39. Oh

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Als ich in Aaróns wütendes Gesicht sah, lief es mir eiskalt den Rücken runter und in meinem Gehirn herrschte plötzlich Stille. Kein einziger Gedanke huschte mir durch den Kopf und dennoch wusste ich, dass ich jetzt in Schwierigkeiten war.

„Was sollte das, Ace?", verlangte Aarón erneut zu wissen.

Ich senkte betroffen den Blick und schielte zu dem älteren Mann, der sich an die Brust fasste und röchelnd Luft holte.

„Ace?", fragte mein Festhalter erneut nach und zog mich etwas höher, damit ich mehr auf Augenhöhe mit ihm war, fühlte mich dabei aber viel mehr wie ein kleiner Welpe, der in eine Ecke gepinkelt hatte und dafür nun die Quittung bekam.

„Naja, also...", fing ich nervös an, brach jedoch ab.

Wie sollte man sowas auch erklären? Wüsste Aarón von dem Mafiosi und der Gefahr, die somit von mir ausging, würde er uns doch sofort rauswerfen.

„Gehört der... etwa zu dir, Aarón?!", hustete der Mann auf dem Boden und sah verachtend zu uns.

Angesprochener sah zuerst zu ihm und dann zu mir. „Kann man so sagen." Seufzend ließ er die Hand, mit der er mich festhielt, entspannen und ermöglichte es mir so endlich aufzustehen. Loslassen tat er mich aber nicht. „Ich weiß aber dennoch nicht, was das sollte. Das Ganze tut mir einfach nur unendlich leid, Olivier. Geht's einigermaßen?", entschuldigte sich Aarón an meiner Stelle.

„Hm", brummte dieser Olivier nur und musterte mich mit finsterem Blick.

Erwartend sah Aarón mich an, ich jedoch erwiderte nichts. Nicht, solange ich nicht wusste, wer er war und weshalb der mit einer Waffe durchs Dorf lief.

„Ich klär das mit ihm, Olivier", wandte Aarón sich nach längerem Schweigen an ihn, da ich keine Antwort gab.

Der fremde Mann stand wackelig auf und hielt sich für einen Moment wieder die Hand an den Brustkorb. Immer noch säuerlich brummend hob er sein Gewehr auf, putzte den Dreck von seiner Kleidung ab und ging anschließend stapfend davon. Dabei murmelte er in unsere Richtung nur ein, „Erzieh ihn gefälligst, Aarón, sonst nutz ich ihn als Zielscheibe", und zog von Dannen.

Entsetzt sah ich ihm hinterher und spürte einen Augenblick später, wie Aarón mich endgültig losließ.

„Ich hoffe mal, dass du eine gute Erklärung dafür hast", knurrte er und ich zog abermals den Kopf ein. Es war nicht sonderlich einfach den Familienvater so zu reizen, aber ich hatte scheinbar eine Grenze überschritten.

„Ich hab doch nur...", setzte ich wieder an, hielt aber dann doch den Mund.

Genervt fuhr sich Aarón mit der Hand durchs Gesicht. „Ja?"

„Er... er hatte ein Gewehr dabei?!", stieß ich schließlich aus. Das war doch Argument genug! Man konnte nicht einfach mit einer solchen Waffe durch die Straße laufen und jemanden verfolgen.

„Ace, Olivier ist Berufsjäger."

Oh. Zugegebenermaßen etwas peinlich berührt zog ich die Augenbrauen leicht zusammen. „Er hat mich aber verfolgt?"

„Vielleicht ist er auch einfach in die gleiche Richtung gelaufen? Hier im Dorf gibt's schließlich nur wenige größere Straßen", entgegnete mein Gegenüber. „Und selbst wenn, wieso erwürgst du ihn gleich?!"

„Ähm... ich glaub das Ganze war einfach ein großes Missverständnis", redete ich mich schnell raus und traute mich nicht Aarón in die Augen zu sehen. Wie enttäuscht musste er bitte von mir sein? Ich war ja selbst sauer auf mich. Sowas durfte nicht passieren! Das war weder für mich gut noch für Aaróns Ansehen im Dorf oder in der Gemeinde.

„Du kannst aber nicht einfach jemanden angreifen", wies mich Aarón zurecht. „Wobei ich dich auch verstehen kann." Überrascht sah ich ihn an. „Du kennst ihn nicht und ich will mir gar nicht vorstellen woher Cosmo und du kommen und was ihr schon erlebt habt."

Meine Mundwinkel zuckten nach oben und ich hatte keine Ahnung, ob ich Aarón für sein Verständnis für alles bewundern oder für seine Naivität belächeln sollte.

„Ich wollte das wirklich nicht, Aarón", murmelte ich schließlich schuldbewusst.

Dies schien ihn ruhiger zu stimmen, denn er legte sogar seinen Arm um meine Schultern, während wir einige Schritte in Richtung nach Hause gingen. „Ich glaub dir. Aber entschuldigen solltest du dich bei ihm am Sonntag dennoch."

„Hm."

Ich wollte diesen Mann nicht mehr sehen. Und auch hielt sich meine Lust auf Sonntag in Grenzen. Das war zwar noch etwas hin, aber eine erneute Begegnung mit Olivier könnte vielleicht wieder zu einer peinlichen Situation führen.

„Ich hab ihn letzten Sonntag aber nicht gesehen", bemerkte ich schließlich.

Aarón nickte. „Er wohnt eigentlich auch nicht hier. Er hat eine kleine Wohnung etwas weiter weg und kommt jedes Jahr zum Jagen her. Das restliche Jahr ist er bei seiner Frau in Frankreich."

„Er kommt jedes Jahr über die Grenze nur zum Jagen?", wollte ich überrascht wissen.

„Ja, es ist eben seine Leidenschaft und er will die Brunftzeit miterleben. Es ist eben Beruf und Hobby zugleich", erklärte er mir. „Aber meiner Meinung nach übertreibt er da etwas. Er tötet mehr als er muss und das nur zum Spaß."

Aus unerfindlichen Gründen fühlte ich mich leicht angegriffen. „Und wenn er einfach nur mehr Geld braucht?"

„Da gibt es auch andere Wege, Ace. Er ist ja wohl kaum dazu gezwungen seinen Unterhalt für die Familie mit dem Töten von Tieren zu verdienen", meinte Aarón und lief unbeirrt weiter. Max treu an seiner Seite.

Leicht beleidigt sah ich dem Hausherrn hinterher. Wenn er nur wüsste.

Den restlichen Weg liefen wir schweigend nebeneinander her. Die Petersilie sah dank der Aktion vorhin nicht mehr sehr appetitlich aus, aber Julia würde sie hoffentlich trotzdem nehmen. Was Aaróns Haltung zum Thema Töten anging, da konnte ich nicht ganz mitgehen. Natürlich sah er als Christ die Dinge etwas anders und war der Meinung, dass man der Schöpfung mit Respekt entgegentreten sollte, was auch richtig war, aber er urteilte einfach zu schnell.

Wenn man keine andere Wahl hatte, tat man eben Dinge, die für andere falsch waren, für einen selbst aber nur Mittel zum Zweck.

Julia jedenfalls war bei weitem nicht so gnädig wie ihr Ehemann, weswegen Aarón und ich es für eine gute Idee hielten, die ganze Sache etwas runterzuspielen. Mit nur mäßigem Erfolg. Julia sah mich finster an und zerschnitt demonstrativ die Petersilie vor meinen Augen klein, während sie verlangte, dass sowas nicht mehr vorkam.

Schluckend verzog ich mich zuhause also ins Esszimmer und setzte mich auf meinen Platz neben Cosmo.

„Du hast was?", lachte dieser mich aus, der von der Küche wohl alles mitgehört hatte.

Ich verdrehte genervt die Augen. „Jaja, lach du nur."

„Sorry", lachte er glucksend weiter. „Aber wieso machst du denn sowas? Ich mein, der wird dich schon nicht vergewaltigen wollen, nur weil er dich verfolgt."

Amüsiert zog ich die Augenbraue hoch. „Ach, wer hat denn gedacht, dass ein älterer Autofahrer mit Jeep, mit dem wir uns jetzt ein Haus teilen, ein möglicher Vergewaltiger ist, hm?"

„Das war was ganz anderes!", redete sich mein kleiner Bruder heraus. „Und außerdem-"

„Dreht sich nicht alles um Sex", unterbrach ich ihn und sah vorsichtig zur Tür. Doch der Rest der Familie ließ noch auf sich warten. „Abgesehen davon... dachte ich beim Anblick seines Gewehrs an jemand anderen."

Cosmo zog die Stirn kraus und meinte belustigt, „An wen denn? Etwa jemand, der dich vielleicht umbringen will, weil er etwa-", plötzlich unterbrach er sich selbst. Scheinbar war ihm ein Licht aufgegangen. „Oh."

Hope in the DarknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt