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„Verstehe ich es richtig, Berger? Sie sind im Fall Julia Mayer keinen Schritt weitergekommen?", fragte Kriminalhauptkommissar Dahlberg und fixierte Berger mit unfreundlichem Blick.

Es war nun schon mehr als ein Monat seit dem Tod des Mädchens vergangen, aber Berger hatte keine neuen Erkenntnisse erzielen können. Die Ermittlungen waren komplett ins Stocken geraten und sein Vorgesetzter machte immer mehr Druck.

„Nun ja, wir haben immer noch den Freund. Der hat noch am ehesten ein Motiv..."

„Und haben Sie da inzwischen irgendwelche stichfesten Beweise? Ihre Vermutungen reichen nun mal nicht aus", unterbrach Dahlberg ihn barsch.

„Nein, nicht wirklich", gab Berger zu. Mittlerweile war er sich selbst nicht mehr wirklich sicher, ob Stefan Feldmann seine Freundin getötet hatte. Irgendwie hatte er nicht so auf ihn gewirkt, auch wenn er die Tat am Ende der Vernehmung nicht wirklich abgestritten hatte. Jedenfalls war Berger sich sicher, dass es kein vorsätzlicher, geplanter Mord gewesen ist, falls er doch der Täter war. Aber er hatte eben keine Beweise für seine Schuld. Es galt immer noch die Unschuldsvermutung, das hatte auch der Haftrichter zu bedenken gegeben.

„Es gibt unter den Mitschülern sehr viele, die Julia nicht ausstehen konnten. Besonders unter den jungen Damen. Aber sowas ist unter Jugendlichen nicht selten. Deshalb bringt man bestimmt niemanden um. Und was die Schwangerschaft angeht, die scheint sie ziemlich gut verheimlicht zu haben. Auch die Eltern wussten nichts davon, geschweige denn mögliche Vaterschaftskandidaten."

Das war bestimmt nicht das, was Dahlberg hören wollte. Dieser schien einen Moment zu überlegen. Dann fragte er:

„Sagen Sie, Berger, haben Sie den Bericht der Gerichtsmedizin eigentlich richtig gelesen?"

„Natürlich habe ich das!", erwiderte Berger empört. Was sollte das denn jetzt?

„Ich habe mir die Mühe ebenfalls gemacht, obwohl ich eigentlich besseres zu tun habe. Und dabei ist mir etwas aufgefallen: Es wird an keiner Stelle erwähnt, dass der Tod durch Fremdeinwirkung herbeigeführt wurde."

„Sie ist ertrunken", erinnerte Berger ihn.

„Ja, aber es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass jemand sie ertränkt hat."

Die ursprüngliche Version der Kleinstadtpolizisten hatte also Anklang bei Dahlberg gefunden.

„Ich glaube kaum, dass Julia Mayer komplett angezogen und mitten in der Nacht im See baden gehen wollte. Außerdem war die Wassertemperatur dafür auch nicht gerade angenehm", gab Berger vorsichtig zu bedenken.

„Sie war doch stark betrunken. Sie konnte gestolpert und in den See gefallen sein", beharrte sein Vorgesetzter auf seiner Theorie. Sein Tonfall ließ vermuten, dass er keine Widerrede hören wollte. Doch Berger widersprach trotzdem:

„Sie konnte schwimmen, hatte das bronzene Abzeichen."

„Hören Sie mir eigentlich zu, Berger? Sie war stark alkoholisiert! Da nützen einem die Schwimmkünste auch nicht mehr viel. Außerdem haben Sie gerade selbst gesagt, dass das Wasser kalt war. Das Ufer ist an dieser Stelle sehr steil. Sie konnte sich wahrscheinlich nicht mehr aus dem Wasser ziehen und war durch die Kälte schnell entkräftet. Und das tragische Ende kennen wir ja."

Berger schüttelte ungläubig den Kopf. War das tatsächlich sein Ernst?

„Bei allem Respekt, aber das sind auch nur Vermutungen", versetzte er aufmüpfig. Dahlberg funkelte ihn wütend an.

„Gut, Berger. Ich gebe Ihnen noch Zeit bis Juli. Dann will ich Ergebnisse, sei es einen neuen Verdächtigen, Beweise gegen den Freund oder was auch immer. Aber wenn sie nichts finden, werde ich den Fall schließen. Mit der Begründung, dass kein Gewaltverbrechen vorliegt. Wir haben hier in Münster wichtigere Fälle zu bearbeiten, wie Sie wissen. Da können wir uns nicht an so einem Todesfall aufhalten, bei dem nicht einmal ein Verbrechen vorzuliegen scheint. Habe ich mich klar ausgedrückt?"

Unangenehmes Schweigen breitete sich im Büro des Kriminalhauptkommissars aus.

„Ja", sagte Berger schließlich.


***

Auszug aus einem Artikel der Münsterländer Zeitung vom 07.07.1999:

„Polizei stellt Ermittlungen im Fall Julia M. ein"

...Nach einer Neubewertung des Falles, ist die Kriminalpolizei Münster zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei dem Tod der Jugendlichen nicht um ein Gewaltverbrechen, sondern um einen tragischen Unfall handelt. Laut dem Polizeipressesprecher gebe es keine ausreichenden Beweise, um länger von einem Verbrechen ausgehen zu können. Aus diesem Grund werden die Ermittlungen eingestellt.
Die Familie der Toten plant gegen diese Entscheidung vorzugehen.

Die Nacht im MaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt