Yamaguchi PoV
Mein Handy vibrierte. Schon wieder. So wie die gesamte letzte Stunde. Ich warf einen kurzen Blick darauf und mir blitzte zum gefühlt hundertsten Mal Tsukishimas Name ins Auge. Ich drückte ihn weg und ließ seufzend meine Hand wieder sinken. Die kühle Nachtluft umspielte mein Gesicht, als ich mein Kinn auf meine angewinkelten Knie sinken ließ. Das kalte Eisen der Brandschutztreppe meines Wohnheims fühlte sich langsam richtig eisig an und ich konnte bestimmt nicht mehr lang hier sitzen.Und trotzdem gab mir dieser Ort eine unglaubliche Ruhe. Ich hatte ihn an meinem ersten Abend entdeckt, als ich einen halben Nervenzusammenbruch hatte, weil mein Herd nicht funktioniert hatte und ich sowieso noch total aufgewühlt vom Abschied meiner Eltern und der Funkstille von Tsukki war. All das staute sich an diesem Abend auf und eine kleine Panikattacke brach über mich herein. Auf der verzweifelten Suche nach frischer Luft stieß ich eine Tür am Ende des Korridors auf und fand dieses kleine lauschige Plätzchen. Seitdem flüchtete ich immer, wenn mich die Panik einholte hier hoch und brachte meine wirbelnden Gedanken zum Schweigen. So auch heute.
Tsukki hatte eine Freundin. Als ich dieses Mädchen gesehen hatte, wie sie ihn umarmte und den gemeinsamen Abend mit ihm plante, wusste ich es sofort. Und mir ging ein Licht auf, warum er mich kontaktiert hatte. Für ihn war die Sache geklärt. Er hat sein Leben weiter geführt. Er hat jemanden gefunden, der ihn glücklich machte. Und dieser Jemand war nicht ich, so wie ich es immer geahnt hatte, doch nie wahrhaben wollte.
Ohne es zu merken schluchzte ich bei diesem Gedanken auf und presste mir meine Finger auf die Lippen. Doch das brachte meine Tränen nicht zum stoppen, ebenso wenig meine bebende Unterlippe. In diesem Moment spürte ich mein Handy erneut vibrieren und ich nahm fluchend den Anruf entgegen: "Was?"
"Yamaguchi?" Ich erkannte Tsukkis Stimme, die am anderen Ende stockte und ich bereute es, doch nachgegeben zu haben. Seine Stimme brachte meine Tränen unaufhörlich zum Laufen und ich konnte einen Schluchzer nicht unterdrücken. "Hey, Yamaguchi, weinst du? Bitte... bitte lass uns treffen und noch einmal sprechen." Er klang verzweifelt. Wieso wollte er unbedingt mit mir sprechen? "Ich wüsste nicht, was du mit mir besprechen müsstest. Ich kann mich noch genau erinnern, dass du derjenige warst, der keinen Kontakt mehr wollte... warum auch immer", presste ich hervor und meine Finger krallten sich um mein Handy.
Tsukki war still. Ich wusste, dass er nach den richtigen Worten suchte und wartete. "Lass... lass es mich bitte erklären...", flüsterte er, als ich schon dachte, dass er gar nichts mehr sagen wird. Ich seufzte. Eigentlich war die Sache für mich geklärt. Und doch reichte mir Tsukki nach einem Jahr Funkstille seine Hand. Es war die Chance wieder mit ihm befreundet zu sein... wenigstens.
"O-okay... wo soll ich hinkommen?", fragte ich ihn schließlich. Ich hörte ihn erleichtert aufatmen. "Danke Yamaguchi. Ich kann dir die Adresse von unserem Hotel schicken. Es ist nicht weit vom Campus entfernt." Ich stimmte zu und als wir kurze Zeit später aufgelegt hatten blinkte auch schon eine neue Nachricht von ihm mit der Adresse des Hotels auf. Ich kannte es, es war ein kleines Gebäude direkt gegenüber des Verwaltungsgebäudes unserer Uni und nur wenige Gehminuten von meinem Wohnheim entfernt.
Ich kletterte die Brandschutztreppe hinab und machte mich also auf dem Weg zu ihm. Keine fünf Minuten später sah ich ihn schon vor dem Eingang des Hotels warten, die Hände tief in den Taschen seiner Hose und seine Kopfhörer auf den Ohren. Seine Augen waren geschlossen und er wippte den Kopf leicht im Takt der Musik. Ich verlangsamte meine Schritte und fasste ihn unbewusst von oben bis unten ins Auge. In meinen Augen war er der schönste Mensch der Welt. Seine blasse Haut, sein ebenmäßiges Gesicht... Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen kroch und senkte schnell den Blick, während ich die letzten Meter überbrückte.
Gerade, als ich ihn anstupsen will, um auf mich aufmerksam zu machen öffnete er seine Augen und schaute mich direkt an, sodass ich meine Hand wieder zurück zog. Er lächelte und setzte seine Kopfhörer ab. "Hey", sagte er. "Hi", sagte ich und lächelte unsicher. "Komm rein, da haben wir unsere Ruhe", sagte er und bevor ich einen Rückzieher machen konnte hielt er mir die Tür zum Hotel offen und ich lief an ihm vorbei in die winzige Lobby. Dann folgte ich ihm die Treppe nach oben und durch einen kleinen Flur, der in mehrere Zimmer mündete. Zu einem schloss er nun auf und ließ mich wieder nach ihm eintreten.
Ich stand ein wenig unsicher in diesem kleinen Zimmer, wo sich mehrere Futons auf dem Boden befanden. "Wo sind die anderen?", fragte ich unsicher. "Den Sieg feiern. Und da morgen Wochenende und somit kein Training ist, können wir ausschlafen. Das heißt die sind alle noch eine Weile unterwegs", sagte Tsukki und zog die Vorhänge vor dem großen Fenster auf.
Er deutete mit einer Handbewegung auf zwei Kissen, die an der Fensterfront lagen und ich setzte mich zögernd auf eines. Auch Tsukki setzte sich vor mir im Schneidersitz und atmete einmal tief durch. Abwartend schaute ich ihn an. Er schloss kurz die Augen und schien sich innerlich zu sammeln.
"Ich... muss mich bei dir entschuldigen, Yamaguchi", fing er dann schließlich an. Ich schluckte, doch erwiderte nichts also sprach er ruhig weiter: "Das letzte Jahr in der Oberschule... war sehr schwer für mich. Der Druck, immer wieder gute Leistung zu erbringen war irgendwie übermächtig geworden. Meine Eltern erwarteten immer gute Noten, wollten, dass ich auf eine ordentliche Universität gehe und etwas anständiges studiere um etwas aus meinem Leben zu machen, so wie mein Bruder." Er schloss kurz die Augen und massierte sich mit seinen Fingern die Schläfen. Es schien ihm sehr schwer zu fallen, sich mir zu öffnen. Einer Intuition folgend rutschte ich ein wenig näher an ihn heran und legte meine Hand sanft auf seinen Arm um ihm zu zeigen, dass er sich mit nichts stressen musste. Er zuckte kurz unter der Berührung zusammen, doch er rutschte weder weg, noch schlug er die Hand weg.
"Dann der Druck aus dem Team. Ich hätte nie gedacht, dass mir Volleyball irgendwann mal so viel Spaß machen würde, dass ich es über die Schulzeit hinaus spielen würde. Und trotzdem war der Druck im letzten Schuljahr noch einmal um einiges gestiegen. Was nicht verwunderlich ist, wenn man nicht hinter Kageyama und Hinata zurückbleiben will...", murmelte er mehr zu sich selbst und ich musste ein wenig schmunzeln. Da hatte er nicht ganz so unrecht.
"Ich musste einfach weg von alledem. Vor allem von meiner Familie. Ich dachte nur, wenn ich etwas studiere, was in ihren Augen anständig war, dann würden sie darüber hinwegsehen, dass ich von zu Hause wegzog", schloss er schließlich und schaute mich mit einem gequälten Gesichtsausdruck an. "Ich... ähm... hätte nicht erwartet, dass so etwas, wie bei unserem letzten Spiel passiert...", fing er dann an zu stottern und wurde tatsächlich etwas rot. "Du hast mich und meinen Plan damit ehrlich gesagt etwas überfordert." Ich schluckte und spürte auch meinerseits, wie ich etwas rot anlief. "Das... tut mir leid, Tsukki", murmelte ich dann und er atmete geräuschvoll aus.
"Hör auf, dich für Dinge zu entschuldigen, für die du nichts kannst", sagte er und grinste mich schwach an. "Ich... entsch-... okay", stotterte ich dann und mein Gesicht wurde noch heißer. "Jedenfalls hat es mich dazu gebracht, dass ich meine Entscheidung von zu Hause... von... dir... wegzugehen tatsächlich bereute...", er schaute mich nicht an als er das sagte und ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Was sagte er denn da?
Ich zuckte zusammen, als sich seine Hände vorsichtig um meine schlossen und er mich ansah. "Ich hab dich wirklich vermisst, Yamaguchi", flüsterte er und beugte sich zu mir vor. Überrascht öffneten sich meine Augen noch weiter, als sich seine Lippen vorsichtig auf meine legten. Mein Herz drohte mir aus der Brust zu springen und ich hielt unbewusst den Atem an. Mein Gehirn war leergefegt, Schmetterlinge tanzten in meinem Bauch und... "Moment!!!", rief ich plötzlich und stieß ihm meine Hand vor die Brust.
"Was soll das? Du.. du kannst nicht einfach... solche Sachen sagen und... und erwarten, dass ich ... dass ich das vergesse... außerdem... was ist mit Yuki?", sagte ich außer Atem und musste mein stolperndes Herz unter Kontrolle bekommen.
"Was soll mit ihr sein? Wir kommen halt gut miteinander... momentmal...", fing er an und als er nicht weiter sprach hob ich den Kopf. Er hatte eine Augenbraue gehoben und schaute mich verwirrt an. "Was glaubst du denn, was Yuki ist?" Jetzt war es an mir, verwirrt zu schauen. "Na deine Freundin, oder?" Tsukki schaute mich perplex an, dann urplötzlich fing er haltlos an zu lachen und musste sich sogar den Bauch halten.
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Found Again || Tsukishima x Yamaguchi
FanfictionInhalt: Yamaguchi und Tsukishima sehen sich nach einem Jahr Funkstille wieder und finden sich in einem Gefühlschaos sondergleichen wieder. Vor allem Tsukishima will seinen besten Freund vor seiner dunklen Vergangenheit bewahren. Doch je mehr er dies...