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Mai 1999

Kriminalkommissar Roland Berger kehrte in sein Büro zurück und ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen. Vor etwa drei Stunden hatte man die Leiche von Julia Mayer aus dem See geborgen. Er wurde aus Münster an den Fundort beordert, da es in dem kleinen Ort keine Kriminalpolizei gab und der Fall deshalb in seinen Zuständigkeitsbereich fiel. Die Leiche einer Jugendlichen war nämlich sehr wohl eine Angelegenheit für die Kripo.

Nachdem die Tote abtransportiert worden war, hatte sich Berger von den dortigen Kollegen auf den neusten Stand bringen lassen. Diese waren der Meinung, Julia Mayer sei aus Versehen von selbst betrunken in den See gefallen, denn in der Nacht zuvor hatten die Abiturienten des einzigen Gymnasiums der Stadt dort eine feuchtfröhliche Fete steigen lassen. Nachdem Julia am nächsten Tag nicht mehr aufgetaucht war, hatten ihre Freunde scheinbar eine eigene Suchaktion gestartet und dabei Julias Armband am Seeufer gefunden. Daraufhin hatten sie Julias Eltern verständigt und die wiederum die Polizei. So hatten es Julias Freunde zumindest erzählt, als Berger sie auf dem dortigen Polizeirevier befragt hatte. Doch hier kam auch schon die erste Frage auf: Wie kamen sie darauf, die Suche nach der verschollenen Freundin direkt am See zu starten? Als hätten sie gewusst, dass sie genau dort suchen müssen...

Berger überflog seine Vernehmungsnotizen. Die Aussagen der acht Jugendlichen waren zwar ziemlich durcheinander und wirr, doch es hatte sich herauskristallisiert, dass Julias Freund, Stefan Feldmann, auf die Idee gekommen war, zum See zu gehen. Weil dort am Tag zuvor die Party war und es so das naheliegendste war, hatte er gesagt. Soweit, so gut. Was Berger jedoch auch stutzig machte war, dass keiner der acht zu wissen schien, wann Julia die Party verlassen hatte. Sie gaben alle an, noch vor Ende der Party nach Hause gegangen zu sein, und zwar mehr oder weniger getrennt. Die Zwillinge Nicole und Michael Lindner waren recht früh zusammen mit Jana Wendt gegangen. Auch Laura Geiger und Katrin Nowitzki hatten sich ihren Aussagen zufolge bald darauf auf den Weg gemacht. Robin Tischke und Maximilian van der Hayden gaben an, mit einigen anderen die Party in Maximilians Garten verlegt zu haben und Stefan Feldmann war allein nach Hause aufgebrochen. Julia war also als einzige aus der Gruppe geblieben.

Doch liefen Jugendliche normalerweise nicht ständig in Rudeln herum? Und auch noch so spät in der Nacht? Hätte nicht zumindest der Freund Julia nach Hause begleiten müssen? Oder taten das die jungen Männer heutzutage nicht mehr? Berger wusste das nicht. Seine eigene Tochter war erst zehn, deshalb hatte er damit noch keine Erfahrung machen können. Glücklicherweise.
Aber merkwürdig war es schon, dass die Freunde anscheinend alle zusammen auf der Party aufgekreuzt waren, und dann nichts mehr voneinander wussten. Von der Party hatten sie auch nichts großartig erzählt und ziemlich herumgedruckst. Das einzige, was Berger aus ihren Schilderungen sicher wusste war, dass eine Menge Alkohol geflossen war. Er musste unbedingt so schnell wie möglich auch die anderen Feiernden vernehmen. Sein Gefühl sagte ihm, dass hier irgendetwas nicht stimmte.

Die Nacht im MaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt