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April 2009


Lustlos schlurfte Maria Radke den Spazierweg am Silbersee entlang und folgte dem unermüdlich herumtollenden Mischlingshund Toffy. Jeden Morgen war es dasselbe. Immer musste sie mit dem Köter raus, weil die lieben Kinder ja Ferien hatten und bis in die Mittagsstunden schliefen. Dabei waren sie diejenigen gewesen, die unbedingt einen Hund haben wollten. Sie war von Anfang an dagegen gewesen, weil sie gewusst hatte, dass die ganze Arbeit natürlich an ihr hängen bleiben würde. Aber das hatte man davon, wenn man den undankbaren Rotzbengeln alles durchgehen ließ. Selbst schuld. Ihr Mann war da auch keine große Hilfe und pflegte, sich aus diesen Angelegenheiten herauszuhalten. 

An diesem Morgen war es auch noch besonders kalt und neblig. Toffy schien das aber nichts auszumachen. Er schleppte einen riesigen, nassen Stock herbei und schaute Maria auffordernd mit seinen dunklen Hundeaugen an. Sie nahm den Stock und schleuderte ihn zwischen die Bäume. Freudig kläffend rannte der Hund hinterher. Wenigstens würde er sich so müde laufen.

Nach ein paar Metern blieb Maria stehen. Toffys unaufhörliches Bellen war zu hören, doch von ihm selbst fehlte jede Spur. War es denn so schwer, den verdammten Stock aufzusammeln und wieder zurückzukommen? Sie hatte absolut keine Lust jetzt auch noch Verstecken mit dem Köter zu spielen. 

„Toffy, bei Fuß!", rief sie.

Doch es kam nur weiteres Bellen als Antwort. Der Hund war genauso unerzogen wie seine Besitzer.
Genervt seufzend kehrte Maria zu der Stelle zurück, wo sie den Stock geworfen hatte und trat zwischen die Bäume. Der Nebel war hier noch dichter und erzeugte in ihr ein beklemmendes, ja fast klaustrophobisches Gefühl. Auf der anderen Seite von diesem kleinen Waldstück kam man direkt zum Gelände des örtlichen Tennisvereins. Hoffentlich war Toffy nicht so weit gelaufen, doch dem Kläffen nach zu urteilen, war der Hund noch irgendwo in der Nähe. 

„Toffy, komm doch jetzt!"

Endlich erblickte sie das widerspenstige Haustier. Im Nebel konnte sie erkennen, wie Toffy aufgeregt hin und her lief und dabei weiterhin wie verrückt bellte. Der Stock lag auf der Erde und wurde überhaupt nicht beachtet.
Maria trat zu dem Hund und packte ihn am Halsband. 

„Ich zieh dir jetzt die Leine an und wir gehen wieder nach Hause."

Toffy war aber anderer Meinung. Er riss sich los und bellte weiter die Büsche an. Maria blickte in die Richtung. Undeutlich konnte sie erkennen, dass da irgendetwas im Gebüsch lag. Als sie nähertrat, erkannte sie, dass es sich scheinbar um ein Kleidungsstück handelte. Wahrscheinlich hatten die Jugendlichen das Seeufer und das Gelände drumherum bei ihrem letzten Saufgelage wieder als Müllkippe missbraucht. Da halfen auch keine Beschwerden bei der Stadtverwaltung, weil die Mistblagen vom Bürgermeister bestimmt auch dabei waren. Aber warum bellte der Hund das Zeug so an?

Von Neugier gepackt, trat Maria näher. Das war ein Fehler. Vor Schreck stieß sie einen schrillen Schrei aus. Sie schrie und kreischte bis sie keine Luft mehr bekam. Dann taumelte sie zurück und presste sich die Hände auf den Mund, weil ihr die Galle hochkam. Schließlich übergab sie sich und krümmte sich heulend zusammen. Toffy kam schwanzwedelnd herbeigelaufen und wollte sie trösten, doch sie beachtete ihn nicht.

Maria wusste gar nicht, was sie machen sollte. Warum musste ausgerechnet ihr so etwas passieren? Hier, wo sonst nie etwas wirklich Aufregendes geschah. Wäre sie doch bloß nicht vom Spazierweg abgekommen! Hätte sie doch von Anfang an einen ganz anderen Weg genommen, durch die Felder oder am Silberbach entlang.
Benommen stolperte sie in die Richtung, in der sie den Tennisplatz vermutete und wagte es nicht, noch einmal zurückzublicken. 

Was da im Gebüsch lag, war gar kein liegengelassenes Kleidungsstück. Es war eine Person. Und diese Person war ganz offensichtlich tot.

Die Nacht im MaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt