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September 1998


„Hey Jana, Stefan und ich wollen gleich ins Kino gehen. Willst du mitkommen?", fragte Julia während sie sich gegen Rosenrots Box lehnte. Ich kippte den Rest Wasser aus dem Eimer in die Tränke und wischte mir mit dem Arm über die Stirn.

„Nee, heute nicht. Ich muss noch die Box ausmisten."

Eigentlich musste ich nicht, da ich meine Arbeit vor der Reitstunde erledigt hatte. Ich hatte etwas ganz anderes vor, aber das brauchte Julia nicht zu wissen. Außerdem war ich nicht besonders wild darauf, in der letzten Reihe zu sitzen und angestrengt auf die Leinwand zu starren, während neben mir Julia und Stefan miteinander rummachten.

„Dann halt nicht. Du gehst in letzter Zeit nie irgendwo mit. Aber Laura will auch nicht mitkommen. Man könnte meinen, ihr seid neidisch", nörgelte Julia.

„Auf was?", ertönte Lauras Stimme. „Darauf, dass ihr euch die ganze Zeit befummelt?" Sie führte die frisch geputzte Schimmelstute Silver in die Box nebenan.

„Genau darauf!", versetzte Julia spitz. Sie nahm ihre große Umhängetasche und wollte Richtung Umkleideraum gehen, um die dreckige Reitkleidung gegen ihre Straßenkleidung zu tauschen, überlegte es sich dann aber anders. Nach einem kurzen Blick über die Stallgasse, zog sie kurzerhand mitten im Stall ihre Reithose aus und ersetzte sie durch eine hautenge Leggins. Dasselbe tat sie mit ihrem T-Shirt, das sie gegen ein kurzes Jeanskleid tauschte. Laura starrte sie entgeistert an.

„Na, na! Wenn Stefan das gesehen hätte!", grinste ich.

„Wenn ich was gesehen hätte?", fragte Stefan, der mit seinem Schulpferd Triumph in den Stall kam.

„Julias nackten Hintern!", klärte ihn Laura in trockenem Ton auf.

„Das wäre aber nichts Neues", versetzte er grinsend.

Julia trat zu ihm und hakte sich bei ihm unter.

„Können wir dann mal? Mein Arsch ist nun wirklich nicht das passende Gesprächsthema für euch! Scheint, als müssten wir allein gehen, Stefan!"

„Umso besser."

Nachdem das Paar in inniger Umarmung aus dem Stall ging, blieben Laura und ich alleine zurück.

„Hast du das gesehen?", lästerte Laura. „Stell dir vor, es wäre jemand reingekommen und hätte sie gesehen! Obwohl...wahrscheinlich hätte sie das eh nicht gekümmert."

Nanu, und ich dachte, ihr wärt beste Freundinnen.

„Sollen sie doch allein gehen", fuhr Laura fort. „Ich hab' ja wenig Lust ihnen die ganze Zeit beim Fummeln zuzuhören. Da kriegt man ja eh nichts vom Film mit."

Sie schüttelte missbilligend den Kopf, wobei ihre dunkelblonden Locken hin und her flogen.

„Genau meine Überlegung." ich tat so, als würde ich Rosenrots Beine untersuchen und wartete darauf, dass Laura endlich verschwand. Doch die hatte anscheinend nicht vor, ihre Lästereien zu unterbrechen.

„Die können aber auch keine einzige Minute voneinander lassen. Hast du mitbekommen, was letztens in Chemie passiert ist? Der Stickelmeier hat Stefan angeschnauzt, er solle seine Hand nicht ständig unter Julias Rock schieben und gedroht, sie auseinanderzusetzen. Wenn er das macht, wird der sich aber wundern, wieso Julias Chemienoten plötzlich so schlecht sind. Ist wahrscheinlich der einzige, der nicht merkt, dass Stefan alle Aufgaben für sie löst."

Und leise, kaum hörbar, fügte Laura noch hinzu: „Julia hat Stefan überhaupt nicht verdient."

„Na, der Stickelmeier würde wohl selber gerne seine Hand unter Julias Rock schieben, der alte Ekel", bemerkte ich, um das Gespräch wieder in Richtung Lästerei zu lenken. Auf Lauras Liebeskummer hatte ich nun wirklich keine Lust.

Die Nacht im MaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt