden. Schließlich gab ich es auf und stellte mich mit meinen Mitspielern auf, um die gegnerische Mannschaft zu begrüßen.

***

Gierig leerte ich meine Flasche und ließ mir von unserer Managerin ein Handtuch reichen. Wir hatten tatsächlich gewonnen, auch wenn es knapp war. Meine Teammitglieder klopften sich gegenseitig auf den Rücken oder hielten sich die Hände für ein High-Five hin. Ich stand etwas abseits von allen und sortierte meine Sachen in meine Tasche ein. Mir war nicht nach feiern zu Mute und ich wollte schleunigst aus dieser Halle verschwinden. Ich hatte mich der irrwitzigen Illusion hingegeben, dass Yamaguchi heute Abend hier sein wird und sich mit mir treffen wollte. Und dabei wurden mir schmerzlich die Augen geöffnet. Ich kam zu spät.

Nachdem ich mich schnell geduscht hatte, schulterte ich meine Tasche und verabschiedete mich von meinen Teammitgliedern um schon einmal ins Hotel zu fahren. Ich lief durch den mittlerweile leeren Eingangsbereich der Halle und setzte gerade meine Kopfhörer auf, als ich mitten in meiner Bewegung stoppte und auf die Eingangstür starrte.

Yamaguchi PoV
Ich scharrte unruhig mit den Füßen. War das wirklich eine gute Idee hier zu warten in der Hoffnung Tsukki über den Weg zu laufen? Als ich ihn vorhin auf dem Spielfeld gesehen hatte merkte ich, wie sich mein Herzschlag beschleunigte und ich musste mich am Geländer vor mir festkrallen um nicht direkt über die Bande und in seine Arme zu springen. Bildete ich mir das nur ein oder wanderte sein Blick immer wieder suchend über die Tribünen?

Ich musste ein bisschen schmunzeln als ich an Tsukki dachte. Er hatte sich kaum verändert, vielleicht ist er noch ein paar Millimeter mehr gewachsen, doch er hatte immer noch die gleiche unnahbare Maske auf seinem Gesicht aufgesetzt und während des Spiels diesen ruhigen und analytischen Blick, der die Gegner zu röntgen schien.

Ich nahm mein Handy aus der Tasche und schaute auf die Uhr. Vielleicht sollte ich langsam los. Es war unsinnig zu hoffen, dass ich Tsukki noch einmal über den Weg lief. Ich seufzte und wandte mich gerade zum gehen, als ich hörte, wie die gläserne Eingangstür hinter mir laut aufgeschlagen wurde und eine Stimme laut rief: „Yamaguchi!!"

Die Stimme hallte in meinen Ohren wider und sorgte dafür, dass sich eine Gänsehaut über meinen Körper bildete. Mir stockte der Atem und ich drehte mich auf der Stelle um um sicherzugehen, dass mir meine Ohren keinen Streich spielten. Doch da stand er. Mein ehemaliger bester Freund. Und brachte mein Herz zum rasen.

„T-Tsukki...!", erwiderte ich, als er die letzten Meter zu mir überbrückte und dann keuchend vor mir stehen blieb. Ich klammerte mich an meinem Handy fest und starrte zu ihm hoch. Aus der Nähe sah er noch tausendmal besser aus und ich musste mehrmals schlucken um meine Nervosität ein wenig zu dämpfen.

"Hey...", sagte er und versuchte sich in einem schiefen Grinsen, welches jedoch nur seine Unsicherheit widerspiegelte. Er kaute nervös auf seiner Unterlippe herum, als ich nichts antwortete und ihn weiter anstarrte. Er redete mit mir. Er ist zu mir gekommen. Er hätte auch einfach gehen können. Doch er wollte wirklich mit mir reden. Nachdem er mich ein Jahr lang gekonnt ignoriert hat.

Plötzlich holte mich meine Wut wieder ins Hier und Jetzt zurück und meine Augen verengten sich, als ich meine Arme vor der Brust verschränkte, damit Tsukki nicht sah wie sie zitterten. „Was willst du, Tsukki?", fragte ich ihn und merkte erleichtert, dass meine Stimme fest klang.

Tsukki hob eine Augenbraue und ich sah, wie er sich am Gurt seiner Tasche festklammerte. „Darf ich dir jetzt nicht mal mehr ‚Hallo' sagen oder was?", antwortete er schnippisch und ich musste freudlos auflachen. „Du hast es das gesamte letzte Jahr nicht für nötig gehalten mit mir Kontakt aufzunehmen. Entschuldige, dass ich mich deshalb nicht mit einem simplen ‚Hey' zufrieden gebe", gab ich wütend zurück. 

Tsukki schaute mich an, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst und ich bereute es direkt ihn so angefahren zu haben. Ich senkte den Blick und atmete tief durch. Als ich zu einer Entschuldigung ansetzen wollte, kam er mir jedoch zuvor: "Entschuldige, Yamaguchi. Du hast recht, das war nicht fair." 

Ich konnte die Male, die sich Tsukki bei mir entschuldigt hatte an einer Hand abzählen. Das ihm diese Worte nun über die Lippen kamen brachte mein Herz zum hüpfen und meine Wut verrauchte und zurück blieb nichts weiter, als Unsicherheit, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Die Sekunden verstrichen und wir schauten uns weiterhin an. Dann, bevor mich der Mut verließ, sprach ich die Worte aus, die ich schon seit einem Jahr mit mir herum trug: "Warum, Tsukki? Was hab ich dir getan, dass du mich nicht mehr in deinem Leben haben willst?" 

Found Again || Tsukishima x YamaguchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt