Dortmund 1

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November 2017

,,Nächster Halt Dortmund Hauptbahnhof."
Mein Blick schweift aus dem Fenster. Ich kann nicht fassen, dass Julian mich wirklich überredet hat über das Wochenende zu ihm zu fahren.
Klar wir haben uns ein paar mal getroffen, oft telefoniert und schreiben uns gefühlt pausenlos. Aber nun zu ihm nach Dortmund zu fahren, für ein komplettes Wochenende ist schon ein großer Schritt. Zumindest für mich.
Er wäre lieber zu mir nach Stuttgart bekommen, aber er hat Training und kann schlecht einfach so weg von hier. Das ist natürlich verständlich.
Meine Gedanken werden durch eine Nachricht auf meinem Handy unterbrochen.
Sie ist von Julian. Er würde sich um ein paar Minuten verspäten. Fängt ja schon perfekt an.
Wieso habe ich überhaupt zugestimmt? Ich könnte jetzt auch entspannt in meinem Bett liegen, aber stattdessen muss ich gleich in einer fremden Stadt, in der Kälte auf den Fußballer warten.

,,Natalie..! Hey es tut mir so Leid. Ich habe mich tatsächlich verfahren und habe dann keinen Parkplatz gefunden. Ich hoffe du wartest noch nicht all zu lange in der Kälte",
es sprudelt ohne Punkt und Komma aus ihm heraus. ,,Ich schätze Pünktlichkeit ist nicht so ganz deine Stärke." Eigentlich bin ich wirklich sauer, schließlich stehe ich bereits seit zwanzig Minuten in der Kälte wie bestellt und nicht abgeholt. Doch als ich dieses Lächeln gesehen und mich seine blauen Augen getroffen haben war alles wieder vergessen. Erklären kann ich das nicht, doch mich komplett einlassen auf diese Situation kann sich mein Körper momentan jedenfalls noch nicht. Etwas unbeholfen stehen wir nun gegenüber. ,,Wir sollten los bevor du wirklich noch hier festfrierst", lacht er mir entgegen, schnappt sich mit einer Hand meine Tasche und mit der anderen meine rechte Hand.

Im Auto angekommen entsteht eine Stille. Allerdings bin ich mir nicht sicher ob Julian neben mir mein Herz schlagen hören kann. Denn dieses springt mir fast aus der Brust.
Seine Anwesenheit, sein Geruch, der Fakt dass ich diese Nacht bei ihm verbringen werde.. Es macht mich einfach verrückt. ,,Was hast du denn für heute geplant?". Unterbreche ich die Stille um von meiner Aufregung abzulenken. Seine Augen finden kurz den Weg zu mir bis sie wieder die Straße fixieren.
,,Also erstmal gehen wir zu mir und dann wollte ich dir meine Lieblingsstrecke zeigen. Danach können wir gerne etwas zum Essen bestellen und einen Film schauen."
Hört sich ziemlich klischeehaft an, doch aus seinem Mund klingt es trotzdem sehr süß.

Nachdem wir meine Sachen bei ihm abgeladen haben sind wir nun zu einem Spaziergang aufgebrochen. Auf dem Weg haben wir uns noch zwei Heißgetränke geholt. Einen Kakao für mich und einen Cappuccino für ihn.
Zusammen laufen wir einen breiten Weg am See entlang. Da die Sonne mittlerweile hinter Wolken verschwunden ist wird es immer kälter.
Ich erzähle Julian grade von einem ziemlich nervigen Kunden den ich vor ein paar Tagen bei uns in der Agentur hatte als er plötzlich stehen bleibt. Verunsichert halte auch ich an und warte auf eine Reaktion seinerseits. Er tritt näher zieht seine orangene Mütze vom Kopf und setzt sie mit vorsichtig auf. ,,Dir ist kalt", erklärt er sein Handeln. Damit hat er absolut recht, Ich versuche die ganze Zeit nicht zu zittern. Ich bin eben eine Frostbeule. Mit seiner Aktion entlockt er mir ein herzliches Lächeln. Bevor wir weitergehen greift er meine linke Hand und steckt sie zusammen mit seiner rechten in seine Jackentasche. Behutsam fährt er mit seinen Fingern über meine Hand um sie zu wärmen. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen wie überfordert ich bin, doch ich glaube es ist kaum übersehbar wie überwältigt ich bin.

,,Sorry.. ich wollte.. ich wollte nichts überstürzen..", schnell macht er einen Schritt zur Seite, wodurch meine Hand automatisch aus seiner Jackentasche rutscht.
Unsicher steht er neben mir und zieht nervös an seiner Kapuze rum.
Nun mache ich einen Schritt auf ihn zu, verstaue meine Hand wieder in seiner warmen Jacke:,, Es gibt nichts für das du dich entschuldigen müsstest."
Sofort wird sein Blick wieder weicher.
Nach einer Weile und einer Menge schöner Gespräche über die unterschiedlichsten Themen kommen wir an einer Aussichtsplattform an.
,,Ich muss zugeben, es ist ziemlich schön hier, Stuttgart gefällt mir aber trotzdem besser", necke ich den Mann neben mir. Dieser verdreht die Augen leicht bevor er sich hinter mich stellt. Vor mir ist ein Geländer, also bin ich nun zwischen ihm und dem Metall eingesperrt.
Ich spüre seinen Atem in meinem Nacken. Seine Arme schiebt er neben mich zum Geländer, legt sein Kinn auf meinem Kopf ab und drückt seinen Oberkörper sanft an meinen Rücken. Mich überkommt schlagartig eine Gänsehaut und das liegt diesmal nicht an der Temperatur.
Unbewusst schließe ich meine Augen um den Moment zu genießen. Ich habe mir zwar fest vorgenommen mich nicht zu schnell in ihn zu verlieben doch irgendwie klappt das Ganze nicht wie ich möchte.
Ehrlich gesagt weiß ich sowieso nicht was ich möchte..
Ja wir verstehen uns unfassbar gut und das von Sekunde eins. Ich würde lügen wenn ich sagen würde dass ich ihn nicht optisch attraktiv finde, seine Berührungen lassen mich ebenfalls keinesfalls kalt. Trotzdem will ich nichts überstürzen. Ich möchte am Ende nicht so naiv gewesen sein um mich von einem bekannten Fußballer flachlegen zu lassen.
Zwar schätze ich ihn nicht so ein, aber ich kenne ihn eben noch nicht gut genug.

Da ich anscheinend eine Weile keinerlei Reaktion von mir gegeben habe löst er sich wieder von mir. ,,Nein nicht weg gehen", schmolle ich ihm entgegen als sich unsere Blicke kurz danach treffen. Schnell zieht er mich in seine Arme. Sofort fühle ich mich wieder geborgen und gewärmt. Meine Hände suchen sich den Weg in seine Jackentaschen während seine auf meinem Rücken verweilen. Da er deutlich größer ist als ich muss ich meinen Kopf in den Nacken legen um in seine Augen zu blicken. Diese fokussieren mich liebevoll.
Ein wohliges Gefühl umschließt mich.
Ohne darüber nachzudenken vergrabe ich mein Gesicht in seiner weichen Jacke um mich mich noch mehr an ihn zu kuscheln.
In dieser Position stehen wir eine gefühlte Ewigkeit auf dem kleinen Steg. Zum Glück sind hier keine Menschen die uns stören können.
,,Wir sollten langsam wieder zurück zum Auto, es wird bald dunkel Kleines."
Wie hat er mich grade genannt? Mein Herz macht einen Sprung und als er mir auch noch einen sanften Kuss auf meine Kopf beziehungsweise auf die Mütze haucht habe ich das Gefühl innerlich durchzudrehen.
Total überfordert lockere ich meine Umarmung, schnappe mir allerdings dann seine Hand und folge ihm Richtung Parkplatz.

,,Such dir ruhig einen Film aus die Fernbedienung liegt auf dem Tisch. Ich hole das Essen hoch." Damit verschwindet er aus den geräumigen Wohnzimmer. Nach dem ausgiebigen Spaziergang find wir direkt wieder zu ihm gefahren und haben auf dem Rückweg bereits beim Asiaten bestellt.
In meinem Kopf herrscht immer noch ein totales Chaos. Er kämpft gegen die Gefühle an die sich in mir bilden wenn Julian in meiner Nähe ist. Wenn es so weitergeht weiß ich nicht wie dieses Wochenende verlaufen wird..
,,Einmal die Nummer 40 für die Dame", wie ein kleiner Junge grinst er mich an als er neben mir Platz nimmt.
,,Ich habe mich für Harry Potter entschieden, ich hoffe das ist in Ordnung für dich", er stopft sich genüsslich eine Gabel Reis in den Mund als er eifrig nickt.
Irgendwie ist Julian die perfekte Mischung aus einem erwachsenen attraktiven Mann der Mitten im Leben steht und einem kleinen süßen, unschuldigen aber chaotischen Jungen.
Tatsächlich mag ich diese Mischung. Sehr sogar. Meine Gedanken lassen mich leise auflachen. ,,Lachst du mich etwa aus?", seine Hand liegt auf meinem Oberschenkel und er scheint nicht den Anschein zu machen diesen wieder loszulassen. ,,Natürlich nicht, ich war nur in Gedanken. Iss weiter Julian."
Vergeblich versuche ich seinem Blick auszuweichen. Doch ich scheitere kläglich.
,,Wenn du dich in irgendeiner Weise unwohl fühlst musst du mir das nur sagen. Ich kann mich auch wegsetzen wenn es dir lieber ist.
Du.. ich habe mich wirklich sehr auf diese Tage mit dir gefreut. Ich hoffe ich verbocke es nicht, sonst würde ich mich sehr hassen. Du bist einfach.."
Vorsichtig greife ich nach seiner Hand auf meinem Bein: ,,Pscht. Wenn ich mich unwohl fühlen würde wäre ich nicht mehr hier. Ich bin her gekommen um dich besser kennenzulernen, also sei du selbst."
Blaue Augen leuchten mich an.
Wie selbstverständlich zieht er mich in einer Umarmung wobei ich wohlig ausatme.

Später am Abend stehe ich vor dem Waschbecken im Badezimmer und schminke mich ab als Julian seinen Kopf durch die Tür streckt. Kurz beobachtet er mich stumm bis mein fragender Blick ihn zum sprechen bringt: ,,Ich habe deine Sachen in das Gästezimmer gestellt. Ich wusste nicht ob du bei mir schlafen willst, deswegen.. es ist gleich neben an."
Es ist wirklich stilvoll von ihm mir die Wahl zu lassen.
Als ich ihm antworten möchte erhellt das Zimmer für einen Augenblick gefolgt von meinem lauten Knall. Mein Körper zuckt schreckhaft zusammen als ich diesen wahrnehmen. Ich hasse Gewitter.
Auch Julian hat meine Reaktion leider bemerkt und grinst mich frech an. ,,Du kannst natürlich auch bei mir schlafen, ich beschütze dich sehr gerne vor dem bösen Gewitter."
Seiner Aussage folgt ein Zwinkern. So ein Spinner.
Als es ein weiteres Mal donnert renne ich ihm allerdings in sein Schlafzimmer hinterher.
Mein Atem setzt kurz aus als er lediglich in seiner Jogginghose vor mir steht. Ich kann mir denken wie gerne er jetzt einen seiner Spruch an den Kopf werfen würde, doch er dreht sich um und zieht sich ein Shirt über.
Planlos stehe ich neben dem Bett und folge mit meinen Augen jeder seiner Bewegungen.
Der Blonde wirft sich auf die Matratze, zieht die Decke hoch und klopft neben sich.
Wie gesagt, wie ein kleiner Junge. Wie ein süßer, blonder Junge.

GoosebumpsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt