Was habe ich mir nur dabei gedacht?

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Tsukishima PoV

Ich hatte gerade meine Tasche für die Übernachtung bei Yamaguchi gepackt, als es an der Tür klingelte. Verwundert blickte ich auf die Uhr. Ich hatte zwar noch etwas Zeit bis mein Zug fuhr, dennoch erwartete ich niemanden. Ich öffnete zögernd die Tür und sah... meine Mutter und meinen Vater.

„Hallo Kei. Dürfen wir vielleicht reinkommen?", fragte meine Mutter freundlich und lächelte mich an. Ich blickte nervös zwischen ihr und meinem Vater hin und her, der mich nur ausdruckslos anstarrte und trat dann zur Seite um sie einzulassen. Ich schloss die Tür, nachdem auch mein Vater die Schwelle übertreten hatte und wandte mich zu ihnen um. Meine Mutter setzte sich gerade auf mein kleines Sofa während mein Vater an meiner Küchentheke lehnte und seine Arme verschränkt hielt. 

"Kann ich euch etwas anbieten?", fragte ich und stand unschlüssig im Raum. "Nein, danke, Schatz. Ehrlich gesagt wollten wir mit dir sprechen", sagte meine Mutter, um einen freundlichen Ton bemüht. Sie warf immer wieder Seitenblicke zu meinem Vater, der mich nach wie vor nicht aus den Augen ließ.

"Ihr hättet vorher schreiben sollen. Ich hab leider nicht so viel Zeit. Ich muss den Zug erwischen", knirschte ich zwischen den Zähnen hervor. Mein Vater hob eine Augenbraue. "Und wohin wenn ich fragen darf?", fragte er und ich bekam es ein wenig mit der Angst zu tun. 

"Ich... besuche Yamaguchi", antwortete ich und mein Blick wanderte wieder zu meiner Mutter, die besorgt zu meinem Vater schaute. "Du verbringst sehr viel Zeit mit ihm", stellte er fest und wartete meine Reaktion ab. "Ja, und?", fragte ich irritiert. "Wir sind seit Kindheitstagen beste Freunde, was denkst du denn?" Er kniff die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. "Beste Freunde? Oder... oder hat dich dieser Junge etwa zu dem gemacht, was du jetzt bist?", platzte es aufgebracht aus ihm heraus. 

"Schatz! Sowas kannst du nicht sagen!", rief meine Mutter, doch weder er noch ich schenkten ihr viel Gehör. Meine Augenbrauen verengten sich vor Wut und ich starrte ihn zornig an. "Was willst du damit sagen? Willst du ihm etwa die Schuld geben... dass ich schwul bin oder was?", pfefferte ich ihm wütend zurück und meine Hände ballten sich zu Fäusten. 

"Dieser Junge lenkt dich von deinen Pflichten ab! Du fehlst beim Training und bei Vorlesungen...", setzte er wieder an doch ich fiel ihm ins Wort: "Ich fehle beim Training und in meinen Vorlesungen, weil ich bei der Polizei sitze und Aussagen gegen einen verrückten Stalker machen muss! Damit hat Yamaguchi nichts zu tun!" Meine Stimme überschlug sich fast und meine Mutter stand auf. Sie schien hin und her gerissen zu sein, wen sie von uns beiden zuerst beruhigen sollte. Zögerlich hob sie die Hand und kam auf mich zu. "Kei, Liebling... wir machen uns doch nur Sorgen um dich", sagte sie zögerlich, doch ich wich ihrer Berührung aus.

"Ihr macht euch keine Sorgen um mich, sondern nur darum, dass euer perfekter Plan, wie meine Zukunft auszusehen hat scheitern könnte. Euch geht es nicht um mich. Ihr wollt nur einen weiteren perfekten Sohn haben, der einen geregelten Job hat, und irgendwann heiratet und Kinder in die Welt setzt. Dass ich noch weiter Volleyball spiele, geht euch doch auch gegen den Strich! Woher wollt ihr denn wissen, ob ich nicht vielleicht lieber hauptberuflich Sportler geworden wäre, so wie meine Freunde? Oder ob ich nicht lieber etwas studiert hätte, was ich mag und nicht etwas, was ihr mögt?" Schwer atmend stehe ich vor ihnen und musste mit aller Kraft die Tränen hinunterschlucken, die sich in meine Augenwinkel stahlen. 

Meine Eltern schienen von meinem Vortrag die Sprache verschlagen zu haben. Selbst mein Vater erwiderte nicht, obwohl ich sah, wie sein Kiefer mahlte und er schon bereit war, mir den nächsten Vorwurf an den Kopf zu werfen. 

"Ich bin es leid, so zu tun, als ob mich das alles hier zufrieden stellt. Ja, ich würde gern in einen guten Volleyballverein wechseln. Ja, ich würde gern etwas anderes studieren. Und ja... ich bin schwul. Kommt damit klar oder lasst es. Aber bitte, zwingt mir nie wieder etwas auf, nur weil ihr der Meinung seid, es sei richtig. Und bitte", mit diesen Worten öffnete ich die Tür, "geht jetzt. Ich muss meinen Zug bekommen." 

Meine Eltern starrten mich an - meine Mutter entsetzt und traurig, mein Vater ausdruckslos. Er ging an mir vorbei, hielt im Türrahmen kurz inne und schaute mich an, so als ob er etwas sagen wollte, doch wandte sich dann wieder ab um in den Hausflur zu verschwinden. Meine Mutter, jetzt mit Tränen in den Augen blieb vor mir stehen und berührte kurz mit ihrer Hand meine Wange. "Kei... ich... es tut mir leid...", flüsterte sie und zog dann wieder ihre Hand zurück, als sie merkte, dass ich nicht reagierte. Auch sie verschwand im Treppenhaus und ich konnte die Tür wieder schließen. 

Meine Knöcheln traten weiß hervor, als ich die Klinke fest umschlossen hielt und ich merkte, wie sich ein Zittern in meinem gesamten Körper ausbreitete. Wut, Enttäuschung, aber auch Erleichterung prasselten wild auf mich ein und meine Beine knickten leicht ein, sodass ich mich stützen musste, um nicht vollkommen zusammen zu brechen. 

Ich habe meinen Eltern soeben meine tiefsten Gefühle offenbart und ihnen eine sehr unsanfte Wahrheit entgegen geschleudert. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? 

Found Again || Tsukishima x YamaguchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt