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„Laura ist nun schon seit zwei Wochen tot und Sie machen gar nichts, um ihren Mörder zu fassen!", klagte Frau Geiger und schaute Jessica vorwurfsvoll aus geröteten, sichtlich verweinten Augen an.

„Wir tun unser Bestmögliches, um den Mord an Ihrer Tochter aufzuklären", versicherte Jessica und schaute hilfesuchend zu ihrem Kollegen.

Doch Plattenberg hatte nicht vor, ihr zu Hilfe zu kommen. Er war ausnahmsweise ‒ oh Wunder ‒ mit irgendwelchem bürokratischen Papierkram beschäftigt, den ihr Vorgesetzter ihnen mal wieder aufgehalst hatte. Im Normalfall hätte er das natürlich auf Jessica abgewälzt, doch scheinbar zog er diese langweilige Beschäftigung der erneuten Unterhaltung mit der Mutter des Mordopfers vor und überließ es Jessica, sich deren Vorwürfe anzuhören. Dabei war es eigentlich seine Idee gewesen, Frau Geiger noch einmal aufs Revier zu bestellen und zu befragen. Was auch immer er damit bezwecken wollte.

Jessica starrte Plattenberg an, als wollte sie ihn allein durch ihre Willenskraft dazu bewegen, endlich irgendeine Reaktion zu zeigen. An diesem Tag hatte er es auch entschieden mit seiner Kleiderwahl übertrieben: Er trug einen grauen Anzug in Kombination mit einem blau-weiß gestreiften Hemd mit weißem Kragen und weißen Manschetten und einer dunkelblauen Krawatte mit Paisleymuster, die von einer silbernen Krawattennadel an ihrem Platz gehalten wurde. Dazu passende, silberne Manschettenknöpfe durften natürlich auch nicht fehlen. Dieser für das Polizeipräsidium völlig ungeeignete Look hatte ihm bereits einige irritierte Blicke von dem ein oder anderen Kollegen eingebracht, doch das kümmerte ihn wie immer nicht die Bohne.

„Sogar Lauras frühere Freunde sind scheinbar erfolgreicher bei ihren Nachforschungen als Sie", setzte Frau Geiger noch einen drauf und riss Jessica wieder aus ihren Gedanken. 

Diese Unterstellung fand sie nun wirklich fast schon eine Beleidigung. Schließlich waren diese dummen Leute in das Haus ihrer Mutter eingebrochen und sind dort nur zufällig dem vermeintlichen Mörder über den Weg gelaufen. Und durch ihr Einmischen machten sie es der Polizei nur noch schwerer, diesen sowieso schon komplizierten Fall zu lösen. Auch wenn Plattenberg der Meinung war, sie sollten sie weitermachen lassen, weil sie so den Mörder aus der Reserve locken würden, bereitete es Jessica Bauchschmerzen zu wissen, dass die drei Möchtegern-Detektive da draußen rumliefen und jederzeit wieder irgendwelchen Blödsinn anstellen konnten, in dessen Folge vielleicht einer von ihnen oder auch alle drei im Leichenschauhaus enden könnten. Das gäbe nur unnötige Mehrarbeit für die Kripo. Sie hätten die drei doch lieber einbuchten sollen.

„Frau Geiger, beantworten Sie mir doch bitte eine Frage", mischte sich nun doch der Hauptkommissar in die Unterhaltung ein. „Wie wir feststellen konnten, sind Sie gerade dabei, das Haus Ihrer Mutter zu räumen. Planen Sie, es zu verkaufen?"

„Das hatten wir vor, ja. Mein Mann und ich brauchen kein zweites Haus und Laura wollte es nicht haben."

Die Frau schniefte und schnäuzte sich lange und geräuschvoll in ein Taschentuch. Plattenberg verzog angeekelt das Gesicht.

„Und, haben Sie schon einen Käufer?", fragte er weiter, stützte die Arme auf den Tisch und legte die Hände zusammen.

Jessica fragte sich, was er mit diesen Fragen bezweckte. Natürlich hatte er sie vorher nicht an seinen schlauen Gedanken teilhaben lassen.

„Es ist nicht so einfach, einen Käufer zu finden", antwortete Frau Geiger. „Das Haus ist nicht gerade das neuste und die Leute sind nicht bereit, so viel Geld in die Modernisierung zu investieren. Wir hatten überlegt, das selbst zu machen, aber vermutlich würden wir die Kosten nicht wieder reinholen können. Und wirklich Zeit uns damit zu beschäftigen hatten wir nicht, also haben wir eine Firma beauftragt, die sich um den Verkauf kümmern soll."

Die Nacht im MaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt