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Wie zu erwarten war, herrschte nicht besonders viel Betrieb in der Uniklinik Münster, als Jessica und Plattenberg dort am Sonntagvormittag eintrafen. 

Nachdem die Computertomographie keine Auffälligkeiten gezeigt hatte und sich sein Zustand in der Nacht nicht verschlechtert hatte, war Stefan Feldmann von der Neurologie auf die Normalstation verlegt worden. Man hatte eine Gehirnerschütterung diagnostiziert, wie der diensthabende Arzt ihnen kurz angebunden mitteilte, und die Platzwunde am Kopf musste genäht werden. Ansonsten schien es ihm aber den Umständen entsprechend gut zu gehen. Jessica hatte aber die Befürchtung, dass ihr Besuch das schnell ändern konnte.


Stefan hatte sich im Krankenhausbett aufgesetzt und saß sichtlich angespannt auf der Bettkante. Er hatte den Blick gesenkt und fummelte an der Tasche seiner kurzen Sporthose herum. Sein hellbraunes Haar war vollkommen zerzaust und auf der linken Seite seiner Stirn, knapp neben der Schläfe, klebte ein großes Pflaster. 

„Wie geht es uns denn heute, Herr Feldmann?", fragte Plattenberg übertrieben heiter.

Stefan blickte hoch und sah ihn aus blutunterlaufenen, von tiefdunklen Schatten umringten Augen an.

„Es war deutlich besser, bevor Sie kamen", erwiderte er trocken.

„Diese Wirkung haben wir häufig auf Menschen, besonders auf solche, die etwas zu verbergen haben", entgegnete Plattenberg und setzte sich lässig auf das zweite, unbesetzte Bett, obwohl man das eigentlich nicht machen durfte. „Und da gehören Sie wohl zweifellos dazu. Oder liege ich da falsch?" Er sah den jüngeren Mann durchdringend an und dieser starrte zurück, ohne etwas zu erwidern. 

„Wo sind Jana und Nicole?", fragte er schließlich, Plattenbergs vorherige Bemerkung ignorierend.

„Ach, wie rührend! Ihre beiden Freundinnen haben auch schon nach Ihnen gefragt. Denen geht es blendend, sie sind unverletzt und wohlauf", ließ Plattenberg ihn mit leicht spöttischem Unterton wissen. „Sehr schön, dass Sie sich noch an die gestrigen Ereignisse erinnern können. Diesmal hat Ihr Erinnerungsvermögen Sie wohl nicht im Stich gelassen, wie es scheint? Konnten Sie den Angreifer sehen? Ihn vielleicht sogar erkennen? Sie haben sich doch zu ihm umgedreht, sonst hätte er Sie nicht so weit vorne am Kopf treffen können."

„Es war dunkel und ging alles viel zu schnell. Wie hätte ich da jemanden erkennen können, wenn der Typ mir sofort dieses Ding gegen den Schädel geschmettert hat?"

„Das Ding war übrigens ein hübscher, handgearbeiteter Kerzenständer aus Porzellan. Schien wohl einigermaßen wertvoll gewesen zu sein. Jetzt natürlich nicht mehr, nachdem er die Begegnung mit Ihrem Schädelknochen nicht überlebt hat." Fast klang es so, als würde er das mehr bedauern als die Verletzung.

„Aber Sie konnten immerhin erkennen, dass es ein Mann war?", lenkte Jessica das Gespräch wieder auf den Samstagabend. Sie setzte sich auf einen der Stühle, die an einem kleinen Tisch an der Wand standen.

„Ich habe nur seine Umrisse gesehen. Aber er muss ungefähr so groß wie ich gewesen sein. Und er hat mit voller Wucht zugeschlagen, das ist doch eher untypisch für eine Frau", erklärte Stefan. 

„Da kennen Sie aber scheinbar die falschen Frauen", widersprach sie. „Viele können ganz ordentlich zuschlagen, wenn es sein muss."

„Mag sein, aber meistens haben die ganz andere Methoden, um einen fertig zu machen...", erwiderte Stefan und die Verbitterung in seiner Stimme war nicht zu überhören. 

Angesichts der Sachen, die Laura über ihn geschrieben hatte, hielt sich Jessicas Mitleid stark in Grenzen.

„Eigentlich hatten Sie richtig Glück, dass Sie gestern niedergeschlagen wurden, Herr Feldmann", schaltete Plattenberg sich wieder ein. 

Die Nacht im MaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt