Plattenberg parkte den Wagen im Halteverbot, direkt vor dem sandfarbenen Gebäude im Gründerzeitstil. Auf dem kleinen Parkplatz nebenan stand unter dem Hinweis „Nur für Mitarbeiter" ein schwarzer Mercedes der S-Klasse neueren Baujahres und daneben, im Kontrast dazu, ein älterer, dunkelgrüner VW Golf.
„Dreimal dürfen Sie raten, welcher Wagen dem Herrn Doktor gehört und welcher der Sprechstundenhilfe", sagte Plattenberg zu Jessica.
Sie stiegen aus. Das Schild neben der Eingangstür zeigte, dass sie hier richtig waren:
EG
Dr. med. Andreas Feldmann
Facharzt für Allgemeinmedizin
Hausärztliche Versorgung
Plattenberg blickte auf die Sprechzeiten, dann auf seine Uhr.„Oh, gerade noch rechtzeitig da."
Er drückte die Klingel und ließ es so lange läuten, bis die Tür endlich geöffnet wurde.
Als sie die Praxis betraten, sah die Arzthelferin, die gerade ihren Platz hinter dem Empfangstresen aufräumte, sie mit unfreundlichem Blick an.
„Warum kommen Sie denn jetzt kurz vor Schluss noch ohne Termin? Und außerdem nehmen wir keine neuen Patienten auf", belehrte sie die Polizisten, bevor jemand von ihnen überhaupt den Mund aufmachen konnte.
„Wir haben immer einen Termin", erklärte Plattenberg selbstgefällig, lehnte sich lässig gegen den Tresen und hielt der Frau seinen Dienstausweis vor die Nase. Deren Augen weiteten sich überrascht und Jessica konnte ein leichtes Triumphgefühl nicht unterdrücken.
„Ist Dr. Feldmann zu sprechen?"
„Der Doktor ist beschäftigt."
„Hat er einen Patienten bei sich?"
„Nein, aber..."
„Na, dann wird er ja wohl kaum so beschäftigt sein. Welche Tür?"
„Die hinterste", gab sich die Arzthelferin geschlagen.
Ohne sie weiter zu beachten, stolzierte Plattenberg ins Innere der Praxis zur hintersten Tür, klopfte kräftig und trat ein. Jessica folgte ihm.
Dr. Feldmann saß am Schreibtisch und war gerade dabei, irgendwelche wichtig aussehenden Papiere auszufüllen. Er blickte hoch und musterte die beiden Kommissare mit leicht verärgertem Blick aus blaugrauen Augen. Der Mann musste Jessicas Einschätzung nach Mitte fünfzig sein und sah für sein Alter recht gut aus. Die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn war tatsächlich nicht zu übersehen, bis auf die Augenfarbe. Das gute Aussehen schien in der Familie zu liegen.
„Ich kann mich nicht daran erinnern, Sie hereingebeten zu haben", bemerkte er in leicht herablassendem Tonfall.
„Das haben wir schon selbst getan. Kripo Münster", Plattenberg hielt auch dem Arzt seinen Polizeiausweis hin.
Doch der schien davon weniger beeindruckt zu sein als seine Arzthelferin, denn er verzog keine Miene. Bei solchen Patienten wie Ilse Schrader, war ihm das Pokerface mit der Zeit wahrscheinlich in Fleisch und Blut übergegangen.
„Ist nicht alles längst geklärt? Ihre Kollegen haben meine Frau und mich doch kürzlich schon ausgefragt", stellte er kühl fest.
„Jetzt sind aber wir da und nicht unsere Kollegen", erklärte Plattenberg und ließ sich unaufgefordert auf einem der Besucherstühle nieder. Jessica bevorzugte es, stehen zu bleiben. Sie hasste Arztpraxen und diese war keine Ausnahme.
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Die Nacht im Mai
Mystery / Thriller1999: Die Abiturientin Julia Mayer verschwindet nach einer Party und wird wenig später tot aufgefunden. Ihr Freund gerät in Verdacht, sie getötet zu haben, doch auch weitere Personen aus Julias Freundeskreis waren nicht gut auf sie zu sprechen. Aufg...