XXXXV. I am selfish

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"Binie-Hyung!"

Kaum hatte ich die Tür geöffnet, warf sich Felix in meine Arme und presste sich fest an mich heran. Ich war für einen Moment völlig überrascht und überfordert, denn auch wenn er mich immer mit einer Umarmung und einen Kuss begrüßte, war das selten eine so stürmische und sehnsüchtige Geste. Dafür sahen wir uns viel zu oft.

"Lix? Was ist denn los?", fragte ich direkt besorgt, legte eine Hand an seine Wange. Seine dunklen Augen wirkten trüb und gerötet, als hätte er erst kürzlich geweint. Das verstärkte natürlich den Knoten in meiner Brust und rasch half ich ihm dabei, seine Sachen auszuziehen, bereitete in der Küche heiße Schokolade zu - was wohl das Einzige war, was ich machen konnte, ohne dass es schief ging - und brachte ihn anschließend in mein Zimmer.

"Okay, Baby, jetzt erzähl mir, was ich verbrennen gehen muss", verlangte ich in einem sanften Ton. Felix hielt mit beiden Händen die heiße Schokolade umgriffen und lehnte sich gegen die Wand neben meinem Bett, starrte für einige Sekunden bloß in die dunkle Masse. Dann endlich hob er seinen Blick und ergriff meine Hand, drückte sie fest, absichernd.

"Ich... Ich hab mich mit Chan verstritten", fing er leise an zu erzählen. Ich nickte lediglich, ließ ihn sprechen. Er sollte seinen Freiraum haben, alles loszuwerden, was sein Herz belastete.

"Ich... hab ihm gesagt, dass wir beide zusammen sind und er hat es nicht gut aufgenommen. Für ihn ist das eine Sünde und obwohl er längst geahnt hat, dass ich so bin, hat er gehofft, dass ich nicht der Stimme der Verführung lausche. Aber ich habe ihn enttäuscht... Er ist sauer, weil er nicht möchte, dass ich in die Hölle komme... Gott, wir haben so viel diskutiert und gestritten... Ich hab ihm versucht vor Augen zu führen, dass viel Homophobie in der Bibel durch Übersetzungsfehler entstanden ist. Und... und mir ist rausgerutscht, dass Jeongin Gefühle für ihn hat...

Jetzt ist alles auf einmal so verschwommen und so komisch. Ich hab Risse in meinem Glauben und ich bin mir nicht mehr sicher, ob es das Richtige ist. Also, eigentlich bin ich mir schon sicher, aber ich erlebe so viel Abneigung und Hass, ich... ich weiß einfach nicht mehr, wohin mit mir und ich hab Angst. Hyung, ich hab so viel Angst..." Während seinen Worten war ich näher an ihn herangerutscht und legte meine Arme um ihn. Vorsichtig drückte ich ihn an mich heran und streichelte über seine Schulter. Ich konnte spüren, wie er am ganzen Körper zitterte, sich wahrscheinlich seine Tränen verkniff.

"Das tut mir sehr leid", hauchte ich leise und beobachtete, wie er aus seinem Kakao trank. Für einen Moment überlegte ich, was ich sagen sollte, allerdings war ich mir sicher, dass Ehrlichkeit an dieser Stelle am besten war. "Aber schau mal, vielleicht ist es besser so. Religion ist sowieso unnötig und du brauchst es nicht in deinem Leben. Wieso also solltest du an etwas festhalten, was dich so sehr verletzt? Das tut dir auf Dauer nicht gut."

Noch während ich sprach, drehte sich Felix zu mir, um mich mit aufgerissenen Augen anzuschauen. Dieses Mal aber glänzte Empörung in seinem Blick und er entfernte sich von mir, stellte den Kakao auf meinem Nachttisch ab.

"Ist das gerade dein Ernst?", fragte er mich kurzerhand. Verwirrt blinzelte ich. Was war jetzt auf einmal sein Problem?

"Was meinst du?", fragte ich zurück. Das führte dazu, dass er enttäuscht schnaubte und seinen Kopf schüttelte, mich fassungslos anstarrte.

"Du versuchst mir meinen Glauben auszureden!", rief er verärgert. Ich hielt inne, blinzelte ein paar Mal, starrte ihn an. Dann aber verfestigte sich mein Blick und ich verschränkte meine Arme vor meiner Brust.

"Ich hab ja auch jedes Recht dazu! Die ganze Zeit über muss ich mitansehen, wie du leidest, bloß, weil du nicht du selbst sein darfst. Du wirst dafür verteufelt. Was ist das für eine abgefuckte Scheiße? Weißt du eigentlich, wie sehr es mir weh tut, dich so frustriert und unglücklich zu sehen? Es ist schrecklich, Felix, und ich hasse es. Ich verstehe nicht, wieso du an etwas festhältst, das dir ständig bloß schadet. Was hast du überhaupt von deinem Glauben, außer, dass du andauernd weinen musst?!" Mir war erst aufgefallen, wie laut ich geworden war, als ich wieder verstummte. Felix' Blick durchbohrte mich mit so viel Schmerz und mit Wut, er hatte Abstand von mir genommen. Es tat weh und mein Herz jammerte auf, dass ich es doch sein lassen sollte. Jedoch sah ich das nicht ein, ich konnte und wollte nicht nachlassen. Diese Worte hatten endlich mal raus müssen.

"Hast du mir jemals zugehört, wenn ich über meinen Glauben geredet hab? Wenn ich davon erzählt habe, wie viel Kraft er mir gibt und wie behütet und sicher ich mich fühle, wann auch immer mich etwas besorgt? Beten und das Wissen, dass mein Gott für mich da ist, wann auch immer ich ihn brauche? Ich bin gläubig wegen eben diesem Gott, wegen meiner Beziehung zu ihm, wegen der Stütze, die er mir stellt. Nicht wegen den Menschen. Mein Glaube hat meine Moral bestimmt und ich möchte behaupten, dass es eine sehr gute Moral ist", feuerte er mir sofort entgegen. Ich presste meine Lippen aufeinander, wusste erst nicht so recht, was ich sagen sollte. Er war so geblendet, das war ja fast schon lächerlich.

"Das bedeutet aber trotzdem nicht, dass du dich ständig runtermachen lassen sollst! Und anscheinend ist die Moral nicht gut genug, wenn du von anderen so schlecht behandelt wirst! Vor allem, weil du auch noch regelmäßig und gern zu ihnen gehst? Merkst du selbst nicht, wie sehr du dir damit schadest? Wie kann jemandem so sehr egal sein, wie schlecht es anderen durch seine selbstsüchtigen Taten ergehen?", beharrte ich weiter auf meinen Punkt. Unverständnis hatte sich mittlerweile in mir verfestigt und ich schnaubte wütend. Allerdings war das wohl genug, denn plötzlich sprang Felix auf, musterte mich verletzt und ging dann zur Tür.

"Ich hab gehofft, von dir unterstützt, getröstet und verstanden zu werden, wie ich von meinem festen Freund wohl erwarten darf. Aber anscheinend war das zu viel verlangt. Gerade drängst du mich nämlich zu etwas, was ich nicht möchte", sagte er nur noch kühl, bevor er meine Tür aufriss und nach unten rannte. Ich brauchte einen Moment, bis es mir gelang zu reagieren und ich ihm versuchte hinterherzurennen. So konnte dieses Gespräch nicht enden.

"Felix, warte! Du kannst jetzt nicht einfach gehen!", wollte ich ihn aufhalten. Ich selbst war mindestens so sehr geladen wie er, das konnte ich bis in meine Fingerspitzen spüren. Mein ganzer Körper kribbelte und es fiel mir schwer, meine Wut herunterzuschlucken. Jedoch musste ich verhindern, dass er ging, denn das könnte sonst zu einigen Problemen führen.

"Lass mich verdammt nochmal in Ruhe!", war Felix' Antwort darauf. Ich zuckte zusammen, rannte dennoch weiter. Er schlüpfte etwas umständlich in seine Schuhe und öffnete gerade die Haustür, als ich unten angekommen war. Ich wollte das aber nicht einsehen, weshalb ich rasch sein Handgelenk ergriff, so versuchte, ihn festzuhalten. Direkt entriss er sich mir und schaute mich voller Enttäuschung und leiser Verachtung an. Mein Herz stach erneut auf, erinnerte mich daran, dass unsere Beziehung so nicht verlaufen sollte. Verdammt, nein, ich wollte nicht, dass er ging.

"Felix, ich-"

"Ich sagte, du sollst mich in Ruhe lassen! Du hast mich verletzt, Hyung, du hast mich gerade mehr verletzt, als Chan es getan hat. Also lass mich jetzt gehen oder es ist aus", schnaubte er kalt. In seinem Unterton schwang so viel Schmerz mit und auch wenn sein Blick scharf war, ich wusste, dass er das ebenso wenig wollte wie ich selbst. Trotzdem nickte ich einfach, überfordert von der Situation, davon, was richtig und was falsch war. Ich konnte ihn schlecht zum Bleiben zwingen und ich wollte keinesfalls unsere Beziehung riskieren.

Also ließ ich ihn gehen.

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Hier gibt es kein Happyend ohne Drama, meine Süßen. <3
~Cookie

In Love with a Christian ★ ChanglixWo Geschichten leben. Entdecke jetzt