Kapitel 107

163 16 0
                                    

Der Morgen brach an. Noch immer nieselte es. "Touko. Wach auf." Er schüttelte sie sanft. "Hey."
"Guten Morgen." Sie lächelte ihn an.
"Gut geschlafen?"
"Nicht wirklich, aber es geht schon."
"Lass uns gehen."
"Gut. Wohin?"
"Hmhm."
"N? Komm schon! Mach' kein Geheimnis d'raus! Hey! Warte!" Touko stolperte hinterher.

Der Junge wartete an einer Wegkreuzung auf sie.
Mittlerweile schien die Morgensonne und ließ die Wassertropfen auf den Nadeln der Bäume silbern erscheinen. Die warme Sommerluft kitzelte die kleinen Pokemon aus dem Unterholz. Einige Kronjuwild standen im Rudel um die jungen Sesokitz zu beschützen.

"Hier lang!" Nach einigen Minuten kamen sie am Waldesrand an.
"Ein... Jahrmarkt?"
"Nein. Das Herz von Rayono City."
"Rayono City? Aber das heißt dann ja, wir sind in Einall?"
"Richtig. Meine Heimatsregion."

Touko lief voraus. "Einall... daheim..."
Sie ließ sich ins Gras fallen und genoss die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. N setzte sich zu ihr uns schwieg.
"Wieso bist du so still?"
"Hm? Weiß nicht." Er lächelte. Touko richtete sich auf.
"Dich bedrückt etwas. Ich merke das."
"Nein, was soll mich denn beschäftigen? Der Tag ist so wunderbar, neben mir sitzt ein wunderschönes Mädchen, die Pokemon vertrauen mir und ich muss nicht hungern."
Touko errötete. "Hm."
"Siehst du." Er lächelte und stand auf. "Kommst du mit?"
"Ja, klar. Wohin?"

Ihn bedrückt etwas. Er lügt mich an. Ich muss heraus finden was es ist...
Erstmal folge ich ihm. Wo er nun schon wieder hin will?

"Hey! Kommst du?"
"Ja! Warte doch ma-..." Touko rutschte auf dem nassen Gras aus und schlitterte den Hügel hinunter, riss N mit sich. "Autsch." Die beiden Trainer lachten.
"Ich wollte zum Riesenrad."
"Oh! Ja, lass uns gehen!"

Sie stiegen in eine der Gondeln ein. Plötzlich stoppte das Rad am höchsten Punkt. Eine Durchsage erklang. "WIR BITTEN SIE RUHE ZU BEWAHREN! ES GAB TECHNISCHE PROBLEME. WIR KÜMMERN UNS DARUM. HERZLICHEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT."

N kam zu Touko, die hinunter starrte. "Das ist ja ganz toll. So hab ich mir unseren Tag nicht vorgestellt..." Er umarte sie.
"N...? Ist doch nicht schlimm... ich kann von hier aus meine Heimatstadt sehen. Sie! Dort hinten ist Avenitia... dort wurde ich geboren und dort sind auch meine Eltern getötet wurden..."
"Das tut mir leid... Touko. Wein' doch nicht. Ich bin hier. Dir wird nichts passieren. Das verspreche ich."
"Ich vermisse sie so sehr... wo sind eigentlich deine Eltern?"
"Sie sind auch tot. G-Cis ist nur mein Adoptivvater."
"Oh..."
"Sie wurden von Reinblütern getötet."
"Oh Gott!"
"Hab aber keine Angst. Ich hasse nicht dich dafür. Sondern diese Beiden. G-Cis nahm mich auf als ich vier Jahre alt war. Das ist nun schon wieder dreizehn Jahre her. Vor kurzem feierte ich meinen siebzehnten Geburtstag. Aber mit demHunterverband. Ich hatte nie richtige Freunde. G-Cis kapselte mich immer von der Außenwelt ab und hielt mich in meinem Schloss gefangen. R sagte immer, einem König ist es untersagt zu lachen und zu fühlen. Und ich bin der König vom Hunterverband..."
Er hielt inne. Touko sah mit gesenktem Blick hinaus.
"Ist es das? Ist es das, was dich so fertig macht?" fragte sie vorsichtig.
"Nein."
"Wärst du bereit, es mir zu erzählen?"
"Das geht nicht..."
"Warum nicht?"
"Du würdest mich hassen... und das meine ich ernst. Ich würde damit nicht klar kommen... du hast mir gezeigt, was es heißt zu fühlen. Touko, ich bin dir so unsagbar dankbar... du warst es, die mir gezeigt hat wie man lacht."
Er sah sie lächelnd an. Eine Träne lief ihm über die Wange. "Danke."
Stille herrschte. Plötzlich ertönte die schrille Durchsage erneut. "VIELEN DANK FÜR IHRE GEDULD, DAS TECHNISCHE PROBLEM WURDE BEHOBEN. VIELEN DANK FÜR IHREN BESUCH."

Er lächelte noch immer.
"Nun ist die Fahrt also vorbei. Schade eigentlich."
Touko sah ihn an. Niemand sagte etwas bis der Wärter die Türen öffnete. "Vielen Dank. Beehren sie uns bald wieder."
Touko lief stillschweigend voran. Die Sonne schien und nicht eine Wolke trieb am Himmel ihr Unwesen.
"Touko..."
"Hm?"
"Bleib doch bitte stehen. Wo willst du denn hin?"
"Nach Hause..."
"Dann geht es aber in die andere Richtung!"
"Nein, nach Hause."
"Achso, verstehe. Warte, ich komm' mit."

Sie liefen schweigend nebeneinander her bis sie spät am Nachmittag in Avenitia ankamen.
"Hier sieht es noch genauso aus, wiean dem Tage, an dem ich floh... dort steht unser Haus..."
Als Touko es erblickte, stiegen ihr Tränen in die Augen. "Zu Hause..." Ohne zu zögern öffnete sie die massive Eichenholztür. Innen waren alle Möbel mit einer dicken Staubschicht überdeckt. N folgte ihr zaghaft.
"Dort oben war mein Zimmer... kommst du?"
"Ja."

Das Bett stand in der einen, der Schreibtisch in der anderen Ecke. Auf ihm lag ein Umschlag, daneben eine kleine Schachtel. Sie nahm den Briefumschlag vorsichtig in die Hand und öffnete ihn. N stand neben ihr. Sie las laut vor.

"Liebe Touko.
Wenn du diesen Brief hier gefunden hast, wirst du sicher noch leben und zurück gekehrt sein. Mama und ich haben dir nie etwas davon erzählt, aber wir wussten, dass dieser Tag des Abschieds kommen würde. Wir hielten es für gerecht dir zu erzählen warum wir, im wahrsten Sinne des Wortes, zum Tode verurteilt sind... vielleicht wirst du eines Tages diesen Jungen treffen, dessen Eltern Mama und ich auf dem Gewissen haben. Sein voller Name ist, so erinnere ich mich noch daran, Natural Harmonia. (Nimm dich vor ihm in Acht, er könnte darauf aus sein, dich und deinen Bruder töten zu wollen.) Sicher wirst du dich jetzt fragen 'Warum'? Diese Menschen waren Vampirehunter. Was das ist? Das sind Menschen die Unseresgleichen jagen und töten. Sie waren hinter uns her. Und um für euch weiter da sein zu können, mussten wir sie töten. Es tut uns für ihren Sohn leid, aber Touya und du waren uns wichtiger. Du warst damals drei Jahre alt. Sicherlich erinnerst du dich nicht mehr daran. Heute ist der Tag der Abrechnung... der Verband wird uns in der Nacht aufsuchen und töten. Ich hoffe, dass ihr beiden noch am Leben seid und es tut uns leid, nicht mehr für euch da sein zu können. In Liebe, Mama und Papa."

Erschrocken legte sie den Brief beiseite und ließ sich auf ihr altes Bett fallen. "Es tut mir so leid, N! Ich ha-..." Sie begann zu weinen. Der Junge stand reglos am Fleck und starrte das schmutzige Fenster an. Dann setzte er sich zu ihr und umarmte sie sanft.
"Psst. Es... es ist nicht deine Schuld... Touko... wirklich. Es ist nicht deine Schuld."
"Du hasst mich doch jetzt!"
"Nein. Ich bin auch nicht auf dich sauer. Du kannst nichts für das, was deine Eltern getan haben."
"Es tut mir so unsagbar leid..."
"Das muss es nicht. Und ich werde dich auch nicht töten wollen. Falls du das denkst..." Er legte seine Hand um ihre, sie brach erneut in Tränen aus und hielt die Seine fest. N wich nicht von ihrer Seite.

Außerhalb des Hauses begann es allmählich zu dämmern und die Sonne erhellte mit ihren letzten Strahlen das kleine Zimmer. Einer dieser Lichtstrahlen fiel auf den Boden. Unter einer dicken Staubschicht wurden einige Malblätter und Buntstifte erkennbar.
"Sieh' nur. Dort liegt etwas. Hast du das gemalt?"
Touko schniefte und stand auf. Sie hob die Blätter auf, wedelte den Staub hinfort und setzte sich zurück zu N.
"Ja... das habe ich gemalt... ich weiß aber nicht was es ist..."
"Dann lass es uns heraus finden." Er nahm sie ihr aus der Hand und sah sie sich einzeln an.
Touko weinte erneut. "Meine Familie... und... du?"

Rette Mich!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt