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„Es nützt nichts, wir müssen dieses Tagebuch unbedingt finden", sagte Nicole während sie hektisch auf ihrer Maus herumklickte und versuchte, Ordnung in den Datensatz auf ihrem Monitor zu bringen. 

Wir hockten in ihrem Büro in der Uni Münster und es drehte sich mal wieder alles um die jüngsten Ereignisse.

„Na, dann viel Spaß! Wenn die Polizei es bisher nicht gefunden hat, haben wir erst recht schlechte Karten", bremste ich abermals ihren unermüdlichen Tatendrang. Eigentlich war ich weiterhin der Meinung, dass wir das Ganze der Polizei überlassen sollten. Nicole aber anscheinend nicht:

„Ach was! Wir kennen Laura seit frühster Kindheit, da werden wir doch wohl eher wissen, wo sie so etwas versteckt haben könnte als so ein paar Bullen. Ohne dich hätten die ja überhaupt nichts davon erfahren."

Klang da etwa ein Vorwurf mit?

„Was hätte ich denn machen sollen, wenn die mich schon quasi als Mörderin hingestellt haben!", rechtfertigte ich mich.

„Das haben die doch extra gemacht, um dich zum Reden zu bringen. Michael meinte, das sei ihre perfide Taktik. Und es ist ihnen ja auch gelungen. Aber egal, lass uns lieber überlegen, wo Laura das Tagebuch versteckt haben könnte."

Zufrieden lehnte sich Nicole zurück, nachdem das Statistikprogramm ihr eine Reihe spannender Prozentzahlen und anderer statistischer Werte ausspuckte. Wehmütig dachte ich daran, dass ich jetzt in Hannover sein und mich mit den Krankheitsbildern von Pferden und anderen Nutztieren beschäftigen könnte.

„Lauras Wohnung und das Haus ihrer Eltern fällt wohl weg, da hat die Polizei bestimmt schon alles auf den Kopf gestellt", überlegte Nicole laut und ließ sich nun auch noch lustige, bunte Diagramme anzeigen. Multitasking schien sie ziemlich gut zu beherrschen. 

„Tja, und da stoßen wir schon an unsere Grenzen", bemerkte ich. „Immerhin haben wir zehn Jahre lang nichts mehr mit Laura zu tun gehabt. Sie kann ein ganz anderer Mensch geworden sein."

„Den Eindruck hatte ich eigentlich nicht, als ich sie getroffen hatte. Und Menschen sind Gewohnheitstiere, so schnell ändert sich da nichts", entgegnete Nicole und strich sich die hellblonden Haare hinters Ohr. 

„Na, du musst es ja wissen."

Wenn es wirklich so wäre, würdest du immer noch mit pinken Strähnchen und Glitzer-Make-Up herumlaufen. Laut sagte ich das natürlich nicht. 

„So auf Anhieb fällt mir jetzt auch nichts ein. Katrin könnte was wissen, aber die wird bestimmt nicht mehr mit uns reden. Nachdem die Polizei sicher auch bei ihr aufgeschlagen ist, ist sie noch schlechter auf uns zu sprechen als vorher schon."

Grübelnd verfielen wir in Schweigen und man hörte eine Zeit lang nur Nicoles Herumgeklicke und ihr Tippen auf der Tastatur. 

Plötzlich fiel mir etwas ein:

„Hatte Laura nicht eine Großmutter? Die hat doch in so einem kleinen Haus am Rande von Münster gewohnt. Laura war übers Wochenende oder in den Ferien öfter mal dort, als wir noch jünger waren und wir hatten sie doch sogar ein paar mal dort Besucht."

„Stimmt!", rief Nicole aufgeregt. „Lauras Oma hatte so einen tollen, großen Garten und sogar einen kleinen Hühnerstall. Julia hatte Angst vor den Hühnern, nachdem eins von ihnen sich mit den Krallen in ihren Haaren verfangen hatte." Sie musste kichern bei der Erinnerung daran. „Und nachdem Max bei einem seiner blöden Streiche die Stalltür aufgelassen hatte und die Hühner weggelaufen waren, hatten wir da alle Hausverbot."

Daran konnte ich mich auch noch gut erinnern. Damals waren wir ungefähr dreizehn oder vierzehn Jahre alt und waren mit den Fahrrädern nach Münster gefahren, um Laura bei ihrer Oma zu besuchen. Und Max hatte natürlich nichts besseres zu tun, als die Hühner rauszulassen, um Julia zu ärgern. Blöderweise hatte aber auch das Gartentor offen gestanden und einige von den Viechern waren abgehauen. Die meisten konnten wir noch einfangen, aber ein paar blieben verschollen. Danach hatte Lauras Oma ihrer Enkelin verboten, ihre unmöglichen Freunde mitzubringen und man konnte es ihr wirklich nicht verübeln. Und hinterher gab es zuhause natürlich für uns alle Ärger und nicht nur für Max. Wie so oft. 

Die Nacht im MaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt