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Cosmea

Ich gehe die vielen Gänge der Akademie entlang und präge mir dabei dessen Aufbau ein. Bei den Räumen, die mir schon am Anfang im ersten und im zweiten Stockwerk aufgefallen sind, handelt es sich um große Klassenräume, in denen der theoretische Unterricht Vormittags stattfindet. Wenn man den Gängen im oberen Stockwerk, in dem sich auch Shens Zimmer befindet, bis zum Ende folgt, erreicht man Türen, die zu einer Wendeltreppe führen. Diese Wendeltreppen gehören zu den großen Türmen, die man von außen an der Akademie erkennen kann. Wenn man die Wendeltreppe nach unten nimmt, erreicht man, ähnlich wie oben, die Türen, die an den Enden der langen Gänge rechts und links von dem Eingangsbereich weg führen.

Sonst grenzen nach oben in regelmäßigen Abständen weitere Türen an die Wendeltreppen, die zu Gemeinschaftsräumen führen. Ich bin gerade auf dem Weg zu dem hinteren, linken Turm der Akademie. Die zwei Türme auf der rechten Seite bewohnen die Jungs, die linken die Mädchen. Sir Valdar hat mit ein Zimmer im obersten Gemeinschaftsraum des Turmes zugeteilt, den ich nun anstrebe. Als ich sein Zimmer verlassen habe, bin ich einfach gleich nach links abgebogen und bin an den ganzen Klassenräumen vorbei gegangen. Am Ende des Ganges habe ich nicht die Tür zu dem Turm genommen, wie es mir der Schattenfae gesagt hat, sondern bin rechts abgebogen und dem Gang gefolgt. Dieser führte wieder an vielen Räumen vorbei, aber auch an dem Speisesaal, der sich ganz in der Nähe aufhalten musste. 

Jetzt stehe ich vor der Türe zu dem linken, hinteren Turm und stoße sie auf. Ich unterdrücke ein Seufzen und beginne meinen Anstieg. Die Treppen sind breit und ich kann zwei entgegenkommenden Schattenfae gut ausweichen. Sie werfen mir neugierige Blicke zu und beginnen, als sie an mir vorbei gegangen sind, hinter meinem Rücken zu tuscheln. Meine Augen funkeln kurz gefährlich auf, doch ich beruhige mich schnell wieder und schlage mir die Kapuze über den Kopf. Sie haben mir nichts getan. Das ist es, was ich mir wieder und wieder einrede. Ich habe keinen Grund, sie zu hassen.

Dank meiner Mutter hatte ich einen starken Gerechtigkeitssinn. Höflichkeit und Freundlichkeit, aber auch das Vergeben waren Werte, die meiner Mutter wirklich wichtig waren. Obwohl die Schattenfae uns früher in dem Dorf nicht sehr gut behandelt haben, war sie immer freundlich zu ihnen. Sie hat ihnen sogar manchmal geholfen. Einmal hatte sie ein stark verletztes Kind einer alleinerziehenden Schattenfae geheilt. Ohne ihrer Hilfe hätte es das Kind nicht überlebt. Die Freundlichkeit meiner Mutter konnte ich leider nicht immer teilen und beim Vergeben habe ich mir noch schwerer getan. Aber Gerechtigkeit war mir wichtig. Solange die Schattenfae uns in Ruhe gelassen haben, habe ich sie in Ruhe gelassen. 

Ich verstehe bis heute nicht, wie meine Mutter so gut zu ihnen sein konnte. Immerhin waren es die Schattenfae aus diesem Dorf, die uns verraten haben. Nur wegen ihnen habe ich meine Mutter verloren.

Ich balle meine Hände zu Fäuste während ich meinen Weg fortsetze. Seitdem ich meine Mutter verloren habe, ist die wenige Freundlichkeit, die mich meine Mutter gelehrt hat, zusammen mit einem Teil meines Gerechtigkeitssinnes gestorben. Den Schattenfae vergeben, für das was sie getan habe, kann ich in Tausend Jahren nicht. Ich werde ihnen in meinem Leben nicht dafür vergeben. Sie haben mir alles genommen, was mir wichtig war und mein Leben zerstört. 

Doch in manchen Situationen höre ich die Stimme meiner Mutter, die zu mir in meinen Gedanken spricht. Sie ist es, die mich daran erinnert, dass ich Unrecht tue, indem ich jemanden hasse, der mir nichts angetan hat. Doch es ist schwer, der Stimme zu glauben. Und dennoch versuche ich es. Um meiner Mutters Willen.

Nach vielen Stufen und vielen Umdrehungen, erreiche ich schließlich den letzten Absatz und somit die letzte Türe des Turmes. Durch ein Fenster, die auch in regelmäßigen Abständen in das Stein eingebaut sind, kann ich erkennen, dass es noch immer regnet. Es ist spät Nachmittag und die Sonne muss in nur kurzer Zeit untergehen. Bald gibt es also auch Abendessen. Bei dem Gedanken daran knurrt mein Magen und ich reiße mich von dem Fenster los, um die Türe zu öffnen. 

Torn Kingdoms - Torn between Light and DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt