~ 26 ~

96 8 5
                                    

Cirian

Ich habe nie an meinen Prinzipien und Motiven gezweifelt, geschweige denn sie hinterfragt. Halbblute waren meine größten Feinde seit dem Tag, an dem einer meine Mutter ermordet hat. Ich habe es zu meiner Aufgabe gemacht sie zu rächen, indem ich allen Halbblutfae persönlich den Krieg erkläre. Für Jahre habe ich sie ohne zu Zögern getötet. Der Hass gab mir einen Grund und die Kraft, nicht aufzugeben.

Diese Tatsache habe ich vor Jahren akzeptiert und nie wieder hinterfragt, bis Cosmea auftauchte und mein Leben auf den Kopf gestellt hat. Ich konnte dieses nagende Gefühl lange ignorieren, aber damit war Schluss, sobald ich einen Fuß in dieses Tal gesetzt habe. Jetzt stellt sich mir die folgende Frage immer wieder. Sind Halbblutfae wirklich so grausam und erbarmungslos, wie ich sie mir immer vorgestellt habe? Verdienen sie meine abgrundtiefe Abscheu und einen gnadenlosen Tod durch meine Hand?

Diese Fragen kreisen in meinem Kopf seit dem Gespräch mit Celeste und lassen mir keine Ruhe. Selbst jetzt kann ich mich kaum auf das Essen konzentrieren, obwohl ich dachte vor Hunger zu sterben. Der Appetit ist gering und ich schiebe das Gemüse von einer Seite des Tellers auf die andere hin und her. Ich bemerke nicht, dass ich angesprochen werde, bis mich jemand mit dem Ellenbogen anstößt.

"Was ist los, Cirian?", fragt Kai neben mir und ich schaue auf.

"Nichts, alles ist gut.", antworte ich in einem Ton der deutlich macht, dass ich nicht weiter befragt werden will. Dabei blicke ich lange genug in Cosmeas Augen, um ihren besorgten Ausdruck wahrzunehmen.

Der Rest der Mahlzeit vergeht ohne Vorfälle, aber kurz danach zieht mich mein alter Freund beiseite und wir entfernen und so weit, dass niemand unser Gespräch belauschen kann.

"Sag schon Cirian, was belastet dich? Ich kenne dich lange genug um zu wissen, dass etwas nicht stimmt."

Obwohl ich sein Geheimnis lange befürchtet habe, hat sich zwischen uns Distanz gebildet, seit mir Kai seine wahre Gestalt gezeigt hat. Ich habe ihn mehr oder weniger bewusst gemieden, aber jetzt in diesem Moment fühle ich mich einsamer denn je zuvor.

"Sag mir Kai, sind wir immer noch Freunde?", frage ich und fühle, wie sich mein Herz leicht zusammen zieht. Die Frage scheint den Halbblutfae ehrlich zu erschüttern und er legt mir beiden Hände auf die Schultern.

"Ich mag meine Identität gefälscht haben, aber unsere Freundschaft war niemals gespielt. Du bist unglaublich stark, Cirian. Ich habe dich seit unserer Kindheit immer bewundert."

"Aber wie konntest du dich nicht vor mir fürchten? Ich habe schließlich meinen Hass vor Halbblutfae nicht versteckt."

Diese Frage lässt ihn lange nachdenken und mit jeder Sekunde die verstreicht, sinkt mein Herz ein Stück tiefer.

"Es stimmt, dass ich mich vor dir gefürchtet habe. Aber weniger davor, was du mir antun würdest, sondern dass unsere Freundschaft brechen würde. Ich habe miterlebt, wie dich der Tod deiner Mutter verändert hat und ich weiß, was du durchleben musstest. Und trotz all dem Schmerz und Verlust warst und bliebst du immer an meiner Seite. Ohne dich und deinen aufbauenden Worten wäre ich heute noch der schüchterne, widerstandslose Junge der ich früher einmal war. Dank dir Cirian konnte ich mich selber finden und akzeptieren."

Seine Antwort überrascht mich und ich starre Kai lange Zeit an. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und bevor ich mich versehe, umarme ich ihn fest. Brüderlich klopft er mir auf den Rücken und eine schwere Last fällt von meinen Schultern. Als wir uns schließlich wieder voneinander lösen, haben wir uns beide wieder gefasst und gehen auf einen kleinen Spaziergang. 

"Was liegt dir noch auf dem Herzen, Cirian? Etwas sagt mir, dass das nicht alles war."

Nach einigem Zögern seufze ich schließlich tief, bevor ich versuche meine Gefühle in Worte zu fassen. 

Torn Kingdoms - Torn between Light and DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt